Skispringen:Die Frauen sitzen am Katzentisch

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Seit zehn Jahren ebenso erfolgreich unterwegs wie die Männer: Katharina Schmid. (Foto: Philipp Schmidli/dpa)

Die Skispringerinnen sehnen sich nach einer Vierschanzentournee, wie sie die Männer haben. Stattdessen müssen sie sich mit einer Mini-Tour begnügen - die nicht mal eine echte Tour ist.

Von Volker Kreisl

Dass im Sport, zumal bei einem seiner Höhepunkte im Jahr 2023, aus Prinzip nur das eine Geschlecht antreten kann, kann eigentlich nicht sein. Schließlich sind in allen olympischen Sparten doch längst alle etabliert. Gewiss, die Sportgymnastik der Frauen ist eine Ausnahme, jedoch fühlen sich davon noch sehr wenige Männer diskriminiert. In der ganzen Sportwelt besteht Parität, doch stopp - im Skispringen, genauer im Alpen-Skispringen, wird auch in diesem Jahr noch Widerstand geleistet.

Nur die Männer dürfen ihre klassische Vierschanzentournee in Oberstdorf, Garmisch, Innsbruck und Bischofshofen bestreiten, mit allem Drum und Dran und mit besonders mitreißendem Publikum zum Auftakt. Die Frauen sind nun zwar scheinbar auch dabei, sie springen gleichzeitig in Garmisch-Partenkirchen, auch vor Publikum, doch wohl kaum vor einem rockkonzertlauten Oberstdorf-Roar. Katharina Schmid, ehemals Althaus, die beste deutsche Springerin seit vielen Jahren, ist zwar froh, überhaupt irgendwie dabei zu sein, sagt aber auch: "Die TNT ist ein Trostpflaster."

"Die TNT ist ein Trostpflaster." - Katharina Schmid. (Foto: Günter Hofer/Imago)

Die Skispringerinnen weltweit stecken nun in einem moralischen Dilemma, und Schmid verkörpert dieses recht gut. Sie zählt trotz des aktuellen Rückstands im Weltcup der gesamten deutschen Mannschaft zu den weltweit besten Springerinnen. Und jetzt, da sich in ihrem Heimatort Oberstdorf wieder die besten Springer im Marktflecken versammeln, da die Betten ausgebucht sind, der Trubel der Fußgängerzone jenem in München ähnelt, da fühlen sich die seit Jahren schon skispringenden Frauen in Garmisch, als säßen sie bei dieser Fete an einem Katzentisch namens TNT, "Two-Nights-Tour".

Die "Two-Nights-Tour" bleibt trotz aller guten Vorsätze ihrer Erschaffer ein Übergangskonstrukt. Der Name TNT mag schmissig klingen, ist aber mit zwei Stationen kaum eine Tour. Denn etwas, das nur aus Start und Ziel besteht, ist keine Tour, sondern höchstens eine Mogelpackung.

Schmid hat bereits eine klassische olympische Karriere hinter sich. Sie ist zweimal Olympiazweite geworden, in Pyeongchang/Südkorea 2018 und in Peking 2022. Bei Weltmeisterschaften sammelte sie sieben Goldmedaillen, eine davon im Einzel, dazu kamen diverse weitere Medaillen. Sie ist also seit grob zehn Jahren ebenso erfolgreich unterwegs wie die Männer, die am Ende einer wirklichen Tournee ihr Ziel erreichen - nämlich Bischofshofen im Pongau und nicht Oberstdorf.

Die Kosten einer zweiten Tournee wären durchaus beachtlich. Viele der Ausgaben, die für die Organisation unverzichtbar sind, würden sich im Vergleich zum bisherigen Etat zwar wohl nicht verdoppeln, aber deutlich steigern. So müssten etwa mehr Shuttles für die Teams angemietet werden, es müsste mehr Personal zwischen den Jahren eingestellt werden. "Das ist eine Riesenbelastung für den Veranstalter", sagt Alexander Stöckl, der seit 21 Jahren die Norweger trainiert. Für das eigentliche Ziel der Frauen, nämlich komplette Gleichberechtigung im Springen, müsse man noch etwas warten.

"Es ist bitter und langsam enttäuschend, dass wir noch keine Vierschanzentournee haben", sagt Schmid

Nur, warum eigentlich? Für Schmid und die meisten Skispringerinnen sind solche Sätze eher enttäuschend. Die meisten von ihnen wollen Teil dieses wirklich spektakulären Wettkampfs von Weihnachten bis zum Dreikönigstag sein. Von jener Tournee, die Tradition hat, dazu Vielfältigkeit und Spannung. Und ein enormes Zuschauerpotenzial, vor allem an den diversen kleinen Screens und großen heimischen Bildschirmen, die in allen Wohn- und Kinderzimmern zwischen den Jahren nachmittags ab 16 Uhr leuchten. Diese Aussicht, dieses Ausnahmepublikum treibt Katharina Schmid an, auch die Weltcupführende Josephine Pagnier (Frankreich), die Gesamtzweite Kanadierin Alexandra Loutitt, die Dritte Juki Ito aus Japan und alle anderen. "Es ist bitter und schon langsam enttäuschend, dass wir noch keine Vierschanzentournee haben", findet Schmid.

Überhaupt, sagt ihr Teamgefährte und Olympiasieger Andreas Wellinger, außer mit der Tournee könnte auch der Weltverband die Springerinnen noch anders stärken. Er könnte neben den Einzelweltcups und den klassischen Teamspringen auch den Mixed-Wettbewerb wieder einführen. "Das ist einer der interessantesten Wettbewerbe, die wir haben", findet Wellinger. Das Mixed sei immer beliebt gewesen, denn es stärkt die kleinen Verbände mit weniger Springern, die weder ein schlagkräftiges Viererteam für Männer noch Frauen aufbringen können, aber je zwei starke Duos für eine Vierer-Mixed-Mannschaft, erklärte Wellinger vor zwei Wochen beim Weltcup in Engelberg.

Dieser Termin galt immer als eine Art Tournee-Generalprobe, diesmal wie immer mit zwei Männerspringen und erstmals mit zweien der Frauen. Engelberg liegt unter einem hinreißenden Felsen- und Schneepanorama, ist aber ein kleiner Weltcuport. Doch er hat alles geschafft. Obwohl das Personal begrenzt war, fehlte es an nichts. Gut, der Platz zum Umziehen war in der kleinen Turnhalle etwas begrenzt, etwa als das eine Team bei der Engelberger Frauen-Premiere schon in der Umkleide saß, als das andere gerade hineinwollte.

Doch was soll's, am Ende hatte das kleine Engelberger Organisationskomitee das kleine Problem gelöst. Genauso, wie man dem großen Vierschanzen-OK, das auf 70 Jahre Erfahrung zurückblickt, zutrauen kann, die Probleme der großen Tournee vielleicht schon im kommenden Jahr zu lösen. Und eine Tournee zu schaffen, die mit zwei Teilnehmerfeldern aufbricht - mit Frauen und Männern, in einer Richtung, nach Osten, auf vier Schanzen.

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