WM-2006-Prozess:Finale um die 6,7 Millionen

Organisationskomitee Fußball-WM 2006

Das Präsidium des Organisationskomitees für die Fußball-WM 2006 (v.l.n.r.): Vizepräsident Wolfgang Niersbach, Vizepräsident Theo Zwanziger, Präsident Franz Beckenbauer und der 1. Vizepräsident Horst R. Schmidt.

(Foto: dpa)

An diesem Montag startet in der Schweiz der Prozess ums Sommermärchen. Worum geht es genau? Und warum steht die Kernfigur Franz Beckenbauer nicht vor Gericht? Fragen und Antworten.

Von Johannes Aumüller

An diesem Montag beginnt in Bellinzona der Prozess des Schweizer Bundesstrafgerichtes zu den verschlungenen Millionen-Transaktionen in der Affäre um die Fußball-WM 2006. Die Justiz steht unter großem Zeitdruck: Bis 27. April muss ein erstinstanzliches Urteil vorliegen, sonst ist der Fall verjährt. Die wichtigsten Fragen und Antworten zum Prozess.

Um was geht es?

Um eine Zahlung von 6,7 Millionen Euro aus dem April 2005. Diese Summe überwiesen die deutschen WM-Organisatoren an den Weltverband Fifa. Formal deklariert war sie als Beitrag zu einer später abgesagten Gala. Tatsächlich floss die Summe von der Fifa weiter an den früheren Adidas-Chef Robert Louis-Dreyfus, um einen Kredit zu tilgen. Louis-Dreyfus hatte drei Jahre zuvor dem WM-Chef Franz Beckenbauer zehn Millionen Franken geliehen, die beim Fifa-Skandalfunktionär Mohammed bin Hammam in Katar gelandet waren. Nach Ansicht der Ermittler haben die Verantwortlichen mit der Überweisung im April 2005 die Aufsichtsorgane getäuscht und den DFB geschädigt; ihnen wird Betrug bzw. Gehilfenschaft dazu vorgeworfen.

Wer ist beschuldigt?

Die Funktionäre, die in die Rückzahlung des Kredites 2005 involviert waren. Auf Seiten des DFB waren das die früheren Präsidenten Theo Zwanziger, 74, und Wolfgang Niersbach, 69, sowie der Ex-Generalsekretär Horst R. Schmidt, 78. Der vierte Beschuldigte ist Urs Linsi, 70, damals Fifa-Generalsekretär. Die deutschen Beschuldigten werden allerdings aus gesundheitlichen Gründen nicht vor Gericht erscheinen, weswegen der Prozess wahrscheinlich erst am Mittwoch richtig beginnt.

Was ist mit Franz Beckenbauer?

Beckenbauer, 74, ist die entscheidende Figur der Affäre. 2002 erhielt er den Kredit und löste den Fluss der zehn Millionen Franken nach Katar aus. Die Ermittlungen der Bundesanwaltschaft (BA) richteten sich auch gegen ihn. In einem Zwischenschritt bezeichnete sie ihn als "eventualiten Anstifter". Er habe darauf gedrängt, dass der Kredit zurückbezahlt werde und sogar den Rücktritt als WM-Chef in Aussicht gestellt, falls dies nicht passiere. Wie alle Beschuldigten beteuert auch Beckenbauer seine Unschuld.

Allerdings steht Beckenbauer nicht vor Gericht, weil sein Verfahren aufgrund seines Gesundheitszustandes abgetrennt wurde. Bemerkenswert ist jedoch, dass das Gericht Beckenbauer als Auskunftsperson vernehmen möchte; das ist eine Spezialität des Schweizer Rechtes, ein Status zwischen Beschuldigtem und Zeugen. Neben Beckenbauer, dessen Anhörung für Freitag vorgesehen ist, hat das Gericht für Donnerstag auch den früheren Fifa-Chef Sepp Blatter vorgeladen sowie Günter Netzer. Er war damals über die TV-Rechte-Firma Infront eng mit Louis-Dreyfus verwoben.

Warum kann der Prozess noch platzen?

Vor allem wegen des Verhaltens der Bundesanwaltschaft bei den Ermittlungen im Fußball-Komplex, die seit fünf Jahren andauern und deren prestigeträchtigster Fall die WM 2006 ist. Denn im Laufe der Ermittlungen kam es zu mehreren nichtprotokollierten Geheimtreffen zwischen BA-Chef Michael Lauber und Fifa-Boss Gianni Infantino. Lauber wurde daher für befangen erklärt, die Verfahren gegen die Ex-Fifa-Generäle Jérôme Valcke und Markus Kattner wurden in der Folge eingestellt.

Im WM-2006-Fall wies das Gericht im Vorjahr zwar einen Antrag zurück, weil dieser verspätet eingegangen sei. Kurz vor Prozessbeginn stellte sich allerdings durch eine Publikation der für die BA zuständigen Aufsichtsbehörde heraus, dass bei einem - von den Teilnehmern kollektiv vergessenen (!) - Geheimtreffen im Juni 2017 außer Lauber, dessen Sprecher, Infantino und dessen juristischem Berater Rinaldo Arnold noch eine fünfte Person dabei gewesen sei. Das ergebe sich aus dem Terminkalender Laubers. In der Veröffentlichung ist der Name geschwärzt. Sollte sie einen Bezug zum Sommermärchen-Verfahren haben, wäre dieses nicht mehr durchführbar. Das Gericht muss die Bundesanwaltschaft dazu drängen, dies offenzulegen.

Nach Informationen des Tages-Anzeiger soll es sich beim geschwärzten Namen um Olivier Thormann handeln, damals als Leiter der Abteilung Wirtschaftskriminalität Chef-Ermittler im Fußball-Komplex. Später wurde er geschasst - ironischerweise wegen nicht angemessener Kontakte mit dem Fifa-Chefjuristen. Allerdings schreibt die Zeitung weiter, dass es Hinweise gebe, nach denen Thormann trotz der Erwähnung im Terminkalender nicht an dem Geheimtreffen teilgenommen habe.

Das ist aber nicht der einzige Punkt, der vor Beginn noch geklärt werden muss. So geht es unter anderem um die Frage, ob die Schweiz überhaupt zuständig ist.

Wofür waren die zehn Millionen Franken 2002 denn nun?

Das ist noch immer ungeklärt - und wird sich nach Lage der Dinge beim Prozess auch nicht weiter klären. Für die BA ist es offenkundig auch nicht maßgeblich. Klar ist nur, dass das Geld bei Bin Hammam landete, den die Ermittler aber gar nicht befragten. Und dass die unter anderem von Beckenbauer vorgetragene Version, es hätten zehn Millionen Franken fließen müssen, um von der Fifa im Gegenzug einen WM-Organisationszuschuss von 250 Millionen Franken zu erhalten (was ein prima Geschäft gewesen wäre)

, nicht glaubhaft ist. Die nach Aktenlage heißeste Spur weist ins TV-Rechte-Geschäft. Eine Bankberaterin von Louis-Dreyfus hielt in einer internen Notiz fest, der Kunde habe einem Geschäftsfreund namens "F.B." zehn Millionen Franken für den Erwerb von TV-Rechten aus dem Nachlass der Kirch-Gruppe geliehen. Die Kirch-Gruppe war 2002 pleitegegangen, ihre wertvollen TV-Rechte an den WM-Turnieren 2006 und 2010 sicherte sich die neu entstehende Firma Infront. Unter den neuen Besitzern waren auch Dreyfus und ein enger Geschäftsfreund Bin Hammams. Später flossen aus Katar und von Louis-Dreyfus noch 7,1 Millionen Euro für Beckenbauer und dessen Schattenmann Fedor Radmann. Doch obwohl die Ermittler früh auf diese Fährte stießen, spielte sie später für sie keine Rolle mehr.

Was hat der Schweizer Prozess mit dem Steuer-Verfahren in Frankfurt zu tun?

Die Staatsanwaltschaft Frankfurt hat Zwanziger, Schmidt, Niersbach und Linsi wegen Steuerhinterziehung beziehungsweise Beihilfe angeklagt, weil die 6,7 Millionen Euro zu Unrecht als Betriebsausgabe angegeben worden seien. Das Landgericht lehnte einen Prozess zunächst ab, das Oberlandesgericht korrigierte dies. Nun liegt der Fall wieder beim Landgericht. Dieses wartet erst einmal, wie der Prozess in Bellinzona verläuft. Denn gemäß Artikel 54 des Schengener Durchführungsübereinkommens darf eine Person auch in zwei verschiedenen Ländern nicht für ein und dieselbe Sache vor Gericht stehen. Durch ein Urteil in Bellinzona könnte also auch das Verfahren in Frankfurt beendet sein.

Hat der Prozess Folgen für den DFB?

Sollte das Gericht zum Schluss kommen, dass die Beschuldigten den DFB geschädigt haben, müsste der Verband versuchen, das Geld wieder reinzuholen. Jedoch müssten das nicht zwangsläufig 6,7 Millionen Euro sein, weil die Fifa geltend macht, dass ihr auch ein Teil zusteht. Zugleich kann sich das Verfahren auf den Disput des DFB mit dem Finanzamt auswirken. Der Verband musste nach Aufdeckung der Affäre 19 Millionen Euro Steuern nachzahlen, weil die Behörde befand, dass die 6,7 Millionen keine Betriebsausgabe seien und dem Verband keine Gemeinnützigkeit zustehe. Die aktuelle DFB-Führung aber ist der Meinung, dass die Zahlung in jedem Fall betrieblich bedingt gewesen sei.

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