Ski alpin:Jugendliche Rebellion gegen Shiffrins Imperium

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Champagnerlaune: Die 17-jährige Neuseeländerin Alice Robinson nach ihrem höchst überraschenden Sieg beim Riesenslalom in Sölden. (Foto: Bongarts/Getty Images)

Die 17-jährige Alice Robinson überrascht mit ihrem Sieg in Sölden die Konkurrenz. Nur zwei Dinge bereiten ihr beim Saisonauftakt leichte Sorgen: Neuseelands Rugby-Mannschaft und die Schule.

Von Johannes Knuth, Sölden

Der Discjockey im Zielraum übertrieb es dann doch ein wenig. Er legte jetzt den "Imperial March" auf, als Mikaela Shiffrin, die große Favoritin dieses Riesenslaloms am Rettenbachgletscher in Sölden, sich als letzte Starterin in den zweiten Lauf aufmachte. Der Herrschaftsmarsch ist einem gewissen Darth Vader gewidmet, dem Oberschurken aus der Star-Wars-Reihe, der charakterlich mit Shiffrin ungefähr so viel gemein hat wie die jüngsten Herbsttage im Ötztal mit akuter Winterstimmung. Allerdings hat Shiffrin mit ihren 24 Jahren zumindest sportlich längst ein kleines Imperium errichtet. Und die Anwesenden im Ziel spürten jetzt, da die düstere Bösewicht-Melodie durch das Gletscherstadion vibrierte, dass dieser erste alpine Wettstreit der neuen Saison tatsächlich auf eine Pointe zusteuerte, die es nicht gut mit der großen Favoritin meinte.

Kurz zuvor war ja noch eine junge Neuseeländerin derart beherzt ins Ziel gerauscht, dass vielen Beobachtern noch wärmer vor Zuneigung wurde als ihnen ohnehin schon war, bei zweistelligen Plusgraden und Sonnenschein. Alice Robinson hatte die Bestzeit der Französin Tessa Worley um knapp eine halbe Sekunde unterboten, ein Podiumsbesuch war ihr schon sicher; oben wartete ja nur noch Shiffrin. Und die Amerikanerin trieb es im Steilhang dann tatsächlich ein, zwei Mal ungewohnt weit aus der Idealspur - 14 Hundertstelsekunden Guthaben verwandelten sich in sechs Hundertstel Hypothek. Ein spitzer Schrei hallte durchs Ziel: So groß der Respekt vor Shiffrin war, der zweimaligen Olympiasiegerin und fünfmaligen Weltmeisterin - der Triumph der Außenseiterin hatte seinen eigenen, süßen Charme.

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An diesem Tag schien der 17-Jährigen fast alles zu gelingen. Nur das mit der Champagnerflasche nicht

Alice Robinson aus Queenstown, Neuseeland hatte also tatsächlich den ersten alpinen Wettbewerb der neuen Saison gewonnen. Und so unbekümmert die 17-Jährige die schwere Prüfung gemeistert hatte, so überwältigt wirkte sie im Anschluss von ihrer Fahrt. "Ich bin schockiert, das ist unglaublich", japste sie im Ziel ins Mikrofon, die roten Gläser ihrer Sonnenbrille verdeckte die Tränen. Bei der Siegerehrung entkorkte sie als Letzte die Champagnerflasche, weit nach Shiffrin und Worley, aber Robinson konnte mildernde Umstände geltend machen. Sie war in der höchsten Liga ihres Sports erst einmal zur Prämierung der Besten geladen worden, im vergangenen März war sie beim Weltcupfinale in Soldeu als Zweite hinter Shiffrin eingetroffen. Robinson hatte damals überhaupt nur mitmachen dürfen, weil sie zuvor Juniorenweltmeisterin im Riesenslalom geworden war. Insofern war ihr erster Triumph im Weltcup, fünf Wochen vor ihrem 18. Geburtstag, keine Sensation.

Aber dass er erwartbar kam, konnte man auch nicht sagen.

Shiffrin hatte den ersten Lauf noch mit einem Donnerschlag eröffnet, der so elegant daherkam, wie man es von ihr kennt: Sie presste die Ski technisch piekfein in den Hang, als seien alle physikalischen Gesetze für sie aus den Fugen geraten. Robinson, 1,63 Meter groß, schmiss sich kurz darauf so engagiert in jedes Tor, als würde sie mit dem Gelände spielen, nicht umgekehrt. Der Gletscher in Sölden ist ja ein Hang der Extreme, er ist oben und unten so flach wie kaum ein anderer im Weltcup, in der Mitte mit mehr als 60 Prozent Gefälle dagegen einer der steilsten. Dass Robinson vom Geist der Unbeschwertheit getragen wurde, bei ihrem ersten Sölden-Start überhaupt, war da sicher nicht abträglich.

Auch Rebensburg fiel im zweiten Durchgang zurück

Und Viktoria Rebensburg? Der ging zunächst all das ab, was Shiffrin und Robinson zuvor aufgeführt hatten und was auch die beste deutsche Skirennfahrerin an besseren Tagen ausgezeichnet: "Ich habe mir schwer getan, da fein runter zu fahren", sagte sie. Die Kanten ihrer Ski führten sie nicht wie auf Schienen durch den Kunstschnee, sondern ratterten unkontrolliert darüber. Platz zehn nach dem ersten Lauf. Aber sie könne das Material ja noch verändern, sagte die 30-Jährige mit der Gewissheit in der Stimme, dass sie nicht nur in Sölden schon manchen Riesenslalom noch herumgebogen hatte. Nur: Rebensburg gestaltete ihren zweiten Versuch noch verhaltener, als blase ihr ein strammer Föhnwind ins Gesicht. Sie schaffte es nicht einmal, die zu dem Zeitpunkt führende Norwegerin Maria Therese Tviberg zu überbieten. Rebensburg schmiss im Ziel ratlos die Hände in die Höhe, sie zuckte mit den Schultern. Am Ende war es nur ein schwacher Trost: dass sie nicht die einzige aus dem Kreis der Besten war, die es im zweiten Durchgang nach hinten wehte. Platz 13 wurde es am Ende in einem Rennen, dass "nicht ganz so lief, wie man sich das vorstellt". Nicht ganz nach Vorstellung?

Nun, sie sei im Training zuletzt oft im Steilen gefahren, sagte Rebensburg, daran müsse sie bis zum nächsten Riesenslalom Ende November in Killington verschärft arbeiten. Ansonsten könne sie zu ihrer Darbietung "gerade nicht so viel sagen". Gesichtsausdruck und Stimme legten nahe, dass die Enttäuschung in ihr freilich ganz schön tobte. Wolfgang Maier, der Alpindirektor im deutschen Verband, präsentierte seine Gedanken erwartungsgemäß freizügiger. "Wenn man so passiv fährt", fand er, "fährt man halt nicht in der Weltspitze mit." Das immer wärmere Wetter könne man auch nicht als Entschuldigung heranziehen, tatsächlich hatten einige Läuferinnen ihre Positionen im zweiten Durchgang noch verbessert: die jungen Norwegerinnen Tviberg und Mina Fuerst Holtmann auf Rang vier etwa, oder auch Lena Dürr, die Slalomexpertin vom SV Germering, die etwas überraschend 18. wurde.

Und natürlich Robinson.

"Wenn ich schon so nah an der Führenden bin", habe sie sich vor ihrem siegbringenden Lauf gesagt, "kann ich auch versuchen, zu gewinnen." Shiffrin, die ihren ersten Weltcup einst drei Monate vor ihrem 18. Geburtstag gewonnen hatte, gratulierte mit aufrichtiger Begeisterung: "Alice ist großartig gefahren, ihr Lauf war wirklich aufregend." Nur zwei Dinge bereiteten der Neuseeländerin in Sölden leichte Sorgen: Zum einen müsse sie am Sonntag wieder den Flieger Richtung Heimat besteigen, zu Hause warte noch eine Woche in der High School auf sie. Und vom Aus der All-Blacks, der stolzen Rugby-Auswahl ihres Landes bei der WM am Samstag gegen England, habe sie noch zwischen den Läufen erfahren. Das, sagte die 17 Jahre alte Überraschungssiegerin, sei dann doch "ganz schön enttäuschend".

© SZ vom 27.10.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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