Vierschanzentournee:Skispringer Ammann vertraut sich dem Wind an

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Simon Ammann musste seine Lockerheit beim Springen erst wieder finden. (Foto: dpa)
  • Skispringer Simon Ammann kehrt nach seinem schweren Sturz zur Vierschanzentournee zurück.
  • Der Schweizer musste nicht nur seine Angst überwinden, sondern zudem seine Technik umstellen.
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Von Volker Kreisl, Oberstdorf

Es war ein perfekter Tag. Alles war friedlich, er hatte die Schanze ganz für sich allein. Spontan war Simon Ammann nach Bischofshofen gefahren, nachdem er sich zunächst lange um diesen Besuch gedrückt hatte. Aber dann wurde es ein klarer, windstiller Herbsttag, "und sie haben die Spur noch einmal geputzt", erzählt er. Und irgendwann musste er eben den ersten Sprung machen, und "dann machst du das, was du als Skispringer machen musst: oben loslassen".

Man stellt sich vor, dass für einen Skispringer wie Simon Ammann das Loslassen selbstverständlich ist. Der Schweizer ist ja schon 2002 Doppelolympiasieger geworden, und dann noch mal 2010. Am Montag startet er zum 18. Mal bei der Vierschanzentournee. Er ist Tausende Male oben vom Balken gerutscht und hat sich dem Wind anvertraut, so oft, dass es eine Angst vor der Unsicherheit eigentlich gar nicht mehr geben kann. Und wenn man keine Angst mehr verspürt, muss man sie auch nicht mehr loslassen.

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Aber dieser Sprung nun in Bischofshofen war ja doch wie ein Anfang. Es war ein gewaltiger Schritt und eine Bewährungsprobe für den nun rundum erneuerten und wieder ziemlich ambitionierten Skispringer Ammann. Wie es halt ist, wenn man nach einem Jahr an den Ort seines schlimmsten Sturzes zurückkehrt.

Ammann: "Ich habe jetzt einen unbeschwerten Zugang."

Die bis dahin letzte Erinnerung an Bischofshofen waren Bilder vom Schnee und von den Sanitätern. Danach war Ammann erst im Krankenhaus wieder aufgewacht. Er war nach einem weiten Sprung bei der Landung gestürzt und bäuchlings bei über 100 Stundenkilometern mit dem Gesicht nach unten durch den Schnee gerutscht. Er hatte Prellungen und Schürfwunden davongetragen und eine schwere Gehirnerschütterung - und zudem das für einen notorischen Skisprung-Analytiker und Selbstkontrolleur schwer zu verkraftende Rätsel, weshalb er sich um Gottes willen nicht wie sonst instinktiv zur Seite geworfen hatte.

In drei Tagen läuft das Jahr 2015 ab, und der Weg, den er in den knapp zwölf Monaten zurückgelegt hat, war weiter als einst der zu seinen Erfolgen. Ammann hat nur extreme Außenseiterchancen bei der Tournee, und doch könnte er für eine Überraschung sorgen. Denn der Athlet Ammann arbeitet rastlos wie immer. So wie in früheren Zeiten, als er eine neue Bindung erfand, mit der heute alle springen, hat der 34-Jährige sein Sprungsystem erneuert. Er tastet sich langsam nach oben, und keiner weiß genau, ob ihm in dieser Entwicklung nicht plötzlich ein mächtiger Sprung gelingt. Er steht im Gesamtweltcup zwar nur auf Platz 14, aber er sagt: "Ich habe jetzt einen unbeschwerten Zugang."

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Das erfolgreiche Training im sonnigen Bischofshofener Herbst war nur einer von vielen Bausteinen für die Rückkehr. Am wichtigsten ist seine neue Landung, die ihm bis heute allerdings nur ansatzweise gelingt. Ammann hatte sich schon vor seinem Sturz mit dem Gedanken befasst, seinen Bewegungsablauf umzustellen. Als er im Krankenhaus über den Sinn einer Rückkehr grübelte, war klar, dass die Zeit reif war für die neue Landung.

"Ich hatte kein Vertrauen mehr in das linke Bein", hatte er schon im Sommer gesagt. Es geht um den Telemark, den Ausfallschritt, bei dem starke Kräfte auf das vordere Knie wirken, der aber wichtige Haltungspunkte bringt. Sein stärkeres Bein war schon früher das rechte, dennoch sprang er 17 Jahre lang nach einer Verletzung in den linken Ausfallschritt. Doch wirklich stabil fühlte er sich nicht. Nun muss das linke Bein zurück, nur - das rechte traut sich auch nicht wirklich.

Den Telemark nach 17 Jahren umzustellen, ist in etwa so, als würde ein erfahrener Tennisspieler plötzlich den Schlagarm wechseln. Es ist wie eine Revolution, und dafür müssen auch alle anderen Elemente des Sprungs passen. Wenn im Flug etwas nicht stimmt, wenn die Windverhältnisse unsicher sind, die Sicht schlecht ist oder schon der Absprung nicht hundertprozentig funktioniert, dann ist der intuitive Ablauf gestört. Dann gehorcht der Körper nicht dem Plan. Dann bleibt das rechte Bein parallel zum linken, und der viermalige Olympiasieger Simon Ammann landet wieder wie ein Anfänger mit beiden Beinen gleichzeitig.

Er sagt: "Der Knackpunkt ist der, den Anflug so hinzubekommen, dass es wirklich funktioniert." Ammann versucht also, "möglichst viel Feedback vom Flug zu bekommen und möglichst viel Lockerheit in den Sprung reinzubekommen". Er braucht dazu Wettkampfpraxis, doch davon gab es in diesem Winter zu wenig. Nach dem persönlichen Wettkampf mit dem inneren Schweinehund in Bischofshofen folgte noch ein Weltcup in Klingenthal unter regulären Umständen, der nächste fiel wegen zu viel Wind aus, die beiden folgenden wurden durchgeführt, waren aber, wie es auch der österreichische Bundestrainer Heinz Kuttin ausdrückte, "eine Katastrophe". Es war zu viel Bewegung in der Luft, um Sicherheit zu gewinnen.

Probleme mit dem Auge behindern Ammann

Simon Ammann hat zudem eine Sehschwäche, die ihm das Fixieren erschwert, zum Beispiel die Berechnung des Landepunkts, wenn er über die Kuppe kommt. "Meine Augen brauchen einfach ein bisschen Zeit, bis sie einen Punkt gefunden haben, wenn ich ums Eck komme", sagt er. Also muss in der ersten Flugphase alles schnell gehen und perfekt passen. Sonst, sagt Ammann, könne es passieren, dass er nach unten komme, ohne das Ziel zu sehen, "und dann ist es dort nur noch weiß".

Dennoch, manchmal sieht es schon so aus, als wage sich Ammanns rechter Fuß doch nach vorne. Eine Andeutung ist es nur, und erfahrene Schweizer Kollegen, die viele Ammann-Sprünge gesehen haben, schränken ein, dass es nur ein geschobener Telemark sei, also ein Trick, ein angedeuteter, gerutschter Schritt nach der Landung. Für Ammann ist es jedenfalls ein Fortschritt. Einer, der so lange dabei ist, und nach einem der heftigsten Stürze der vergangenen Jahre noch einmal von vorne anfängt, der setzt eben auf Perfektion und nicht auf Draufgängertum. Und seine Landungen setzt er nicht mehr sorglos dorthin, wo alles nur noch weiß ist.

© SZ vom 28.12.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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