Ski alpin:Aus Erfahrung schnell

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Wie eine Katze auf dem Sprung – auch wenn die Knie scheppern: Aksel Lund Svindal wird mit 0,04 Sekunden Rückstand Zweiter in Bormio. (Foto: Christophe Pallot/Getty Images)

Aksel Lund Svindal ist mit 35 Jahren noch immer der beste Abfahrer dieses Winters. Vielfältige Verletzungen zwingen ihn zu Pausen. Das macht er durch Routine und die gesammelten Weisheiten aus 34 Weltcup-Siegen wett.

Von Johannes Knuth, Bormio/München

Und dann, sagt der Skirennfahrer Aksel Lund Svindal, war da wieder dieses komische Gefühl.

Es hatte ihn schon im Training in Colorado begleitet, kurz vor dem Saisonauftakt im Oktober, auf den er noch verzichtete. Es ließ sich nicht abschütteln, als er nach Lake Louise reiste, nach Beaver Creek, Gröden und Bormio, wo am Donnerstag die letzte Abfahrt des Jahres stattfand. Ständig war da dieses Gefühl, sagt der Norweger, es ließ ihn immer "ein wenig unwohl" fühlen, sobald er an den Start einer alpinen Hochgeschwindigkeitshatz ging. Aber es sei das Beste, was ihm widerfahren könne. Denn wenn er sich unwohl fühle, wisse er, dass ihn die Nervosität kitzelt, und sobald er in seiner Nervosität stecke, "heißt das, dass du eine echte Chance hast, zu gewinnen". Eine echte Chance?

Als er zuletzt verletzt war, nutze er das zur Weiterbildung - im Silicon Valley

So unwohl Svindal sich in diesen Tagen am Start fühlt, so wärmend dürften die Emotionen sein, die ihn im Ziel umwehen. Der 35-Jährige wurde in Lake Louise nach längerer Krankmeldung schon wieder Dritter in der Abfahrt, er gewann in Beaver Creek, und in Gröden zerschmetterte er die Zeiten der Konkurrenz derart mächtig, dass die Zuschauer in seltener Einigkeit Beifall spendeten. Es war sein 34. Sieg im Weltcup, an den er in Bormio beinahe seinen 35. knüpfte, aber dann war der Italiener Dominik Paris vier Hundertstelsekunden schneller (Thomas Dreßen wurde als bester Deutscher Zwölfter). Svindal baute dafür seine Führung im Abfahrtsweltcup aus, vor Beat Feuz; in der Gesamtwertung steht er knapp hinter den Edeltechnikern Henrik Kristoffersen und Marcel Hirscher, dem sechsmaligen Gesamtweltcupsieger aus Österreich, der nach seinem Knöchelbruch im August wieder Primus ist.

Wenn einem fast alles gelingt, wie Hirscher und Svindal, wirkt alles oft selbstverständlich. Aber so selbstverständlich ist ihre Dominanz nicht, im Gegenteil.

Wenn Svindal seine Verletzungen aufzählt, dauert das schon mal eine volle Minute, allein die jüngsten Einträge in der Krankenakte könnten eine Vorlesungsreihe füllen, Schwerpunkt Sportorthopädie. Svindal rauschte im Januar 2016 am Hausberg in Kitzbühel ins Fangnetz, Kreuzband und Meniskus rissen, auch der Knorpel war zerquetscht. Vor einem Jahr gab er sein Comeback, er gewann bald wieder Rennen, aber als er im Januar an den Start schlich, war er nicht mehr nervös, sondern besorgt. Später erfuhr er, dass sich ein Meniskusteil im lädierten Knie gelöst hatte. Die nächste OP, das nächste Comeback. Svindal fuhr im Herbst viel mit seinen Teamkollegen Kjetil Jansrud (am Donnerstag Dritter) und Aleksander Kilde. Aber nach dem Sieg in Beaver Creek schwoll Svindals Knie so stark an, dass er das Training erst einmal stilllegte. "Es sind mehrere Verletzungen", sagte er in Gröden, das Knie werde halt nie mehr so sein, wie es einst war.

Svindal kultiviert gerade ein ungewöhnliches Modell, notgedrungen: das des Teilzeit-Abfahrers, der einen Sport mit unzähligen Variablen und Wetterbedingungen trotzdem beherrscht. Während andere in diesen Tagen im Kraftraum schwitzen, sitzt er geduldig auf dem Ergometer. Während Jansrud und Kilde auf Schnee trainieren, arbeitet er im Kraftraum. Während andere im Training die Piste ausleuchten, die Sprünge testen, fährt er am Sprung vorbei, wie in Gröden, ansonsten fürchte er sich schon in der Luft davor, wie sehr es bei der Landung im Knie scheppern wird. Svindal weiß, dass dieses Modell nicht ewig hält, wie bei dem Kollegen Hirscher, der Mitte November in Levi mit wenig Training in den Weltcup zurückkehrte - und längst wieder so manisch tüftelt wie gewohnt. "Wir sind damit gewissermaßen schlechte Vorbilder für junge Rennfahrer", sagt Svindal. Aber er zehre auch von der Kraft der Erfahrung, von 16 Jahren im Weltcup: "Der einzige Grund, warum du mit wenig Training gewinnst, sind die vielen Einheiten der Vergangenheit." Wenn seine jüngsten Erfolge für etwas stehen, "dann dafür, wie wichtig es ist, gut zu trainieren, wenn du gesund bist. Vielleicht wirst du in der Saison nicht sofort belohnt, aber im Lauf einer Karriere kannst du irgendwann vielleicht weniger trainieren. Dann kannst du auf der Vergangenheit aufbauen."

Die Schmerzen? Ach, er nehme Schmerzdämmer, nichts Hartes. Das Rennen betäube sowieso alles, "das Adrenalin lenkt den Fokus auf das, was dich schnell macht". Er werde in Zukunft wohl immer wieder ein paar Trainingsläufe auslassen, zur Not auch ein Rennen. Hoffentlich, sagt Svindal, "ist es nicht Olympia", im Februar. Zwei oder drei Jahre wolle er dieses Geschäftsmodell noch fortführen, in der Abfahrt und im Super-G, den Riesenslalom tut er sich nicht mehr an. Na und?

Svindal ist 100 Kilogramm schwer, 1,90 Meter groß, Harre und Dreitagebart sind immer akkurat getrimmt, er könnte problemlos für Herrenanzüge werben (allerdings wohl nur für die XL-Linie). Und er ist einer, der mit leiser Weisheit auf den aufgekratzten Skizirkus blickt, das muss kein Nachteil sein. Er schafft es immer wieder, Schweres als Herausforderung zu interpretieren, vor Kitzbühel etwa, hat er im Interview einmal erzählt, konzentriere er sich nie auf das Problem der Gefahr, sondern darauf, wie er es lösen könne, mit einer wasserdichten Linie. Als er zuletzt immer wieder verletzt war, bildete er sich weiter, im Silicon Valley: Das sei auch ein Grund, warum er gelassener aufs Skifahren blickt. Weil er sich auch auf das Leben danach freut. Die Thronfolge im Team ist längst geregelt, Jansrud und Kilde lernen seit Jahren von Svindal, so wie Svindal einst von Kjetil-André Aamodt und Lasse Kjus in die kleine norwegische Medaillenschmiede eingearbeitet wurde.

Und mit den vielen Verletzungen, sagt Svindal, sei es so: "Ich hatte die meisten, als ich auf der Tour etabliert war"; er ist mittlerweile Olympiasieger, fünf Mal Weltmeister, zweimaliger Gesamtweltcupsieger. "Es gab viele Menschen, die mich zurück im Rennsport wollten. Wenn ich alle Verletzungen als Nachwuchsfahrer gehabt hätte, würde ich heute nicht hier sein. So gesehen bin ich sehr happy, noch immer Teil des Rummels zu sein." Und happy, sich wieder ein wenig unwohl zu fühlen.

© SZ vom 29.12.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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