Ski alpin:Die Kraft der anderen Karriere

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Der Norweger Aksel Lund Svindal beweist wieder einmal, wie gut es Leistungsportlern tut, über den eigenen Horizont hinauszublicken.

Von Johannes Knuth, München

Als es dann so weit war, genoss der Skirennfahrer Aksel Lund Svindal jede Sekunde. Die vertraute Umgebung, in die er endlich wieder eintauchte, die Aussicht, sogar Freunde und Familie waren gekommen. Das habe ihm wirklich gutgetan, gestand Svindal. Die Auszeit im Sommer in seinem Domizil an Schwedens Küste.

Aksel Lund Svindal hat am Wochenende in Val d'Isère dann sein Comeback im Weltcup gegeben, nach zehnmonatiger Pause. Das genoss er natürlich auch, die Raserei auf den Eispisten, Platz zwei im Super-G, Platz drei in der Abfahrt. "Das war doch überraschend", sagte Svindal, "ich bin zuvor nur zwei Wochen Ski gefahren", lächerlich wenig also. Er war im vergangenen Januar bei der turbulenten Abfahrt in Kitzbühel gestürzt, das rechte Knie war schwer beschädigt, eine Rückkehr in Val d'Isère kam zu früh, so sahen die Ärzte das. Svindal sah es anders. So mochte sein Teamkollege Kjetil Jansrud in Frankreich beide Speed-Rennen gewonnen haben - Mitarbeiter des Wochenendes war Svindal. Weil die Rückkehr des 33 Jahre alten Norwegers auch davon erzählte, wie man immer wieder in einem Spiel reüssiert, für dessen Kräfte man eigentlich nicht gemacht ist.

Die Ärzte waren skeptisch und mahnten zur Vorsicht. Aber tun sie das nicht immer?

Die Streif in Kitzbühel nimmt sich jedes Jahr ein paar Fahrer, die Gefahr ist dort auch ihr Geschäftsmodell. Im vergangenen Januar war die Sicht schlecht, die Piste ruppig, so waren die Verluste besonders groß. Vier Fahrer stürzten schwer, darunter Svindal, der bis dahin beste Fahrer des Winters, Kreuzband und Meniskus in seinem rechten Knie rissen. Wobei, der Kreuzbandriss sei das Harmloseste gewesen, sagt Svindal heute, "der Knorpelschaden war viel schlimmer". Die Ärzte sagten ihm, dass er sich das mit dem Skifahren langsam überlegen solle. "Aber wenn du einen Orthopäden fragst, würde der niemandem eine Weltcup-Abfahrt empfehlen", sagt Svindal, "auch einem gesunden Fahrer nicht." Es dauerte, bis er wieder in seinen Sport fand, den Auftakt in Sölden verpasste er. "Je länger ich mir jetzt Zeit lasse", sagte er damals, "desto größer ist die Chance, dass ich auch mit 50 ein Knie habe, das halbwegs funktioniert."

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(Foto: Joe Klamar/AFP)

23. Januar 2016: Aksel Lund Svindal stürzt beim Weltcup-Abfahrtsrennen auf der Streif in Kitzbühel schwer, überschlägt sich und landet verletzt im Fangzaun.

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(Foto: Guillaume Horcajuelo/dpa)

3. Dezember 2016: Aksel Lund Svindal bezwingt unerschrocken die Abfahrt in Val-d'Isère und erfährt sich den zweiten Podestplatz im zweiten Rennen nach seiner Rückkehr.

Svindal hat nahezu alle Meriten seines Sports auf sich vereint, den Gesamtweltcup, fünf WM-Titel, er ist vertraut mit den Risiken und Nebenwirkungen seines Metiers. 2008 stürzte er in Beaver Creek so schwer, dass sie ihm zeitweise einen künstlichen Darmausgang legen mussten. Vor zwei Jahren riss die Achillessehne, beim Fußballspielen. Dann der Totalschaden im Knie. Aber Svindal hat gelernt, aus den trüben Zeiten des Stillstands auch etwas Gutes zu fischen. Während seiner ersten Pause las er Bücher über Aktienhandel ("2008 ist eh der Markt eingebrochen, das war eine gute Zeit, um zu investieren"). Später gründete er kleine Firmen, die etwa Skipässe übers Handy anbieten, reiste durchs Silicon Valley, hospitierte bei Firmenchefs. "Das war sehr wichtig", sagt Svindal, "das war eine etwas andere Karriere. Du hast Konkurrenz, kannst gewinnen oder verlieren. Dann sieht man, dass du im Leben nach dem Skifahren auch Spaß haben kannst, und machst dir jetzt nicht so einen Stress." Und jetzt?

Die Zeit, die Svindal fernab seines Sports verbrachte, scheint ihn gleichzeitig näher an den Erfolg gerückt zu haben. Er warf sich nach dem langen Sommer mit Freude ins Training, ihm blieben nur zwei Wochen bis Val d'Isère, aber es waren zwei Wochen mit Jansrud und Aleksander Kilde, mit "der besten Mannschaft der Welt", wie Svindal findet. Allein Jansrud und Svindal haben seit März 2012 zusammen 31 Weltcup-Siege erwirtschaftet, Österreichs stolze und zuletzt arg geschwächte Abfahrer schafften im gleichen Zeitraum: elf. Auch, weil die norwegische Firmenkultur vorsieht, dass Branchenführer wie Svindal den aufstrebenden Piloten ihr Wissen vermachen. "Da ist alles offen und fair", sagt Svindal. "Ich hätte nicht so viel Freude am Skifahren, wenn ich nicht so coole Teamkollegen hätte."

Grund zur Freude: Aksel Lund Svindal (re.) freut sich über sein gelungenes Comeback, Teamkollege Kjetil Jansrud über einen weiteren Sieg in der Abfahrt. (Foto: Michel Cottin/Getty)

Jeder Sturz zieht Kratzer ins Selbstbewusstsein, aber Svindal scheint seine Stärke über all die Jahre konserviert zu haben, auch nach Kitzbühel. "Du darfst nicht sagen: Es war nichts", sagt er. "Wenn etwas mental belastend ist, dann ist es einfacher, wenn man sich eingesteht, dass es schwer ist. Und dann musst du Lösungen finden." Seine Lösung? "Alles ganz realistisch zu sehen", sagt Svindal. Er habe in Kitzbühel damals einen Fahrfehler gemacht, "wenn es nur Pech gewesen wäre", sagt er, "könnte es ja jederzeit wieder passieren. Dann wäre das Rennen außerhalb meiner Kontrolle, und ich wäre am Start total nervös."

Er wird also nur ein wenig Nervosität mit sich herumschleppen, wenn er im Januar in Kitzbühel wieder ins Starthaus kriecht, natürlich, was für eine Frage, sagt Svindal. Und ein bisschen wird er den Höllenritt auch genießen.

© SZ vom 06.12.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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