Der Sommermärchen-Prozess um ungeklärte Millionen-Zahlungen vor der Fußball-WM 2006 steht faktisch vor dem Aus. Am dritten Verhandlungstag des Schweizer Bundesstrafgerichtes in Bellinzona teilte die Vorsitzende Richterin Sylvia Frei am Donnerstag mit, dass der Prozess auf unbestimmte Zeit vertagt werde. Bis dahin müsse die Spruchkammer über zahlreiche Anträge der Beschuldigten beraten, erklärte sie weiter. Allerdings muss das Verfahren bis zum 27. April beendet sein, weil der Vorgang ansonsten verjährt. Es ist nicht vorstellbar, wie das Gericht das noch schaffen will.
Die Verschiebung des Verfahrens liegt insbesondere an den Folgen des Coronavirus. Kurz vor der Verhandlung am Donnerstag teilte der Verteidiger des früheren DFB-Präsidenten Wolfgang Niersbach dem Gericht mit, dass sich sein Mandant in Selbst-Quarantäne begeben habe. Die Münchner Schule, auf die der Sohn von Niersbachs Lebensgefährtin geht, war wegen eines Corona-Verdachtsfalles geschlossen worden. Niersbach habe noch bis Dienstagabend engsten Kontakt zu ihm gehabt und sich deswegen für die Quarantäne entschieden, teilte sein Anwalt mit. Kurioserweise war Niersbach zum Prozessauftakt zum Wochenbeginn gar nicht in Bellinzona erschienen, weil es aufgrund der Nähe zum italienischen Zentrum der Epidemie eine erhöhte Ansteckungsgefahr gebe. Erst am Tag zuvor war er angereist, weil die Richterin diese Erklärung nicht gelten lassen wollte.
Am Mittwochabend war der Kanton Tessin zum Notstandsgebiet erklärt worden
Niersbachs Abwesenheit ist allerdings nicht der einzige Einfluss des Coronavirus auf den Prozess. Am Mittwochabend war der Kanton Tessin mit seiner Hauptstadt Bellinzona zum Notstandsgebiet erklärt worden. Das bedeutet unter anderem, dass sich in einem Gebäude maximal 50 Personen aufhalten dürfen. Diese Marke wird bei diesem Prozess mit vier Beschuldigten und großem öffentlichen Interesse leicht erreicht. Außerdem war Teil des Erlasses, dass Personen, die älter sind als 65 Jahre, im Tessin nicht an öffentlichen Veranstaltungen teilnehmen sollen, weil sie Teil einer besonderen Risikogruppe sind. Alle vier Beschuldigten des Prozesses - neben Niersbach, 69, noch die beiden früheren DFB-Funktionäre Theo Zwanziger, 74, und Horst R. Schmidt, 78, sowie Urs Linsi, 70, als früherer Generalsekretär des Fußball-Weltverbandes Fifa - sind älter.
Zwanziger und Schmidt waren aufgrund gesundheitlicher Probleme, aber auch unter Verweis auf das Coronavirus erst gar nicht angereist. Das Gericht hatte allerdings noch nicht entschieden, ob es diese Abwesenheit als entschuldigt wertet oder nicht, und am Mittwoch sogar einen medizinischen Fachgutachter bestellt. Dessen endgültiges Urteil wurde noch nicht verkündet.
Schon seit Prozessbeginn am Montag waren verschiedene Anträge gestellt worden, die Veranstaltung wegen des Coronavirus zu vertagen. Diese hatte das Gericht allesamt abgelehnt. Nach der Entscheidung der Tessiner Regierung, den Kanton zu einem Notstandsgebiet zu erklären, gingen nach SZ-Informationen allerdings diverse neue Anträge ein. So beantragte Schmidts Anwalt, das Verfahren gegen seinen Mandanten auszusetzen; Zwanzigers Anwalt möchte eine Verschiebung des Prozesses bis mindestens 29. März erreichen - so lange gilt das Notstandsdekret des Kantons Tessin zunächst einmal.
Neben diesen Unklarheiten aufgrund des Coronavirus gibt es außerdem weitere Themen, die das Gericht eigentlich noch klären müsste, bevor es in das Verfahren inhaltlich einsteigen kann. Das betrifft insbesondere das irritierend enge Verhältnis zwischen der Bundesanwaltschaft (BA) und der Fifa, die in diesem Fall Privatklägerin ist. Dazu zählen etwa die Frage, ob der Weltverband diesen Status zu Recht erhielt, und die ungeklärten Umstände eines Geheimtreffens zwischen BA- und Fifa-Vertretern im Juni 2017.
Die Bundesanwaltschaft wirft den vier Beschuldigten vor, durch eine Zahlung in Höhe von 6,7 Millionen Euro im April 2005 den DFB geschädigt zu haben. Diese habe nicht wie offiziell angegeben als Beitrag für eine damals noch geplante und später abgesagte WM-Gala gedient, sondern der Rückzahlung eines Privatkredites. Drei Jahre zuvor hatte der Ex-Adidas-Chef Robert Louis-Dreyfus dem deutschen WM-Chef Franz Beckenbauer zehn Millionen Franken geliehen, die er an den Fifa-Skandalfunktionär Mohammed bin Hammam in Katar weiterreichte.
Der konkrete Zweck dieses Kredites ist bis heute ungeklärt, nach Aktenlage ging es um ein profitables Geschäft mit Fernsehrechten. Das Schweizer Bundesstrafgericht in Bellinzona wird sich mit diesen Fragen wohl nicht mehr beschäftigen. Die vier früheren Funktionäre sind allerdings zugleich noch vor dem Landgericht Frankfurt wegen des Verdachts auf Steuerhinterziehung beziehungsweise Beihilfe dazu angeklagt.