Skispringen:Das sind die Favoriten der Vierschanzentournee

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Über den Bergen: Karl Geiger, 2021 in Innsbruck. (Foto: Christof Stache/AFP)

Kobayashi, Geiger oder Stoch? Um die Vierschanzentournee zu gewinnen, muss man entweder jung und unbekümmert oder älter und erfahren sein. Eine engere Auswahl möglicher Sieger.

Von Volker Kreisl

Die 70. Vierschanzentournee der Skispringer beginnt am Mittwochabend (16.30 Uhr), wie immer mit dem ersten Springen in Oberstdorf (Qualifikation: Dienstag, 16.30 Uhr). Es folgen das traditionelle Neujahrsspringen in Garmisch - sowie die Wettbewerbe in Innsbruck (4. Januar) und Bischofshofen (6. Januar). Favoriten für den Tourneesieg? Gibt es viele. Zum Beispiel folgende:

RYOYU KOBAYASHI

Eigentlich war es eine Sechs-Schanzentournee, jedenfalls für Ryoyu Kobayashi. Beim Jahreswechsel von 2018 auf 2019 hatte der Japaner einen sagenhaften Lauf beim Springen. Er gewann die Tournee mit Siegen auf allen vier Schanzen, als dritter Athlet nach Sven Hannawald (2002) und Kamil Stoch (2018). Weil Kobayashi aber schon beim letzten Weltcup vor der Tournee gewonnen hatte, weil seine Form auch über die Tournee hinauswies und er gut drauf war, schnappte er sich noch den nächsten Sieg in Val di Fiemme/Italien und damit den Rekord mit sechs Siegen.

In sehr guter Sprungform: der Japaner Ryoyu Kobayashi. (Foto: Fabrice Coffrini/AFP)

Kobayashi, so viel war klar, verfügte über ein Extra-Talent in diesem Sport: Er beherrschte den Übergang in die Flugposition spielend, fast unscheinbar und ohne Luftwiderstand - und segelte daher allen davon. Und obwohl er diese Stärke zwischendurch wieder verlor, so war allen Beobachtern klar: Dieser Kobayashi, zum Skifahren geführt vom Vater, der auch Skilehrer war, zudem vielseitig geschult als Nordischer Kombinierer und dann als leichter, aber kräftiger Spezialspringer zu allem fähig - dieser Kobayashi kommt bestimmt zurück. In diesem Winter war es so weit. Als wären die schweren, vergangenen drei Jahre nicht gewesen, zieht Kobayashi seine Bahn wie programmiert hinab über die grüne Linie des Führenden.

Wenn er mal nicht vorne landete, dann nur deshalb, weil er fehlte: erst wegen eines zu weiten Anzuges und dann nach einem Corona-Positivtest mit anschließender Quarantäne. Aus den Pausen kam Kobayashi nahezu unverändert zurück, und seine Sprungform hat dabei so wenig gelitten, dass er sogar die nächste Sechs-Schanzentournee anpeilen könnte. Der erste Schritt wäre schon getan: Der Sieger in Engelberg, beim letzten Weltcup vor der Tournee, hieß jedenfalls Ryoyu Kobayashi.

KARL GEIGER

Der japanische Springer mit dem überragenden Talent gilt als Top-Favorit, auch weil er trotz seiner Fehltage Weltcup-Zweiter ist, und die bessere Quote hat. Andererseits - erlebte nicht Karl Geiger, der andere Groß-Favorit dieser Tage, zuletzt eine Karrierephase, nach der ihm alles zuzutrauen ist, auch der erste deutsche Vierschanzenztournee-Sieg seit Hannawald 2002?

Hat sehr turbulente Monate hinter sich: Karl Geiger. (Foto: Fabrice Coffrini/AFP)

Nochmal, in aller Kürze, die vergangenen 15 Monate: Der Oberstdorfer Geiger empfahl sich Anfang des vergangenen Winters als Tournee-Mitfavorit, wurde Vater, erwischte in dieser Zeit Corona und verschwand in Quarantäne. Die völlig neue Welt mit Baby erlebte er zunächst online, wurde dann Tournee-Zweiter und später, bei der WM 2021 im eigenen Dorf, Doppel-Weltmeister und Silbergewinner von der Normalschanze. Im März beendete er seine Saison als Zweiter, im November gewann er den ersten Weltcup des nächsten Winters. Die Frage ist also, wer von den beiden der größere Favorit ist: Kobayashi, das Talent, das nur sporadisch in Topform ist, dann aber über alle hinauswächst. Oder der solide gereifte Geiger, der mit technischem Verstand an die Sache herangeht und sich langsam seinen Zielen nähert. Oder einer, der beides vereint, etwa Halvor Egner Granerud.

HALVOR EGNER GRANERUD

Um die Tournee zu gewinnen, muss man entweder jung und unbekümmert sein, oder älter und erfahren. Die Tournee verlangt nicht nur die Kunst des Siegens, sondern auch des Abschaltens und Nach-vorne-Blickens. Granerud vereint beide Vorteile. Er ist 25 Jahre alt, kann somit Rückschläge leichter vergessen. Andererseits hat er die Erfahrung von fünf Jahren im Weltcup gesammelt, zudem das Selbstbewusstsein von einem sehr erfolgreichen Winter 2020/21, in dem er auch die Tournee anfangs beherrschte, eher er auf den schwierigen, weil gegensätzlichen Schanzen in Innsbruck und Bischofshofen den Rhythmus verlor.

Wartet auf die Fehler der Favoriten: der Norweger Halvor Egner Granerud. (Foto: Jens Schlüter/AFP)

Doch nach vorne zu schauen, das beherrscht er, wie auch in diesem Winter, den er tadellos mit Siegen begonnen hatte, dann etwas nachließ und wie alle unter den Kapriolen der eigenen Form litt, aber aktuell wieder als Weltcupdritter auf Fehler der ersten Favoriten wartet.

KAMIL STOCH

Der Plan ging wunderbar auf. 135 Meter weit war Kamil Stoch im ersten Wettkampfsprung der Saison gekommen und hatte damit alle anderen hinter sich gelassen. Eine weitere persönliche Spitzensaison lag also vor ihm. So musste es ja kommen, denn der 34-jährige Pole, hatte im Frühling davor einen weiteren großartigen Winter absolviert, unter anderem mit seinem dritten Sieg bei der Vierschanzentournee. Tatsächlich ging der Plan nicht auf. Die 135 Meter, Stochs erster Erfolg, brachten ihm zwar den Sieg in der Qualifikation von Nischni Tagil in Russland, danach aber ergriff auch ihn ein heftiger Formwirbel.

Er weiß, wann es zählt: der Pole Kamil Stoch. (Foto: Hendrik Schmidt/dpa)

Stoch fand bislang zu keiner Konstanz. Dennoch lasten die Hoffnungen der im Skispringen wohl leidenschaftlichsten Fans auf ihm, denn die anderen polnischen Springer stecken tatsächlich in der Krise, sie liegen durchschnittlich 25 Plätze hinter Stoch. Dawid Kubacki, zuletzt Tournee-Dritter, hat erst 20 Weltcuppunkte gesammelt und liegt auf Rang 39. Stoch ist immerhin Elfter, was zwar auch kein Indiz für einen Sieganwärter ist - wäre es nicht Stoch, der Tournee-Grand-Slam-Sieger von 2018, jener erfahrene Springer, der längst bewiesen hat, dass er rechtzeitig in Form kommen kann, nämlich dann, wenn es zählt.

STEFAN KRAFT

Stefan Kraft ist zwar sechs Jahre jünger - und doch eine Art Kamil Stoch der Österreicher. Auch er hat die Tournee schon gewonnen, er feiert seit Jahren Erfolge bei Olympia, bei Weltmeisterschaften, im Springen wie im Fliegen. Und doch muss Kraft regelmäßig von vorne anfangen. Auch er hatte im Dezember seine Leichtigkeit verloren. Immer wieder war er der beständigste Springer, nicht nur in seinem Team, sondern auch international. Dennoch braucht er diesmal lange, bis er sich auf seinen Sprung verlassen kann: Eingestiegen ist er in den Winter anders als Stoch - Kraft verpasste in Russland die Qualifikation. Dann sprang er sicherer, auch aufs Podest, bis er wieder den Faden verlor, vor allem zuletzt in Engelberg.

Will offensiv und sorglos springen: der Österreicher Stefan Kraft. (Foto: Hendrik Schmidt/dpa)

Krafts Problem lag in den ersten Flug-Metern, beim Systemschluss über dem Vorbau. "Wenn ich es zu sehr richtig machen will, zu brav vorgehe", sagte Kraft, dann werde nichts draus. Offensiv springen, sorglos springen, das sei die Lösung. Das klingt leicht, ist aber sehr schwer, vor allem jetzt für Kraft, wenn es um die Tournee geht. Er liebt zwar alle vier Schanzen, doch sein einziger Sieg liegt auch schon sieben Jahre zurück.

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