Marco Odermatt bei der Ski-WM:Er entflieht dem Gewöhnlichen

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"In der Theorie habe ich jetzt alles": Marco Odermatt, 25, Doppel-Weltmeister von Courchevel. (Foto: Jeff Pachoud/AFP)

Gesamtweltcupsieger, Olympiasieger, jetzt auch Weltmeister: Der Schweizer Marco Odermatt vereint bei der alpinen Ski-WM Attacke mit Leichtigkeit. Das verleitet manche schon zu großen Vergleichen.

Von Johannes Knuth, Courchevel

Das Spannende ist manchmal weniger, wie Athleten aus Niederlagen emporsteigen, sondern wie sie den Erfolg verkraften. Geben sie sich dem Hochmut hin? Stapfen sie sofort ins Hotelzimmer und sinnieren beim Videostudium darüber, wie sie den Rechtsschwung noch besser ins Eis pressen könnten? Nachdem der Skirennfahrer Marco Odermatt zuletzt die Abfahrt bei den alpinen Ski-Weltmeisterschaften in Courchevel gewonnen hatte, zog es ihn zum Schweizer Fernsehen, sie servierten ihm dort Raclette, dann deutete Odermatt auf die Weißweinflasche auf dem Tisch: "Ich glaube, die müssen wir auch bald mal aufmachen", sagte er, "damit ich weiterreden kann." Es sei ja so: "Fahren muss ich heute nicht mehr."

Wer sich so sehr anspannt auf den Eispisten der Welt, muss auch mal loslassen, und kaum einer beherrscht dieses Spiel so sehr wie der Schweizer Marco Odermatt, 25. Da kann er von Plakaten in der Schweiz lächeln, von deutschen Autokonzernen und Schweizer Uhrenherstellern gesponsert werden, der "am besten vermarktete Schweizer Schneesportler" ( Neue Zürcher Zeitung) sein, kurzum: Da kann einer eine Last auf den Schultern tragen, die so schwer ist wie das Matterhorn, zugleich sein Lebensmotto in folgende Formel gießen: "Das Leben ist ein Spiel, lasst es uns spielen!"

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So trug es ihn bis zuletzt zu 19 Tagessiegen im Weltcup, einen Gewinn in der Gesamtwertung, dem er bald ziemlich sicher einen zweiten folgen lassen wird. Schon vor einem Jahr fuhr er, der turmhohe Favorit, im olympischen Riesenslalom zur Goldmedaille. Nur ein WM-Titel fehlte ihm zuletzt noch, und jeder rechnete in Courchevel damit, dass Odermatt sich diesen im Super-G beschaffen würde. Und als er dort einen Hauch zu wenig riskierte und Vierter wurde? Warf er sich eben mit voller Kraft in die Abfahrt, jene Königsdisziplin, in der er im Weltcup noch nie gewonnen hatte. Am Freitag triumphierte er dann auch im Riesenslalom, vor Landsmann Loic Meillard und dem Österreicher Marco Schwarz. Zwei Goldmedaillen, das hat bei diesen Weltmeisterschaften auch noch niemand geschafft.

Was macht das mit einem 25-Jährigen, der schon jetzt alles erreicht zu haben scheint, wie eine Band, die mit ihren größten Hits auf Zugabe-Tournee zieht?

Odermatt pflegt bis heute seine Wurzeln. Über seinen Heimatort sagt er: "Ich habe dort alles."

Odermatt hat es in seiner Karriere bislang geschafft, dem Gewöhnlichen zu entfliehen und zugleich die Füße am Boden zu halten. Als ihn eine Reporterin in Courchevel auf seine Herkunft ansprach, auf Hergiswil im Kanton Nidwalden, sagte Odermatt: "Ich werde da hoffentlich für mein gesamtes Leben bleiben. Ich habe dort die Berge, den See, Städte in der Umgebung, ich habe dort alles." Er meinte wohl auch: die Familie, Vater Walter, der dem Sohn früher abends die Skier präparierte und eine Art Leistungszentrum gründete, in das der Sohn später hineinwuchs, auch die Freunde, mit denen er bis heute auf Skitouren oder zum Kajakfahren geht. Das Ziel, dieses Gefühl hat man bei Odermatt und seinem Umfeld oft, war weniger, einen großartigen Athleten zu formen, sondern einen wohl gerundeten Menschen.

Man sieht das heute an vielen Details: Er lässt sich nach wie vor von einer kleineren Ski-Firma aus der Schweiz ausrüsten, dort arbeiten sie nur wenigen Spitzenathleten zu, denen aber mit voller Kraft. Während die Konkurrenz auf Privatteams setzt und mit Helikoptern zwischen Trainingspisten pendelt, vertraut er weiter auf die Kraft des Kollektivs; in der Trainingsgruppe des Schweizer Verbandes haben sie sich ja alle in die Weltspitze gezogen: Odermatt, Gino Caviezel, Loic Meillard, Justin Murisier. Wer den Respekt für die anderen bewahrt, hält sich auch den eigenen Horizont offen. Das konnten vor allem die Norweger immer gut: sich auch vom 100. der Weltrangliste Dinge abschauen, die einen selbst noch besser machen.

Jeder Lauf ein kleines Kunstwerk: Marco Odermatt fährt im Riesenslalom von Courchevel zu seinem zweiten WM-Titel (Foto: Aleksandra Szmigiel/Reuters)

Johan Clarey, der Grandseigneur des Abfahrtssports, verglich Odermatt unlängst mit dessen Landsmann Roger Federer. Auch Odermatt lasse das Schwere spielerisch aussehen, so, wie er die Skier auf der Kante durch jede Kurve zirkele. Zugleich seien beide extrem bescheiden. "Roger hat viel größere Dinge erreicht als ich", sagte Odermatt, als er davon hörte, er schob den Vergleich aber auch nicht weg: "Ich würde niemals töten für einen Sieg, mir ist der Respekt vor den anderen Athleten genauso wichtig", sagte er. Zugleich hat er kein Problem damit, seine Ambitionen so ähnlich zu formulieren, wie Marcel Hirscher es einmal getan hat: Odermatt, hatte der achtmalige Gesamtweltcupsieger vor vier Jahren gesagt, könne alles gewinnen, was er begehre.

So fuhr Odermatt auch am Freitag im Riesenslalom, mit dieser Gabe, alle Kraft in einen Lauf fließen zu lassen, egal was gestern war oder morgen sein würde. Vor der WM-Abfahrt hatte er sich noch mal seine Siegfahrt von Peking angeschaut, um sich mit Emotionen "aufzutanken". Nach dem Riesenslalom sagte er: "Ich würde tatsächlich sagen, dass ich nicht die beste Technik im Weltcup habe. Aber ich kämpfe immer bis zum Letzten. Am Ende muss man nicht am schönsten hinunterfahren, sondern am schnellsten."

Wolfgang Maier, der Sportvorstand im Deutschen Skiverband, hat es dieser Tage ja oft gesagt: Die Bilder, die sich ein Athlet in den Kopf setze, beeinflussen das, was auf der Piste geschieht. Alexander Schmid, sein Weltmeister im Parallelevent am Mittwoch, schaffte das am Freitag nicht so prächtig, er wurde 15. Und jetzt?

Geht das jetzt immer so weiter für Odermatt? Er macht Fehler selten zweimal, er ist kein Hasardeur, aber gerade auf der Abfahrt kann auch ein erster Fehler vieles zerstören. Auf der Kitzbühler Streif zuletzt, da wollte er nicht nur gewinnen, sondern es den anderen richtig zeigen - fast hätte es ihn im Steilhang ins Netz geworfen. Als Odermatt eine Woche später in Cortina d'Ampezzo beide Super-G gewann, nach überstandener Meniskusquetschung, sagte er: "Es ist ab und zu gut, wenn man mit einem blauen Auge davonkommt." Er habe begriffen, dass man "nicht jedes Mal das Leben riskieren muss, um zu gewinnen".

Und jetzt, nach Olympiagold, dem Gesamtweltcupsieg, zwei WM-Goldmedaillen? "In der Theorie habe ich jetzt alles", hatte Odermatt zuletzt gesagt, "aber wenn man einmal gewinnt, will man ein zweites Mal gewinnen." Das Spiel ist gerade erst eröffnet.

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