Ski alpin: Ivica Kostelic im Gespräch:"Es ist eine Art Wunder"

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Ski-Gesamtweltcupsieger Ivica Kostelic über sein Heimatland Kroatien, seine sportliche Familie, Nächte im Auto - und Leistungssport nach acht Operationen am Knie.

Michael Neudecker

Der Kroate Ivica Kostelic, 31, ist der überragende Skirennfahrer dieser Saison, seit vergangenem Wochenende steht er als Gesamtweltcupsieger fest. An diesem Donnerstag startet er beim Super-G, die Abfahrt hat er ausgelassen. Zum SZ-Interview empfängt er im Teamhotel: in Jogginganzug und Badelatschen.

Jubel über den Sieg im Gesamtweltcup: Ivica Kostelic nach seinem achten Platz im Super-G von Kvitfjell. (Foto: REUTERS)

SZ: Herr Kostelic, haben Sie Ihren Gesamtweltcupsieg schon gefeiert?

Kostelic: Nein, das geht nicht, ich hab' ja noch wichtige Rennen vor mir: Ich kann noch die kleinen Kugeln im Super-G und Slalom gewinnen, und im Riesenslalom brauche ich Punkte, damit ich in der ersten Startgruppe bleibe. Wir feiern am Samstag. Für unsere kleine Mannschaft ist das schon ein großer Erfolg.

SZ: Auch für Kroatien, das ja nicht gerade ein Wintersportland ist.

Kostelic: Wissen Sie, es ist eine Art Wunder, dass Leute aus einem Land mit wenig Schnee und wenig Geld an der Spitze des Skisports sein können.

SZ: Der kroatische Skirennsport ist gleichzusetzen mit dem Namen Kostelic, Ihre Schwester Janica hat mehrfach den Gesamtweltcup, Olympia- und WM-Gold gewonnen. Was ist das Geheimnis der Familie Kostelic?

Kostelic: Hm, es gibt keins. Es ist gute Arbeit, harte Arbeit, würd' ich sagen. Und wir haben meinen Vater Ante, der da eine sehr wichtige Rolle spielt.

SZ: Was ist er für ein Mensch?

Kostelic: Ein sehr temperamentvoller Mensch! Er hat unglaublich viel Energie, ich meine, er ist ein älterer Mann, er ist 72 Jahre alt. Er weiß genau, was zu tun ist, er hat viel Erfahrung, er ist seit den Fünfzigern im Sport tätig. Und er kennt sich nicht nur im Skifahren aus.

SZ: Er war Handballspieler.

Kostelic: Ja, aber früher war er auch ein guter Schwimmer und Wasserballspieler. Er ist wirklich ein sehr interessanter Mann.

SZ: Seine Trainingsphilosophie soll ja von einem Gewichtheber kommen.

Kostelic: Er hat Sport studiert, seine Spezialität ist Theorie und Methodik des Trainings. Er war sicher beeinflusst von Alexeij Medwedjew, dem russischen Gewichtheber, aber nicht nur. Der amerikanische Sport ist auch wichtig für ihn, entscheidend für ihn war immer die Weiterentwicklung des Trainings, ich sehe das genauso. Sein Anteil an unserem Erfolg liegt bei 100 Prozent, ich hatte früher zwar auch andere Trainer, aber mein Vater war immer der Chef. Er begleitet mich, seit ich neun Jahre alt bin.

SZ: Ihre Jugend war allerdings nicht immer einfach: Sie haben beim Training öfter mal im Auto oder Zelt übernachtet.

Kostelic: Wir haben das nicht aus Spaß gemacht, sondern weil wir nicht genug Geld hatten für das Hotel und den Skipass. Wir mussten uns entscheiden: Schlafen wir im Hotel oder fahren wir Ski? Natürlich haben wir uns immer für den Skipass entschieden. Aber im Auto übernachten oder im Zelt, das war kein Abenteuer für uns. Für Stadtleute mag das nach Abenteuer klingen, aber wir waren als Kinder ja oft in der Natur.

SZ: Manchmal sind Sie auch zu Fuß den Berg hochgegangen.

Kostelic: Nicht immer, aber wenn der Lift geschlossen war, das stimmt, dann haben wir das gemacht. Das war auch ein gutes Training.

SZ: Wie würden Sie Ihre Beziehung zu Ihrem Vater beschreiben?

Kostelic: Ich habe sehr, sehr viel Zeit mit meinem Vater verbracht. Meine Schwester, er und ich, wir waren immer zusammen unterwegs, mehr als 340 Tage im Jahr. Ich bin überhaupt ein Familienmensch. In der Pubertät rebelliert man ja gegen die Eltern, das war bei mir nicht so. Klar, ich hatte schon eigene Ideen, aber ich war immer sehr verbunden mit den Eltern.

SZ: Welche Rolle spielt Ihre Mutter?

Kostelic: In Kroatien sagen wir: Die Mutter trägt drei Ecken des Hauses. Das war bei uns auch so. Ohne meine Mutter hätte ich die Schule nie abgeschlossen. Meine Schwester und ich, wir waren ja praktisch nie in der Schule, unsere Mutter hat alle Unterlagen von den Klassenkameraden gesammelt, und wenn wir mal zu Hause waren, hat sie gesagt: So, jetzt setzen wir uns hin und lernen. Also, wenn ich es mir recht überlege: Sie trägt eigentlich vier Ecken unseres Hauses.

SZ: Sie haben sich im Weltcupzirkus nicht nur als Rennfahrer einen Namen gemacht, sondern auch als Gitarrenspieler.

Gekonnte Schieflage: Ivica Kostelic in Kvitfjell. (Foto: AFP)

Kostelic: Ich spiele gern Gitarre, zur Entspannung. Ich habe meine Liebe im Blues gefunden, ich spiele, seit ich 16 Jahre alt bin. Ich habe sogar vor neun Jahren ein Album rausgebracht.

SZ: Was spielen Sie am liebsten?

Kostelic: Was wissen Sie über Blues?

SZ: Nun ja . . .

Kostelic: Okay, ich spiele auch Rock. Kennen Sie Chuck Berry?

SZ:  Klar!

Kostelic: Also. Chuck Berry, Little Richard, Jerry Lewis, diese ganzen Klassiker. Aber meistens spiele ich doch lieber Blues. Muddy Waters zum Beispiel, und die Rolling Stones hatten ja auch mal eine gute Blues-Phase.

SZ: Und was für ein Skirennfahrer sind Sie nun geworden? In den vergangenen Jahren galten Sie stets als Slalom-Spezialist.

Kostelic: Ich wollte immer ein Allrounder sein. Anfangs war Super-G ja meine beste Disziplin, aber leider hatte ich einige Verletzungen und musste mit den Speed-Rennen aufhören. 2006 hab ich wieder angefangen mit Speed, das war ein wichtiger Schritt: Das hat den Druck vom Slalom weggenommen.

SZ: Ihr Vater sagt: Der perfekte Skifahrer gewinnt am Samstag eine Abfahrt und am Sonntag einen Slalom.

Kostelic: Das stimmt, und das ist fast unmöglich.

SZ: Ist das Ihr höchstes Ziel?

Kostelic: Schwierig zu sagen. Verstehen Sie, man kriegt keinen Preis, wenn man am Samstag Slalom und am Sonntag Slalom gewinnt. Aber es ist eben etwas Besonderes.

SZ: Sie haben Ihre Verletzungen angesprochen. Sie hatten schon sieben Knieoperationen . . .

Kostelic: . . . acht.

SZ: Okay, acht - es ist erstaunlich, dass Sie heute überhaupt noch Leistungssport betreiben können.

Kostelic: Mein rechtes Knie ist nicht wie Ihres, es ist kein normales Knie. Und dann noch der Rücken, der ist immer ein Thema bei mir. Ich brauche während der Saison eine ständige medizinische Betreuung, damit das nicht schlimmer wird. Ich muss auch immer darauf achten, dass ich meine Pausen mache.

SZ: Was heißt das für Ihre Zukunft? Sie sind 31, den Gesamtweltcup haben Sie nun gewonnen. Wollen Sie aufhören?

Kostelic: Nein. Mein Ziel ist es, bis Olympia in Sotschi 2014 zu fahren. Und ich hoffe, ich kann bis dahin auch in der Weltspitze bleiben.

© SZ vom 17.03.2011 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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