Überraschungssieger im Super-G:Goldtipps von Tante Judy

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Sauber auf der Kante, angriffslustig im Kopf: James Crawford überrascht im Super-G die Favoriten auf WM-Gold. (Foto: Tom Pennington/Getty Images)

Der Kanadier James Crawford pflegt die nordamerikanische Tradition, sich am großen Tag für die Lust am Risiko zu belohnen. Die deutschen Athleten? Bekommen vorgeführt, welche Qualitäten sie gerade von den Besten trennen.

Von Johannes Knuth, Courchevel

Oft sind es nur wenige Worte eines Erwachsenen, die einem Kind viele Flausen in den Kopf pflanzen, und manchmal erwächst aus diesen wenigen Worten sogar eine Weltmeisterkarriere. Seine Tante Judy, erzählte der Skirennfahrer James Crawford am Donnerstag, habe ihm oft von ihrer Karriere als Skirennfahrerin erzählt: Sie war 1972 Vierte im olympischen Slalom von Sapporo, Vierte 1970 in der WM-Abfahrt von Gröden und noch einmal in der WM-Kombination 1974 in St. Moritz. Nur erinnere sich heute leider niemand mehr so recht daran, bis auf wissbegierige Neffen vielleicht, und so hatte Tante Judy für den jungen James einen Rat parat: "Wenn du das Gefühl hast, dass du noch ein bisschen mehr Zeit rauspressen kannst, kannst du es genauso gut versuchen."

Man kann durchaus sagen, dass James Crawford, 25, aus Toronto diese Anregung passabel aufgegriffen hat beim Super-G der alpinen Ski-Weltmeisterschaften am Donnerstag in Courchevel. Auf einem WM-Podest ist ja gerne mal ein Überraschungsgast dabei, einer, der sich für den einen großen Tag nicht nur eine gute Form beschafft hat, sondern auch den Mut, keinen Millimeter von der Risikolinie abzuweichen. Andreas Sander, am Donnerstag Neunter, und Romed Baumann hatte es so in etwa vor zwei Jahren zu ihren Silbermedaillen bei der WM in Cortina getragen. Nun war es Crawford, der alle Favoriten aufs Kreuz legte: den Norweger Aleksander Aamodt Kilde, den Franzosen Alexis Pinturault, sogar Marco Odermatt, den turmhohen Favoriten aus der Schweiz, Sieger von vier der bisherigen sechs Super-Gs im Weltcup zuletzt. Am Donnerstag fand sich für ihn nicht mal ein Platz auf dem Podest, als Vierter. "Ich habe es geschafft, einen der größten Skifahrer der Geschichte zu schlagen", sagte Crawford. "Unwirklich" sei das.

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Wenn man wollte, konnte man da den ganz großen Rahmen spannen: angefangen bei den Crazy Canucks, bei Steve Podborski, Ken Read und Co., die in den Siebziger- und Achtzigerjahren an der Dominanz der Europäer rüttelten, in ihren knallgelben Trikots zu Abfahrtsweltcups und Medaillen rasten. Später waren es Jan Hudec (WM-Silber 2007 in der Abfahrt), John Kucera (Gold 2009) und Erik Guays Weltmeistertitel in Super-G und Abfahrt, die diese nordamerikanische Spezialität vertieften, am großen Tag nicht an das zu denken, was schieflaufen könnte, sondern welcher Hauptgewinn winkt. Viel mehr als die Titel eint Crawford allerdings nicht mit seinen Vorfahren, er wirkt zumindest nicht wie ein Erik Guay, von dessen WM-Feierlichkeiten sie in Garmisch-Partenkirchen bis heute Geschichten erzählen.

Crawford ist einer dieser vielen Hochbegabten im heutigen Alpinsport, dem die Eltern früh die Schienen auslegten, auf denen er in eine mustergültige Karriere aufbrach. Er fuhr in den Skiklubs in Kanadas Vorzeige-Skigebiet Whistler, ging dort später zur Schule. Er dachte für eine Weile, dass er auch ein passabler Eishockeyspieler werden könnte, trieb sich diesen Gedanken dann rasch aus, als er in der achten Klasse ein Jahr mit Connor McDavid in der Schulauswahl spielte. McDavid, heute Teamkollege Leon Draisaitls bei den Edmonton Oilers, bestimmte schon damals das Eishockey wie ein junger Odermatt den Skisport, und so wandte sich Crawford dann doch dem Skifahren zu, mit 19 Jahren ließen ihn die Trainer im Weltcup auf der schwersten Piste überhaupt debütieren: der Kitzbüheler Streif.

"Da kann ich mir wirklich ab und zu etwas abschauen", sagt Andreas Sander

Zugleich, erzählte Crawford, hätte er es niemals so rasch an die Spitze geschafft, wäre er nicht seit Jahren in diesem besonderen Biotop unterwegs. Da seien die Teamkollegen, Brodie Seger, Broderick Thompson, Ken Reads Sohn Jeffrey, keiner älter als 28, die alles zusammenwarfen an Wissen über Rennlinie, Material und Mentalarbeit und sich so gemeinsam Richtung Weltspitze zogen. Und da war John Kucera, der Überraschungsweltmeister von 2009, der Kanadas Speed-Männer mittlerweile trainiert und sehr viel davon erzählen kann: wie man an dem einen großen Tag gut ist und auch über einen ganzen Winter.

Crawford verinnerlichte das im vergangenen Winter so konstant wie kaum ein anderer Teamkollege. Er fand sich in den schnellen Disziplinen sechs Mal unter den besten Zehn im Weltcup ein, gewann Olympiabronze in der Kombination von Peking. In diesem Winter wurde er Dritter auf der Abfahrt in Beaver Creek, Zweiter in Bormio, nur ein Sieg fehlte noch.

Bis zum Donnerstag.

"Ganz großes Lob an den Kerl, der kann so ans Limit gehen. Da kann ich mir wirklich ab und zu etwas abschauen", sagte Andreas Sander im Ziel. Er hatte am Start noch mitbekommen, dass Crawford dem Norweger Kilde die Bestzeit um eine Hundertstelsekunde abgeknöpft hatte, "das motiviert, weil du weißt, es ist noch was möglich", sagte Sander. Sein Versuch, Crawfords Fahrt nachzubauen, sich ins totale Risiko zu knien, endete dann bloß vor der langen Linkskurve, die in den steilen Zielhang führte - da glitt er für ein paar Tore zu viel in die Passivität. So blieb auch die Erkenntnis, dass die Kanadier gerade jenen Rückenwind im Kreuz haben, der Sander und die Kollegen vor einigen Jahren in die Weltspitze trieb. Brodie Seger wurde am Donnerstag zeitgleich mit Sander Neunter, Jeffrey Read Elfter. Sanders Teamkollegen: Landeten auf Rang 27 (Romed Baumann), Rang 29 (Simon Jocher) oder schieden aus (Josef Ferstl).

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