Ski alpin:Besonders tückisch

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Die Fahrer haben die Januarklassiker in den Knochen, das Wetter schlägt Kapriolen: Auf der Kandahar braucht das DSV-Team einen wie Andreas Sander, der sich nicht aus der Ruhe bringen lässt.

Von Johannes Knuth

Wer sich am Freitagmorgen ins Werdenfelser Land aufmachte, der wähnte sich phasenweise in einem schmuddeligen Frühlingstag: Regen, zwölf Grad im Vorland und rund sieben am Fuße der Kandahar-Piste in Garmisch-Partenkirchen, wo der Neuschnee von unter der Woche schon wieder fröhlich vor sich hin taute. Der Skirennfahrer Thomas Dreßen fühlte sich während des ersten und einzigen Trainingslaufs gar an einen Ausflug mit den Tourenski-Schuhen erinnert, so sehr waren seine harten Renn-Treter von den warmen Temperaturen aufgeweicht, wie er im Ziel erzählte.

Aber irgendwie hatten die Ausrichter es dann doch hinbekommen, den Läufern am Freitag eine hochseriöse Abfahrtspiste bereitzustellen: Bis zu 70 Helfer waren seit Donnerstagnacht über die Piste gerutscht, sie hatten erst 50 Zentimeter Neuschnee hinausgeschafft und am Freitag Salz gestreut, damit die Piste nicht zu sehr aufweichte. "Vor zwei Wochen habe ich ein Foto von der Kreuzeckbahn und der Kandahar gesehen, wo alles grün war", hatte Dreßen schon im Vorfeld gesagt, "ich habe sehr daran gezweifelt, dass wir einen Heim-Weltcup erleben dürfen. Die Helfer vor Ort hatten enorm viel Arbeit, deshalb ein großes Dankeschön."

„Ich habe gemerkt, wie mir die Pause, der Abstand gutgetan hat.“ – Andreas Sander, 30. (Foto: Alexis Boichard/Getty Images)

Die Kandahar-Rennen sind vielleicht die tückischsten des alpinen Winters, es ist jedes Jahr dasselbe: den Fahrern stecken die schweren Januarklassiker in den Knochen, vor allem die Männer reisen getragen von der zarten Erleichterung an, die schweren Prüfungen in Bormio, Wengen und Kitzbühel gemeistert zu haben. Und dann wartet die Kandahar, die komplett im Schatten der Berge liegt, viele Schläge und Wellen versteckt und ohnehin technisch anspruchsvoll ist. Und die zuletzt auch immer wieder von Wetterkapriolen getroffen wurde.

Die Abfahrer sind am meisten von den immer launischeren Wintern betroffen

Da hilft es, wenn man eine Abfahrtsmannschaft wie jene des Deutschen Skiverbands aufbietet, die sich von derartigen Unwägbarkeiten längst nicht mehr aus der Ruhe werfen lässt: mit einem Thomas Dreßen, der in Kitzbühel zwar eine "Watschn" kassierte (Cheftrainer Christian Schwaiger), was er in seiner Comeback-Saison nach Kreuzbandriss aber ohnehin einkalkuliert hatte. Oder mit einem Romed Baumann, dem Neu-Mitglied im DSV, der zuletzt Siebter in Kitzbühel war. Und auch wieder mit einem Andreas Sander, der auf dem Weg zurück zu einer jener Konstanten ist, die jede Mannschaft braucht.

Andreas Sander ist im Sommer 30 geworden, er ist jetzt schon seines Alters jetzt einer der Erfahrenen im Weltcup, und seine Vita gibt das auch her: aufgewachsen in Ennepetal, Westfalen, Umzug ans Berchtesgadener Skigymnasium, 2008 schon Junioren-Weltmeister im Super-G. Doch Sander verhedderte sich anschließend oft im Nirgendwo der Ergebnislisten, wie die meisten DSV-Kollegen im Schnellfahrer-Ressort. Das änderte sich erst, als die Österreicher Mathias Berthold und Christian Schwaiger 2014 die Sparte übernahmen; sie lernten sie erst in die technischen Fertigkeiten für die schnellen Kurvenfahrten ein und führten sie dann im Rennen ans Limit - Schritt für Schritt.

Sander fand sich bei Großereignissen bald verlässlich in der Weltspitze wieder: Bei der WM 2017 wurde er Siebter (Super-G) und Achter (Abfahrt), bei den Winterspielen 2018 Achter (Super-G) und Zehnter (Abfahrt), als Thomas Dreßen 2018 sensationell auf der Streif triumphierte, hätte ihn Sander beinahe noch überboten. Er wartet zwar noch bis heute auf seinen ersten Podiumsbesuch, er war aber selbst dann noch vorne, als er bereits einen Kreuzbandriss erlitten hatte: als 14. im Super-G von Bormio vor etwas mehr als einem Jahr, die Verletzung diagnostizierten sie erst nach dem Rennen. Hatte sich der Körper damals vielleicht eine Auszeit genommen? Gut möglich, sagt Sander am Freitag im Zielraum von Garmisch: "Ich habe gemerkt, wie mir die Pause, der Abstand gutgetan hat."

Es ist schon noch derselbe Sander, der in diesem Winter sein Comeback gibt. Einer, der jeden Schwung, jede Bewegung bis aufs Kleinste analysieren kann; der sich manchmal so verlässlich an einer Ideallinie entlang hangelt, dass er oft eine noch bessere Platzierung vergibt - weil der vermeintlich ideale Weg im Rennen nicht immer der schnellere ist. Aber er habe sich schon auch verändert, findet er: Er sei "reifer im Kopf" geworden; habe gelernt, dass er seinem Körper noch mehr Zeit gönnen müsse, beim Aufwärmen, zwischen Rennen und Training. Vor einer Woche in Kitzbühel war er fast schon wieder der Alte, er wurde Achter im Super-G und Elfter in der Abfahrt. Und selbst wenn ein Training mal nicht gelingt, wie etwa am Freitag, sei er "nicht so negativ gestimmt", wie er das früher vielleicht gewesen wäre.

Garmisch-Partenkirchen bewirbt sich gerade für die alpine Ski-WM 2025

Sander wird die Kraft der Erfahrung brauchen, nicht nur an diesem Wochenende in Garmisch. Die Abfahrer sind am meisten vom Klimawandel und seinen immer launischeren Wintern betroffen, ihre Pisten sind am längsten - 3,4 Kilometer in Garmisch - und am schwersten zu präparieren. Im Vorjahr mussten sie die Rennen der Männer absagen, insgesamt hätten die Weltcups damals mehr als 100 000 Euro Verlust in die Bilanz getrieben, sagte OK-Chef Peter Fischer zuletzt dem Münchner Merkur. Diesmal fahren Männer und Frauen nicht auf zwei, sondern auf derselben Piste durch die alte Fis-Schneise - wobei diese Route so oder so fordernd genug ist. Zumindest die Wetteraussichten für den Samstag sind nicht schlecht, und kommende Woche soll es wieder kälter werden - kurz vor den Rennen der Frauen.

Sie wissen in Garmisch-Partenkirchen, dass die kommenden Wochenenden noch einmal spezieller sind als sonst. Sie bewerben sich gerade für die alpine Ski-WM 2025, die Mitte Mai in Thailand vergeben wird. Was die Vorbereitungen angeht, waren sie dieses Jahr jedenfalls schon weltmeisterlich, und bei den Fahrer könnte das noch mal besondere Kräfte freisetzen - nicht nur an diesem Wochenende, wie Sanders Teamkollege Josef Ferstl, 31, weiß: "Wenn wir die WM wirklich bekommen, würd' ich schon noch mal die Arschbacken z'ammenkneifen und d'rauf hinarbeiten."

© SZ vom 01.02.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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