Skispringerinnen in Sotschi:Flug auf den Olymp

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Jüngste Teilnemherin in Sotschi: die deutsche Skispringerin Gianina Ernst (Foto: imago/Sven Simon)

Auch Frauen springen von der Skischanze, oft genauso weit wie Männer. Nun starten die Skispringerinnen erstmals bei Olympia. Aufmerksamkeit ist ihnen garantiert - auch weil eine deutsche Athletin die jüngste Olympionikin in Sotschi ist.

Von Lisa Sonnabend

Als Ulrike Gräßler mit sieben Jahren das erste Mal im sächsischen Eilenburg von einer Schanze sprang, gab es ihre Sportart noch gar nicht. Mittlerweile sind 19 Jahre vergangen - und Gräßler fährt in wenigen Tagen zu den Olympischen Spielen nach Sotschi. Skispringen der Frauen steht erstmals im olympischen Programm. "Natürlich ist es etwas ganz Besonderes", sagt die 26-Jährige. "Doch es sind noch fast zwei Wochen, ich werde es wohl erst realisieren, wenn ich im Training den ersten Sprung gemacht habe."

Es ist viel passiert in ihrer Sportart, die erst vor wenigen Jahren offiziell anerkannt wurde. 2009 bei den Nordischen Skiweltmeisterschaften ließ die FIS erstmals einen Frauenwettbewerb austragen, 2011 starteten die Frauen dann in ihre erste Weltcupsaison. Damals gab es zehn Springen, mittlerweile stehen 20 im Kalender. Wenn die Frauen am Wochenende im österreichischen Hinzenbach antreten, berichtet das deutsche Fernsehen zwar nicht live, doch es wird, wie bei mittlerweile fast jedem Wettbewerb, Zusammenfassungen geben. Danach steht der Höhepunkt an: Olympia.

"Es geht Schritt für Schritt voran", sagt Andreas Bauer. Der 50-Jährige ist seit 2011 Cheftrainer des Skisprung-Frauenteams und hat die Veränderungen der vergangenen Jahre verfolgt. "Das Leistungsniveau hat sich extrem verbessert, es gab viele technische Entwicklungen", sagt er. "Auch wenn mehr Aufmerksamkeit natürlich immer schön wäre."

"Wir wollen vorne mitmischen"

Die Frauen springen von Schanzen, die so hoch sind wie die der Männer. Sie machen Sätze, die ähnlich weit gehen. Da die Athletinnen meist kleiner und leichter sind als ihre männlichen Kollegen, haben sie sogar Vorteile beim Springen. Doch genauso anerkannt ist ihre Sportart noch längst nicht.

Bereits vor vier Jahren in Vancouver hätten die Springerinnen gerne bei Olympia mitgemacht - doch das Internationale Olympische Komitee hatte dies abgelehnt. Die Begründung: Wichtige Kriterien seien noch nicht erfüllt worden. So müssen in einer Sportart mindestens zwei Weltmeisterschaften ausgetragen worden sein, ehe sie olympisch wird. 15 Athletinnen versuchten daraufhin sogar, vor Gerichten in Kanada ihre Teilnahme zu erstreiten, sie fühlten sich diskriminiert. Doch vergebens.

In Sotschi werden nun vier deutsche Springerinnen am 11. Februar die RusSki-Schanze hinunter fliegen. Ulrike Gräßler hat die Norm dafür gerade so geschafft, mit dabei sind auch Carina Vogt, Katharina Althaus und Gianina Ernst. "Wir wollen nicht nur zu Olympia fahren, um dabei zu sein", sagt Bauer. "Wir wollen vorne mitmischen."

Die große Favoritin für den Olympiasieg ist die Japanerin Sara Takanashi. Doch Carina Vogt, derzeit Zweite im Gesamtweltcup, wird zumindest eine Silbermedaille zugetraut. Sportlerinnen aus Skisprung-Dynastien wie Polen oder Finnland dagegen werden kaum Chancen eingeräumt. "Sie haben den Anschluss verschlafen", sagt Bauer und lobt deswegen den Deutschen Skiverband (DSV), der früh auf das Frauen-Skispringen setzte. Der Etat wurde rechtzeitig erhöht, in Oberstdorf und Bad Endorf wurden Leistungszentren geschaffen und Juniorenmannschaften gegründet. "Das zahlt sich nun aus", sagt Bauer.

Auch Michael Lais, der Schanzenchef in Hinterzarten, kann von Fortschritten berichten. Der beschauliche Ort im Schwarzwald trägt seit 2012 ein Weltcup-Springen aus. In der vergangenen Saison kamen um die 200 Zuschauer an die Rothaus-Schanze, in diesem Dezember waren es immerhin schon Tausend. Sechs Fernsehteams aus Japan berichteten, das ZDF zeigte den Finaldurchgang live.

Kann fliegen: Carina Vogt (Foto: AP)

Lais arbeitet seit zehn Jahren als Skisprung-Trainer beim Skiclub Hinterzarten - doch noch immer unterrichtet er fast ausschließlich männliche Athleten. In seinem jetzigen Team ist keine einzige Frau. "Es braucht eben ein paar Jahre Aufbauarbeit", glaubt der 33-Jährige. "Viele denken beim Skispringen immer nur: Gefahr!" Lais dagegen hält andere Geschwindigkeitssportarten wie Ski alpin für risikoreicher.

Der SC Hinterzarten überlegt, im Verein einen Girls' Day zu veranstalten, um Mädchen für die Sportart zu begeistern. Doch eines ist laut Lais noch wichtiger, damit sich Skispringen der Frauen im Breitensport durchsetzt: "Es braucht erfolgreiche Springerinnen, die im Fernsehen kommen", sagt Lais. Bundestrainer Bauer sieht es genauso: "Es hängt von den Leistungen der Athletinnen ab."

In Sotschi bekommen die Springerinnen nun die größte Bühne, die die Sportart jemals hatte. Aufmerksamkeit ist den Deutschen während Olympia gewiss - egal wie gut sie abschneiden.

Das liegt an Gianina Ernst, geboren am 31. Dezember 1998. Wäre die 15-jährige Zahnspangenträgerin einen Tag jünger, hätte sie nicht teilnehmen können, da das Internationale Olympische Komitee ein Mindestalter vorgibt. Ernst ist die jüngste Teilnehmerin bei den Spielen in Sotschi. Anfragen internationaler Medien sind bereits eingegangen. "Wir werden sie schützen müssen, damit sie nicht überrannt wird", sagt Bauer. Plötzlich herrscht bei den Skispringerinnen sogar Angst, dass die Aufmerksamkeit womöglich zu groß werden könnte.

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