Ski alpin:Mit Vorspultaste

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Immer mehr wollen, so wie jeder Athlet? Oder dankbar sein für das, was man hat? Lara Gut plagt sich mit Fragen, seit sie ihre ersten Weltcups gewann. Allmählich wird sie ausgeglichener, der Sieg in Sölden bestätigt dies. (Foto: imago/GEPA pictures)

Lara Gut vor Mikaela Shiffrin: Nach dem Riesenslalom in Sölden zeichnet sich im Gesamtweltcup ein neuer Zweikampf bei den Frauen ab: Gut hat endlich gelernt, unbekümmerter zu sein, Shiffrin ist es jetzt schon.

Von Johannes Knuth, Sölden

Manchmal, sagte die Skirennfahrerin Lara Gut dann noch, sei das mit ihrem Kopf halt so: "Es ist schwierig."

Gut, auberginefarbene Jacke, giftgrüne Skihose, hatte gerade die erste Prüfung des Winters hinter sich gebracht, den Riesenslalom auf dem Rettenbachgletscher in Sölden. Die Schweizerin hatte den tückischen Hang am besten gezähmt, mit Abstand; 1,44 Sekunden hatte sie zwischen sich und Mikaela Shiffrin gelegt, die erste Verfolgerin. Während sich die meisten die steile Rampe hinunterschoben, fuhr Gut, als hätte jemand auf die Vorspultaste gedrückt. Während die meisten über den Hang rutschten, drückte Gut ihre Skier sauber ins Eis, schmiegte sich mit ihrer Hüfte an den Hang und die Tore, hinterließ eine Fahrspur, als hätte ein Kalligraf zwei feine Linien in die Piste gezogen. Die einzige, die ähnliche Spuren ins Eis malte, war Shiffrin, die Zweite wurde, vor der Italienerin Marta Bassino. "Lara war heute die Königin darin, den Kurs zu dominieren", sagte Shiffrin, "so sollte Rennfahren aussehen". Wobei sich Gut nach eigener Auskunft diese Dominanz ja noch gar nicht zugetraut hatte, der Kopf.

Im Ringen mit dem eigenen Kopf gelang Gut nun ein Punktsieg

Am Freitag, am Abend vor dem Rennen, erinnerte sich Gut später, sei sie plötzlich aus ihrer Ruhe gefallen. "Ich weiß gar nicht warum", sagte sie, vielleicht war es doch die Hypothek des Gesamtweltcups, den sie in der Vorsaison erstmals errungen hatte. So, oder so: "Ich wollte unbedingt", sagte Gut, "aber damit kommst du nirgendwo hin." Die Familie, ihre Betreuer holten sie zurück in die Balance. Spätestens im Starthaus hatte sie ihre Unruhe abgeschüttelt. Hatte sie etwa ein Lied im Kopf, wurde sie später gefragt, weil sie sich so rhythmisch durch den Kurs geschlängelt hatte? Hardrock vielleicht, oder Mozart? Gut lachte. "Keine Ahnung", sagte sie, "wenn, dann war es irgendwelcher italienischer Mist."

Gut, 25, hat lange diverse Etiketten mit sich herumgetragen, sie sei schwierig, launisch, solche Sachen. Es war ein Schutzreflex, hat sie dann immer wieder beteuert, weil die Öffentlichkeit nach ihren ersten Erfolgen von ihr erwartete, perfekt zu sein, als 16-Jährige. Nun, die Erinnerungen daran sind gerade ziemlich erkaltet. Gut sicherte sich in Sölden ihren 19. Tagessieg im Weltcup. Sie wirkt entspannt, meistens, greift in den Rennen konstant auf ihre Begabung zurück. Und im Ringen mit ihrem Kopf, sagte sie, habe sie sich in Sölden einen wichtigen Punktsieg gesichert. "Einerseits willst du als Athlet immer mehr. Andererseits muss man lernen, dass man dankbar sein sollte für das, was man hat", fand sie: "Manchmal sollte ich aufhören, wütend zu sein und es einfach genießen."

"Sie ist gerade in ihrem Element", sagte Shiffrin.

Die junge Shiffrin erinnert an die junge Gut - nur ist sie stabiler

Viele werden Gut fürs Erste nicht aus dieser Ruhe zerren. Lindsey Vonn, Guts ärgste Widersacherin in der Vorsaison, will sich auf Abfahrt und Super-G konzentrieren, erst einmal. Anna Veith, vormals Fenninger, gab in Sölden zu, dass ihre schwere Knieverletzung von vor einem Jahr langsamer heilt als erwartet; sie wird frühestens im November in den Sport zurückfinden. Wie Viktoria Rebensburg, die einzige deutsche Fahrerin, die derzeit Mitglied der Weltspitze ist. Lena Dürr vom SV Germering, kletterte in Sölden wieder etwas aus ihrem Tief der Vorsaison, als 21. trug sie einige Punkte in die Wertung. Wenn eine Fahrerin in den ersten Wochen Gut bedrängen kann, dann ist das wohl Shiffrin. Die 21 Jahre alte Amerikanerin hat neben dem Slalom, ihrem Kerngeschäft, eine große Lust für den Riesenslalom entwickelt; sie will auch bei den Schnellfahrern hospitieren. "Ich komme meinem Limit immer näher", bestätigte sie in Sölden. Sie schiebt die Erwartungen erst gar nicht von sich weg, das wäre auch unglaubwürdig bei ihrer Befähigung. "Ein Duell mit Lara um den Gesamtweltcup wäre fantastisch", sagte Shiffrin. "Wenn ich zur Halbzeit der Saison weiterhin vorne dabei bin, werde ich die Gesamtwertung noch mehr in den Fokus rücken."

Gut dürfte es in diesen Tagen manchmal so vorkommen, als fahre sie gegen eine jüngere Version ihrer selbst. Shiffrin ist ähnlich hochbegabt, sie hospitierte mit 16 zum ersten Mal auf einem Weltcup-Podium, wie Gut. Allerdings hat Shiffrin, früher als die Schweizerin, ein Umfeld um sich hochgezogen, in dem sie sich jederzeit zurechtfand, und auf diese Weise überführte sie ihre Begabung früh in zwei WM-Titel und einen Olympiasieg im Slalom. Sie wurde auch seltener vor die Augen einer aufgekratzten Öffentlichkeit gezerrt, die in den USA nur zum Skifahren schielt, wenn Olympische Spiele anstehen. In Europa, dem Kraftzentrum des alpinen Skisports, fliegt Shiffrin mittlerweile Aufmerksamkeit zu, in Amerika erkennt sie noch immer kaum jemand auf der Straße. Shiffrin erinnerte in Sölden an ihren Landsmann Bode Miller, der zu seinen besten Zeiten gerne ein T-Shirt trug, wenn er in den USA im Supermarkt einkaufte. "Ich bin berühmt in Europa", stand darauf. Wenn Shiffrin so weitermacht, kann sie sich bald die gleiche Kollektion zulegen.

© SZ vom 24.10.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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