Skifahrer Stefan Luitz:Mit Anfängerkurs und Knieschiene

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Stefan Luitz in Alta Badia. (Foto: dpa)

Im Februar riss sich Stefan Luitz das Kreuzband, das bedeutet eigentlich sechs Monate Pause. Doch Luitz fährt schon jetzt wieder sehr beachtliche Ergebnisse ein. Das verdankt er seinem Mut, seinem Trainer und einer Erfindung.

Von Michael Neudecker, Alta Badia

Das komische Gefühl war von Anfang an da, sagt Stefan Luitz, am Samstagabend, am Sonntagmorgen, und dann noch mal Sonntagmittag.

Der Skirennfahrer Stefan Luitz, 20, ist an diesem Wochenende in Alta Badia erstmals unter den besten 15 der Welt im Riesenslalom gestartet. Die besten 15 dürfen am Samstagabend zur öffentlichen Startnummernauslosung, in Alta Badia haben sie dafür eine Bühne aufgebaut, die Fans jubelten, wenn wieder einer auf die Bühne kam, es war ein Volksfest mit Glühwein.

"Da wollte ich immer hin", sagt Luitz, aber wer auf der Bühne steht, wird beobachtet, bewertet, und das hat dieses Gefühl bei Luitz ausgelöst, dieses mulmige Gefühl, das er noch mal vor dem Start des ersten Durchgangs am Sonntagmorgen und dem Start des zweiten am Mittag hatte. Das Gefühl, dass die Welt ihn anstarrt. Und erwartet, dass er schnell fährt, schon wieder.

Verletzte Skifahrerin
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"Es ist total kaputt": Lindsey Vonn hat sich erneut das Kreuzband im rechten Knie gerissen - und absolviert trotzdem noch Weltcup-Rennen. Bisher hieß es, das Band sei lediglich angerissen. Den Traum von Olympia will die Amerikanerin dennoch nicht aufgeben.

Leistung abrufen, so heißt das im Sportlerdeutsch, es ist der feine Unterschied zwischen den Guten und den Besten: Die Besten rufen nahezu immer ab, sie spüren die Blicke der Fremden nicht. Von Stefan Luitz sagen sie beim Skiverband, dass er nicht nur ein begabter Skirennfahrer ist, sondern auch einer, der nie zaudert, sondern einfach fährt, und er hat dann also abgerufen am Sonntagnachmittag, er war Fünfter nach dem ersten Durchgang und Achter nach dem zweiten.

Er konnte zwar nicht ganz mithalten mit den Großen Drei dieser Disziplin, dem Sieger Hirscher aus Österreich, dem Zweiten Pinturault aus Frankreich und dem Dritten Ligety aus den USA, und er war auch nicht der beste Deutsche, weil Fritz Dopfer als Vierter und Felix Neureuther als Fünfter einen noch besseren Tag erwischten als er. Sein zweiter Lauf war nicht optimal, aber mit einem nicht optimalen zweiten Lauf Achter werden, sich unter den Etablierten etablieren, das ist beachtlich für einen 20-Jährigen, im vierten Rennen nach einem Kreuzbandabriss.

"Ich bin sehr zufrieden", sagt Luitz, als er im Zielraum steht. Ob das Knie wehtue? Was für eine Frage. "Über das Knie", sagt Luitz lächelnd, "will ich gar nicht mehr reden." Es ist kein Thema mehr für ihn.

Stefan Luitz hat sich Mitte Februar beim Training am Gudiberg in Garmisch-Partenkirchen das vordere Kreuzband im rechten Knie abgerissen, das ist für einen Skirennfahrer keine ungewöhnliche Verletzung, aber eine langwierige. Der Sport hat viele Gesetze, eines lautet: Wer sich das Kreuzband reißt, pausiert sechs Monate. Operation, Reha, Muskelaufbau, und nach einem halben Jahr Training auf Rennskiern, so ist das normalerweise. "Aber das", sagt der deutsche Cheftrainer Karlheinz Waibel, "kann's doch nicht sein."

Waibel ist auch Sportwissenschaftler, einer, der ständig reflektiert, studiert, evaluiert, und als Luitz sich verletzte, ein Jahr vor Olympia, fand er, dass der Zeitpunkt da war, etwas Neues auszuprobieren.

Schon 2004 beim ICSS, dem International Congress on Science and Skiing, der in Aspen stattfand, hat Waibel einen Vortrag einer italienischen Klinikärztin aus Cortina gehört, in dem es um ein neuartiges Konzept der Kreuzband-Reha ging. Die Idee dabei ist, den Sportler früh wieder in die spezifische Belastung seiner Sportart zurückzuführen: Schon nach drei oder vier Monaten steht der Sportler wieder auf Skiern, nicht auf Rennskiern, sondern auf leichter gängigen, er trägt zunächst keine Rennschuhe und keinen Rennanzug. Er fährt langsam, Schwung für Schwung, wie in einem Skikurs, unter Begleitung und Anleitung eines Trainers. Waibel nennt das "spezifisches Koordinationstraining auf Schnee", kürzer: "therapeutisches Skifahren".

Er hat das Thema seitdem immer wieder mit den Teamärzten diskutiert, aber die Ärzte waren skeptisch, bis zuletzt. Er hat auch mit der italienischen Ärztin telefoniert, und dann hat er das Konzept noch erweitert: um die sogenannte Orthese. Eine Knieschiene, die von einer Firma in Stuttgart in Handarbeit gefertigt wird, Waibel hat diese Knieschiene entwickelt, als Teil einer vom Bundesinstitut für Sportwissenschaft (BISp) finanzierten Projektgruppe, die seit drei Jahren existiert und zu der auch die früheren Skirennfahrer Max Rauffer und Florian Eckert zählen.

Dopfer, Neureuther, Luitz und Höfl-Riesch
:DSV-Athleten stark im Riesenslalom

Vier Top-Ten-Plätze: Beim Riesenslalom in Alta Badia liefern die DSV-Läufer Neureuther, Dopfer und Luitz eine starke Vorstellung ab. Höfl-Riesch fährt mit einem starken zweiten Lauf noch auf den fünften Platz - eine schwere Verletzung trübt allerdings die Stimmung.

Die Schiene und ihre Komponenten bilden ein hochkomplexes System, das individuell mithilfe von Abdrücken und 3-D-Scans gefertigt wird, sie stabilisiert das Knie und schützt es gegen Bewegungen, die den Kreuzbandriss verursachen.

Stefan Luitz war anfangs nicht begeistert von der Idee, nach vier Monaten mit einer Schiene Ski zu fahren, aber er hat sich doch dafür entschieden. "Das", sagt er heute, "war das Beste, was ich machen konnte". Es ist ja so: Durch dieses wochenlange Fahren wie in der Skischule hat er so intensiv wie nie zuvor an seiner Position gearbeitet, und durch die Schiene fühlte er sich von Anfang an so sicher, dass er die Verletzung bald vergaß. Er trägt die Schiene jetzt an beiden Knien, so ist sie auch gedacht, sagt Waibel: als vorbeugender Schutz.

Die Schiene stört ihn nicht, sagt Luitz, im Gegenteil, und die Ergebnisse sprechen für sich: In Sölden, seinem ersten Rennen nach der Pause, qualifizierte er sich auf Anhieb für den zweiten Durchgang, er wurde 22., in Beaver Creek wurde er Neunter, in Val d'Isère vergangenes Wochenende Dritter. Sein Kollege vom Abfahrtsteam, Andreas Sander, hat den gleichen Reha-Prozess mitgemacht, auch er trägt die Schiene, aber die deutschen Abfahrer sind weit von irgendwelchen Bühnen entfernt. Stefan Luitz ist das perfekte Testimonial.

Die Konkurrenz hat das deshalb inzwischen mitbekommen, die Italiener wollten in Alta Badia Protest gegen die Schiene einlegen. Der Weltverband aber reagierte schon vor dem Rennen darauf: In einer eilig einberufenen Pressekonferenz erklärte Renndirektor Hujara, die Schiene sei regelkonform, und lobte die präventive Wirkung. Der italienische Arzt hat sich die Schiene dann im deutschen Hotel angeschaut, er sei interessiert gewesen, sagt Waibel, das ist gut: "Wir wollen die Orthese ja den anderen nicht vorenthalten."

Vorerst brauchen sie Schiene und Rehakonzept aber wieder selbst. Am Sonntag stürzte Veronique Hronek beim Riesenslalom in Val d'Isère, die Diagnose war für die Ärzte eindeutig: Kreuzbandriss.

© SZ vom 23.12.2013 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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