Skiflug-WM:Erster: Geiger

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Großer Jubel: Karl Geiger fliegt am weitesten. (Foto: Darko Bandic/AP)

Auf der Riesenschanze von Planica geht jeder Flug über 200 Meter weit - doch am Ende beträgt der Vorsprung gerade einmal 0,5 Punkte. Karl Geiger wird Weltmeister im Skifliegen, es ist der größte Sieg seiner Karriere.

Von Lisa Sonnabend

Karl Geiger blickte hinunter, er stieß sich ab. 134 Meter fuhr er auf der Anlaufspur der Letalnica, der zweitgrößten Schanze der Welt, hinab, 105 Kilometer pro Stunde wurde er schnell. Er sprang ab - und flog. Nach 231,5 Metern landete er. Es war nicht sein weitester Sprung in diesem Wettkampf, doch es reichte: Der Springer aus Oberstdorf wurde im slowenischen Planica zum ersten Mal Skiflug-Weltmeister, es ist der größte Triumph seiner Karriere.

Die Entscheidung an diesem Samstagnachmittag war äußerst knapp. 877,6 Punkte erzielte Geiger bei vier Sprüngen, gerade einmal 0,5 Punkte mehr als der zweitplatzierte Halvor Egner Granerud, der Weltcup-Führende aus Norwegen. Dritter wurde Markus Eisenbichler. Als das Ergebnis feststand, sank Geiger auf die Knie. "Ich bin baff", sagte er. "Ich habe gebibbert bis zum Schluss." Der 27-Jährige grinste breit. Die Regie spielte im leeren Stadion das Lied "We are the Champions" ein. Bei der Siegerehrung sprang Geiger hoch in die Luft, als er ganz oben auf dem Podest angekommen war.

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Der Deutsche springt einmal 241 Meter weit - und wird in Planica Weltmeister im Skispringen. Auch Markus Eisenbichler steht auf dem Podest.

Begonnen hatte der Wettbewerb in Planica bereits am Freitagnachmittag. Geiger hatte einen ersten Sprung hingelegt, der "absolute Rakete" war, wie er selbst fand. Sein Teamkollege Eisenbichler war im zweiten Durchgang am weitesten gesegelt, 247 Meter weit, "Granate" nannte er seinen Versuch und brüllte laut. Da Eisenbichler im ersten Versuch Pech mit den Windverhältnissen gehabt hatte, ging Geiger als Führender in den zweiten Wettkampftag, Granerud, Eisenbichler und der Österreicher Michael Hayböck nur wenige Meter hinter ihm. "Damit habe ich nicht gerechnet", meinte Geiger.

Granerud knabberte am Handschuh, Geiger blickte in den Himmel

Am Samstag herrschten dann gute und weitgehend ausgeglichene Bedingungen. Geiger stand während des dritten Durchgangs oben auf der Schanze und beobachtete, wie die Sonne unterging und wie seine drei Verfolger nach dem Landen alle die Faust ballten. Geiger erwischte den Absprung nicht ganz optimal, doch er segelte weit. So weit wie kein anderer beim dritten Sprung: 240,5 Meter. Der 27-Jährige konnte, da er Aufwind hatte, sogar im Telemark landen. "Yes", rief er laut. Der Bundestrainer Stefan Horngacher ballte die Faust. 7,7 Punkte betrug sein Vorsprung.

Im vierten Durchgang, es war mittlerweile dunkel, legte erst Eisenbichler vor, dann gelang Granerud mit 243 Meter der weiteste Satz am Samstag. Doch Geiger ließ sich nicht beeindrucken. Er korrigierte in der Luft ein wenig mit den Händen, flog nicht so weit wie der Norweger, aber weit genug. Granerud knabberte an seinen Handschuh, Geiger stand im Inneren des Leeren Stadions und blickte in den Himmel - bis endlich das Ergebnis verkündete wurde.

Geiger war der konstanteste Springer in Planica, er kam wie kein anderer mit der Riesenschanze zurecht. Normalerweise geht es für die Athleten erst im Frühjahr zur WM im Skifliegen, wenn sie bereits viele Sprünge auf den kleineren Schanzen in den Beinen haben. Wegen der Pandemie wurde die Weltmeisterschaft jedoch vom März in den Dezember vorgezogen. Kein Springer wusste deswegen so recht, was auf ihn zukommen würde. Im Sommer hatten sie kaum Sprünge absolviert, die Mattensprungwettbewerbe fielen aus. Im Winter standen bislang erst fünf Einzelwettkämpfe an. Für manche kam die Weltmeisterschaft deswegen zu früh: Der Japaner Ryoyu Kobayashi sucht noch nach seiner Form, der Österreicher Stefan Kraft, Gesamtweltcup-Sieger im vergangenen Winter, kämpfte in den vergangenen Tagen erst mit einer Coronavirus-Infektion, nun mit Rückenbeschwerden.

Ein unerwarteter, aber nicht überraschender WM-Titel

Der WM-Titel von Geiger kam unerwartet, aber nicht überraschend. Nach und nach hatte der Oberstdorfer sich in seiner Karriere verbessert, an der Technik, an Details bei der Abfahrtshocke und dem Absprung gefeilt. Vor eineinhalb Jahren startete er schließlich durch. Sechs Weltcup-Springen gewann er seitdem, bei der Nordischen Ski-WM 2019 in Seefeld wurde er Vizeweltmeister von der Großschanze, bei der Vierschanzentournee 2019/2020 kam er aufs Podest, den Gesamtweltcup beendete er als Zweiter.

In diesem Winter stand er jedoch im Schatten von Eisenbichler, der bereits bei zwei Einzel-Wettbewerben gesiegt hatte. Beim Auftaktspringen in Wisla wurde Geiger hinter seinem Teamkollegen Zweiter, in Ruka kam er dann nicht aufs Podest. Während die Konkurrenten Anfang Dezember ins russische Nischni Tagil reisten, zog es Geiger in seinem Heimatort Oberstdorf. Seine Frau erwartet in diesen Tagen ihr erstes gemeinsames Kind, Geiger wollte Zeit mit ihr verbringen. Als er in Planica wieder zum Team stieß, sagte Bundestrainer Horngacher: "Karl ist jetzt frei im Kopf." Das war er an diesem Wochenende tatsächlich wie kein anderer Springer.

In zweieinhalb Wochen beginnt in Oberstdorf die Vierschanzentournee. Die Schanzen dort sind kleiner, doch der Favorit in diesem für Skispringer unberechenbaren Winter heißt nun: Karl Geiger.

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