Sommermärchen-Prozess:Das Debakel von Bellinzona

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Die Kernfigur der WM-Affäre, Franz Beckenbauer (links), stand gar nicht vor Gericht - der frühere DFB-Grande Horst R. Schmidt schon. (Foto: Bernd Settnik/dpa)
  • Der Schweizer Prozess um die ungeklärten Millionenzahlungen vor der WM 2006 in Deutschland ist bis zum 20. April ausgesetzt. Doch bereits am 27. April verjährt das Delikt.
  • Der formale Grund für die Vertagung sind die vielfältigen Folgen der Corona-Krise und das Notstandsdekret in der Schweiz. Doch der Prozess ist auch inhaltlich explodiert.
  • Das Gericht beurteilt die Arbeit der Strafermittler vernichtend. Zentraler Grund ist das innige Verhältnis des Bundesanwaltschaft-Chefs Lauber zur Fifa und deren Präsidenten Infantino.

Von Johannes Aumüller, Bellinzona/Frankfurt

Der Ort, der versprach, die dunklen Geheimnisse des Sommermärchens aufzuklären, sieht schon trügerisch aus. Von vorne wirkt das Bundesstrafgericht in Bellinzona durchaus wie ein prächtiges Gebäude. Wer sich aber von der Seite nähert, der sieht, dass sich hinter der Front mit seinen auffälligen Rundbögen nicht viel Fläche verbirgt. Es sei nur eine Fassade wie in einem schlechten Film, lautet dazu der Standard-Spott von langjährigen Beobachtern der Schweizer Justiz. Und es wirkt nun auch so, als liefe in diesem Gebäude rund um die ungeklärten Millionenzahlungen vor der deutschen Fußball-WM 2006 ein schlechter Film.

Am Dienstagabend teilte das Gericht mit, dass es den ohnehin unterbrochenen Prozess bis 20. April aussetzt. Bereits am 27. April verjährt das Delikt. Der formale Grund für die Vertagung sind die vielfältigen Folgen der Corona-Krise und das Notstandsdekret in der Schweiz. Aber tatsächlich verbirgt sich in diesem Beschluss noch etwas Gravierenderes: Das Betrugsverfahren gegen die früheren DFB-Funktionäre Theo Zwanziger, Horst R. Schmidt und Wolfgang Niersbach sowie gegen den ehemaligen Fifa-Generalsekretär Urs Linsi ist auch inhaltlich explodiert. Weil das Gericht die Arbeit der Ermittler der Bundesanwaltschaft (BA) vernichtend beurteilt und gravierende Mängel attestiert.

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Der zentrale Grund dafür ist das innige Verhältnis des BA-Chefs Michael Lauber zum Fußball-Weltverband und zum Fifa-Präsidenten Gianni Infantino. Anfang März publizierte die Aufsichtsbehörde der Bundesanwaltschaft den Bericht zu einem Disziplinarverfahren gegen Lauber. Nun teilte das Gericht in Bellinzona in einer etwas umständlichen Juristenprosa mit, dieser Bericht hätte "Umstände zu Tage (gebracht), die umfassende Beweisverwertungsverbote zur Folge haben könnten".

Das Verfahren quasi abgewürgt

"Umfassende Beweisverwertungsverbote." Anders gesagt: Viele Ermittlungsschritte wären nichtig, auch wenn das Gericht nicht genau mitteilt, um welche konkret es sich handelt. Noch anders gesagt: BA-Chef Lauber und Fifa-Boss Infantino haben mit ihrem Verhalten das Sommermärchen-Verfahren abgewürgt. So wie dies auch schon mit anderen Verfahren im sogenannten Fußball-Komplex passiert ist.

Der Fall, der einmal das große Prestigeprojekt Laubers und seiner Behörde war, erweist sich nun als einziges Debakel.

Es ist bis heute das große Rätsel, warum sich Lauber auf ein derart enges, zerstörerisches Band mit Infantino eingelassen hat. Die Fifa ist im Sommermärchen-Verfahren und in allen anderen Fällen des Fußball-Komplexes Privatkläger. Dennoch kamen Lauber und Infantino regelmäßig zu nicht protokollierten Geheimtreffen zusammen. Mindestens drei Zusammenkünfte mitsamt ihrer jeweiligen Gefolgsleute gab es. Ein besonders merkwürdiges Treffen ereignete sich im Juni 2017 - alle Teilnehmer vergaßen es kollektiv.

Seine Wiederwahl konnte Lauber gerade so erreichen, aber auf die Verfahren hatte das Ganze großen Einfluss. Das steigerte sich, als die Aufsichtsbehörde am 2. März ihren 48-seitigen Disziplinarbericht zu Lauber publizierte. Der war zwar teilweise geschwärzt, brachte aber trotzdem neue Erkenntnisse. Zum Beispiel tauchte im Umfeld des Treffens im Juni 2017 noch eine fünfte Person auf, ohne dass diese mit Klarnamen bekannt war. Die Anwälte der Beschuldigten forderten das Gericht auf, das Original zu besorgen, und am zweiten Verhandlungstag erhielten sie tatsächlich eine andere Version des Berichtes.

Die ist dem Vernehmen zwar immer noch an zahlreichen Stellen geschwärzt, unter anderem an der zum ominösen fünften Mann. Aber andere brisante Passagen sind es nach SZ-Informationen nicht mehr. So soll es etwa heißen, dass die Fifa aufgrund einer Vereinbarung aus der Anfangszeit der 2015 begonnenen Ermittlungen "eine faktische Mitherrschaft über das Verfahren" inne habe. Auch hätten "zweierlei Aktenkategorien" existiert.

Das Bundesstrafgericht moniert die Arbeit der Ermittler noch aus einem anderen Grund. Die beschuldigten Ex-DFB-Funktionäre Zwanziger und Schmidt waren wegen ihres Gesundheitszustands gar nicht zur Prozesseröffnung vor einer Woche gekommen. Noch hat das Gericht nicht entschieden, ob es das Fehlen als entschuldigt wertet oder nicht. Nur ist das auch nicht mehr so relevant. Denn es kann gegen Personen, die unentschuldigt fehlen, zwar ein Verfahren in Abwesenheit geben - aber nur, wenn bestimmte Voraussetzungen erfüllt sind. Und das "scheint nicht der Fall zu sein", wie das Bundesstrafgericht in seinem Beschluss festhält.

Schmidt habe im Verfahren keine Gelegenheit gehabt, sich zu äußern. Bei Zwanziger sei die Beweislage "hinsichtlich der subjektiven Tatseite" diffus. Denn er bestreite die Vorwürfe, und "die belastenden Aussagen Dritter (insbesondere Schmidt)" seien nicht verwertbar. Sollte der Prozess doch noch weitergehen, kann es also sein, dass es weniger Beschuldigte gibt. Dies sind bemerkenswerte Einlassungen des Gerichtes. Aber warum gelangt es erst jetzt zu dieser Ansicht? Immerhin lag ihm die Anklage seit August zur Prüfung vor. Es ließ sich viele Monate Zeit und hielt nach der Eröffnung in der Vorwoche ein paar skurrile Verhandlungstage ab, an denen es fast nur ums Coronavirus und Arzt-Atteste ging.

Vor Gericht stehen nur die vier kaiserlichen Ausputzer, die ihre Unschuld beteuern

So ein Finale passt freilich gut zum Ablauf des Verfahrens. Die Kernfigur der Affäre ist ja der damalige WM-Chef Franz Beckenbauer, doch das Verfahren gegen ihn wurde abgetrennt. Vor Gericht stehen nur die vier kaiserlichen Ausputzer, die ihre Unschuld beteuern. Sie sollen den DFB geschädigt haben, als 2005 im April 6,7 Millionen Euro via Fifa an den früheren Adidas-Chef Robert Louis-Dreyfus flossen. Dieser hatte das Geld drei Jahre zuvor Beckenbauer geliehen, das mit bis heute ungeklärtem Zweck beim Fifa-Skandalfunktionär Mohammed bin Hammam in Katar landete.

Möglicherweise ruft das Gericht die Beteiligten noch einmal zusammen, wenn sich bis zum 20. April die Corona-Lage im Tessin geändert haben sollte. Möglicherweise verschiebt sich sogar das Verjährungsdatum ein wenig, weil einige Schweizer Juristen wegen des herrschenden Notstandsdekrets die Fristen verändern wollen. Aber selbst falls es weitergeht, wäre wegen des Verhaltens der Bundesanwaltschaft nur noch die Fortsetzung eines schlechten Films zu erwarten.

© SZ vom 19.03.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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