Skispringen:Gold für alle

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Vier Weltmeister: Pius Paschke, Markus Eisenbichler, Severin Freund und Karl Geiger (von links) bei der Medaillenzeremonie (Foto: Karl-Josef Hildenbrand/dpa)

Die deutschen Männer gewinnen das Teamspringen bei der WM - Karl Geiger und Markus Eisenbichler treten gar in einen Vierer-Klub ein.

Von Volker Kreisl, Oberstdorf

Zehn, vielleicht zwanzig Mal war Karl Geiger in dieser langen Saison schon da oben gesessen, auf einer Schanze des Weltcups, oder bei der Tournee oder auch einer Weltmeisterschaft, am Anfang. Auf und Ab verlief die Form seit November, aber jetzt ging es nochmal um alles. Um die letzte eigene Bestätigung, aber auch um die Chancen seiner Springergefährten unten, um die Belohnung der Trainer und die Verbandsmenschen dahinter, also auch ums große Ganze.

Da kann man schon mal den rechtzeitigen Absprung, diese etwa zehn Zentimeter lange Stelle kurz vor dem Abgrund verpassen. Doch Geiger nahm am Samstagabend auf der großen Schattenbergschanze in tiefer Hocke Anlauf und streckte sich punktgenau dort in die Luft, wo ihn die Kräfte hoch hinauswarfen. Exakt wie ein Flugzeug klappte er sein Fahrwerk ein und breitete zugleich seine Flügel aus, ohne dabei langsamer zu werden. Ein paar unscheinbare Wackler schienen kurz das System zu stören, aber der Flug blieb stabil, und als Geiger aufzukommen schien, da wirkte es, als zünde er noch ein weiteres Triebwerk, das ihn klar über die grüne Linie hievte. Und das bedeutete fürs große Ganze dann Gold.

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:Deutsches Team fliegt zu Gold

Erst beim letzten Springer fällt die Entscheidung: Deutschland gewinnt das Teamspringen der WM vor Österreich - Karl Geiger holt damit in jedem Wettbewerb eine Medaille.

Dawid Kubacki, der Schlussspringer der Polen, war nicht in der Verfassung zu kontern, weshalb dann doch einiges los war bei der letzten Sprung-Show dieser Weltmeisterschaften im zuschauerfreien Stadion von Oberstdorf. Anwesende örtliche Volunteers verwandelten sich zu aktiven Fans und jubelten, denn das deutsche Quartett hatte gewonnen, und zwar ein Springen, das bis zum letzten Mann spannend blieb.

Am Ende wurden die Österreicher um Stefan Kraft Zweiter und Polens Team Dritter. Für Geiger, der in diesen Tagen schon Silber von der Kleinschanze, Gold im Mixed und Großschanzen-Bronze errungen hatte, war es also der zweite Titel. Eisenbichler hat nun auch zwei aktuelle goldene Medaillen, und die beiden anderen im Viererteam, Pius Paschke und Severin Freund, errangen jeweils ihre erste Trophäe, jubelten aber mindestens genauso laut.

Eisenbichler führt seinen wohl besten Sprung dieses Winters vor

Denn jeder hatte seinen eigenen Grund. Pius Paschke aus Kiefersfelden war lange im Durchschnitt der Weltcupspringer gelegen. In dieser Saison gelang es dem 30-Jährigen erstmals, beständig unter den besten Zwanzig zu landen, aber den großen Coup hatte er nicht geschafft. Am Samstag erwies er sich mit Sprüngen auf 136,5 und 132 Metern als wichtiger Rückhalt.

Anders als Paschke hat Severin Freund, 32, eine lange Karriere mit WM-Einzel-Siegen, mit einem zweiten Platz bei der Tournee und dem Sieg im Gesamtweltcup hinter sich. Doch diese Zeit liegt weit zurück, Freund riss zweimal das Kreuzband, er hat eine lange Verletzungsphase hinter sich, ist auch schon länger auf dem beschwerlichen Weg zurück und könnte mit seinen soliden Sprüngen nun etwas von dem alten Selbstvertrauen zurückgewinnen.

Die beiden Frontspringer der Deutschen, Markus Eisenbichler und Karl Geiger, wiederum stellen den aktuellen Erfolg des Teams dar, sind bekanntlich Doppelzimmer-Freunde, aber völlig unterschiedlich im Temperament. Während Eisenbichler seiner Wut freien Lauf lässt, wenn ihm etwas gründlich misslingt, etwa am Freitag, als er im Einzel nach der Landung gestürzt war, bleibt Geiger anscheinend immerzu gelassen. Der eine verarbeitet also Rückschläge, indem er sich abreagiert, der andere, indem er Fehler für sich analysiert und als Notizen in seinem Buch festhält.

Eisenbichler kam aus seiner Krise nach dem Freitagssturz rechtzeitig wieder heraus und führte im zweiten Durchgang dieses WM-Teamspringens seinen wohl besten Sprung dieses Winters vor. Er segelte mal wieder richtig weit nach Art der Greifvögel, die weit unten ihre Beute gesichtet haben - auf 138,5 Meter. Damit hielt er die Deutschen an der Spitze, was Geiger letztlich mit seinem letzten Einsatz an diesem Abend aufgriff und vollendete - 136 Meter, zweites Gold.

Die Norweger spielen ohne Granerud diesmal keine Rolle

Glück war schon auch dabei, Polens Tourneesieger Kamil Stoch hatte seine Form zwar wiedergefunden, aber leider mit Verspätung, sein stärkster Sprung seit Wochen gelang ihm erst im zweiten Durchgang. Und die Norweger, die nominell stärkste Mannschaft in diesem Winter, sprangen ohne ihren besten Mann, Halvor Egner Granerud. Der saß wegen seines Corona-Positivtests im Hotel vermutlich vor dem Fernseher, und was er sah, dürfte ihn kaum aufgebaut haben.

Ein misslungener Sprung von Marius Lindvik und darauf auch noch der von Daniel Andre Tande warfen das Team gleich derart weit zurück, dass es die grüne Linie des Führenden wegen Hinfälligkeit gar nicht mehr sah. Sie wäre, falls technisch machbar, in der Nähe des Auslauf-Endes aufgeleuchtet.

Andererseits bleibt es auch fraglich, ob Norwegens Team die an diesem Abend so gut funktionierende Mannschaft des DSV überboten hätte. Am Ende dieses Tages waren sie Weltmeister und zwei sogar noch mehr: Eisenbichler und Geiger rückten mit diesem Titel in manchen Statistiken vor, beide traten in einen Vierer-Klub ein. Eisenbichler steht mit seinem sechsten Titel nun auf Platz vier der ewigen Weltmeisterliste. Und Karl Geiger fand dieser Tage Eingang in den Verein jener, die binnen einer einzigen WM vier Sprung-Medaillen sammelten. Ob das diese beiden immer auf den nächsten Wettkampf fokussierten Sportler groß kümmert, ist eine andere Frage.

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