Ski alpin:Wieder Pilot statt Passagier

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Felix Neureuther gewinnt in Japan seinen ersten Slalom des Winters und wähnt sich nach einer Saison voller lehrreicher Momente zurück im Kreis der Besten. Fritz Dopfer wird Vierter.

Von Johannes Knuth, Yuzawa Naeba/München

Der erste Weg führte den Sieger zum Geschlagenen. Der Sieger, das war seit wenigen Sekunden Felix Neureuther, der seine Freude über den ersten Platz zunächst noch versteckte. Er wusste, dass dieser süße Moment ja eigentlich dem Teamkollegen zugedacht war: Fritz Dopfer, dem Geschlagenen. Das Skript des Slaloms am Sonntag im japanischen Naeba hatte alles auf Dopfer, 28, zugeschrieben: die Führung nach dem ersten Lauf, ein passabler Vorsprung, den Dopfer als letzter Starter des zweiten Laufs irgendwie ins Ziel tragen musste für seinen ersten Sieg im Weltcup, im 127. Anlauf. Dopfer fuhr dann gut auf der vom Regen aufgeweichten Piste, der Vorsprung schmolz, die letzte Zwischenzeit wies ihn noch als Führenden aus. Erst auf den letzten Metern entglitt ihm das Rennen. Platz vier. Mathias Berthold, Cheftrainer der deutschen Männer, trug im Zielraum ein süßsaures Lächeln im Gesicht. Er freue sich für Neureuther, klar, "aber für Fritz tut es mir extrem leid", sagte Berthold. "Ihm hätte ich es noch etwas mehr gegönnt."

Berthold und Neureuther haben sich später natürlich noch etwas ausführlicher gefreut über Neureuthers ersten Sieg des Winters. Es war ja auch der erste Erfolg der Saison für die Techniker im Deutschen Skiverband. Neureuther hatte zudem die Herrschaft von Marcel Hirscher/Österreich und dem bislang überragenden Henrik Kristoffersen/Norwegen gebrochen, beide hatten zuvor sämtliche Slaloms des Winter unter sich aufgeteilt. Dopfer bestätigte als Vierter immerhin seine Mitgliedschaft in der Elite, nachdem er sich unsicher in die Saison getastet hatte. Dominik Stehle reichte als 23. erneut ein gutes Ergebnis ein. Am Samstag, im Riesenslalom, war Dopfer nach Halbzeitführung auf Rang sieben abgerutscht, Neureuther hatte es gar auf Rang 15 zurückgespült. Die Freude über den Sieg am Sonntag legte sich dann aber recht schnell über den mauen Vortag und die Absagen der Frauen-Abfahrten in Crans-Montana. "Das war ein Neureuther wie zu besten Zeiten", jubelte Wolfgang Maier, Alpindirektor im DSV. Was freilich bedeutete, dass die Erinnerung an die besten Zeiten zuletzt etwas erkaltet war.

Neureuther, 31, dankt den Fans in Yuzawa. Vater Christian war vor 41 Jahren an gleicher Stelle Dritter geworden. (Foto: Kimimasa Mayama/dpa)

Der Winter 2014/15 zum Beispiel. Da hatte Neureuther seine beste Kunst zunächst zuverlässig ausgestellt. Im Februar sicherte er sich Bronze im WM-Slalom, der chronisch malade Rücken ärgerte ihn aber schon wieder heftig. Der fast sichere Sieg in der Slalom-Wertung wanderte später noch in Hirschers Besitz. Im Sommer entschied sich Neureuther dann für einen Neustart, er fuhr das System herunter, ließ den Rücken heilen, startete mit neuem Physiotherapeut, neuen Kraftübungen. Mittlerweile ist die Statik im Körper gut, auch ohne Schmerzhemmer. Allein der Einstieg in die aktuelle Saison gestaltete sich durch den Neustart wechselhaft, auch in Sachen Material; das Zusammenspiel zwischen Ski, Bindung und Skischuh muss man ja ständig ein wenig anpassen, um die Form zu halten. "Ich habe nie recht gewusst, ob es an mir liegt, ob es wirklich am Setup liegt", sagte Neureuther zuletzt, er zweifelte so sehr, dass er ein Übergangsjahr ausrief. Bis zum Nachtslalom Ende Januar in Schladming.

Vor dem Rennen hatte Neureuther einen neuen Skischuh anprobiert. Er drückte ein paar Schwünge in den Schnee, dann stellte er fest: "Ich bin wieder der Alte." Mit den alten, ausgefahrenen Schuhen habe er keine kurzen Schwünge mehr fahren können, erklärte er, Schwünge also, bei denen der Fahrer die Kanten am Tor kurz ins Eis presst und flink löst, um wieder Geschwindigkeit aufzunehmen. Ein kurzer Schwung schenkt dem Fahrer an jedem Tor ein paar Hundertstelsekunden, er setzt aber auch Vertrauen voraus, ins Material, in den flinken Rhythmus, den der Sport den Fahrern abverlangt. Beim Slalom fliegen die Tore den Fahrern im Halbsekundentakt entgegen, so schnell, dass die Besten nur eine Chance haben, wenn sie ihren Reflexen vertrauen. Wenn das Unterbewusstsein die Lösung für jedes neue Tor erarbeitet. "Ich war lange Passagier", sagt Neureuther über seinen wechselhaften Saisonbeginn, "ich bin gefahren, wie ich mich nicht kenne." Mittlerweile dürfte seine psychische Robustheit wiederhergestellt sein. In Schladming verschenkte er den möglichen Sieg, weil er kurz vor dem Ziel einfädelte. Bei manchen Fahrern hinterlässt das Kratzer in der Psyche. Neureuther gewann am Sonntag dann halt den nächsten Slalom.

Dopfer halten sie im DSV für nicht minder siegbefähigt. Allein: Das Können in einen Erfolg im stark besetzten Weltcup zu übersetzen, diese anspruchsvolle Gleichung hat er noch nicht gelöst. Was ihm noch fehlt? "Das letzte Engagement, die letzte Kaltschnäuzigkeit", gibt Dopfer zu. Er überlässt seinen Reflexen nicht immer die Kontrolle, "ich bin jemand, der relativ wenig automatisch ablaufen lässt", sagt er, "das steht mir teilweise ein bissel im Weg: Dass ich etwas zu viel denke und den Ski nicht laufen lasse, Gas gebe." Und jetzt? "Dran bleiben", sagt Dopfer, es war schon immer sein Leitmotto. Er benötigte rund zweieinhalb Jahre, ehe er im Weltcup zum ersten Mal in einen zweiten Durchgang vorstieß, es dauerte auch eine Weile, ehe er in der Weltspitze andockte. "Bei Fritz hat es immer etwas länger gedauert", hat Berthold einmal gesagt, er weiß ja: Auch viele kleine Schritte tragen einen irgendwann ins Ziel.

© SZ vom 15.02.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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