Saslong-Sieger Bryce Bennett:Big Bird macht den Surfergruß

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"Du wirst die meiste Zeit enttäuscht", sagt Bryce Bennett am Samstag in Gröden über den Abfahrtsport: Und dann hast du so einen Tag wie heute." (Foto: Alexis Boichard/Zoom/Getty)

Was hat er da angerichtet? Der Zwei-Meter-Schlacks Bryce Bennett aus Kalifornien überrumpelt auf der Saslong-Piste die Favoriten - obwohl er von den Gemeinheiten des Skifahrens schon die Nase voll hatte.

Von Johannes Knuth, Gröden

Irgendwann hatte der Skirennfahrer Bryce Bennett alle Posen vorgeführt: Zweifelnd in die TV-Kameras schauen, Zunge raus, die Arme nach oben zum Gebet recken, bitte, lieber Alpingott, lass niemanden meine Zeit unterbieten. Den Surfergruß, Daumen und kleiner Finger zu zwei Hörnern geformt, hatte Bennett natürlich auch im Repertoire, wie es sich für einen Kalifornier gehört. Und irgendwann saß der 29-Jährige einfach nur noch da, als könne er selbst nicht begreifen, was er da gerade angerichtet hatte.

Bennett wurde freilich nicht langweilig, denn jetzt kamen erst die Gratulanten: die Kollegen aus dem US-Team natürlich, die Fahrer aus dem Mittelfeld, in dem Bennett manche Zeit seines Skifahrerlebens verbracht hatte. Auch die Branchenführer machten ihre Aufwartung, allen voran der Norweger Aleksander Aamodt Kilde, der zur Halbzeit des Rennens mit gewaltigem Vorsprung aus dem Kurs geschlittert war. Der Franzose Blaise Giezendanner versuchte gar, Bennett in die Luft zu stemmen - ein sinnloses Unterfangen bei dessen 2,01 Meter Körpergröße und 100 Kilogramm Wettkampfgewicht. Steve Nyman, 39, versetzte seinem Teamkollegen noch ein paar freudig gemeinte Hiebe, rechte Gerade, linker Haken. Es waren die einzigen Tiefschläge, die Bryce Bennett aus Truckee, Kalifornien, an diesem Abfahrtstag in Gröden kassierte.

Skifahren sei so ein frustrierender Sport, erklärte Bennett später, als er im Zielraum seine erste Audienz als Sieger eines Weltcuprennens gab. "Du wirst die meiste Zeit enttäuscht", sagte er und trug dabei wohl jene Rennen im Sinn, in denen er knapp gescheitert war, vier Mal als Vierter im Weltcup zum Beispiel. Vermutlich dachte er auch an die Gemeinheiten seines Sports: die Eispisten, auf denen jeder Schlag aufs Kreuz geht, die Fliehkräfte, die Tüftelei an Skiern, Schuhen und Kanten, das Wetter, ein Fahrfehler, der alles zerfallen lässt - ein Rennen, manchmal auch eine Karriere. Der Alpinsport, vor allem die Abfahrt, ist ein Puzzle mit Zehntausenden Teilen, über das Fahrer jahrelang brüten, obwohl sie wissen, dass sie es nie ganz lösen werden. "Und dann", sagte Bennett am Samstag, "hast du so einen Tag wie heute." Als wäre das so zwingend wie ein vorzügliches Käsknödelgericht in einer der Lokale im Grödnertal.

Bennett liebt den Nervenkitzel - von hohen Klippen springen inbegriffen

Bennett ist einer, der heraussticht im Weltcup, sie rufen ihn Big Bird, wegen seiner Statur. Er lacht gerne und viel, gerne auch über sich selbst, bis er für seine Erfolge beachtet wurde, dauerte es allerdings: "Eigentlich ist Skifahren der letzte Sport, den ich mir hätte aussuchen sollen", sagte er nun Gröden - und lachte. Mit seinen langen Beinen lässt es sich vorzüglich Basketball spielen, weniger durch Kurven auf langen Eispisten jagen. Weil in seiner Familie aber alle Skifahrer waren, die Eltern im Resort Squaw Valley arbeiteten, fuhr Bennett eben auch Ski, auf der Piste, vor allem im Gelände. "Mein ganzes Leben hat sich immer darum gedreht, wer von der höchsten Klippe runterspringt, wer den dümmsten Kram anstellt", sagte er nun. Nach dem Abitur hatte er mal ein Jahr genug von diesem komplizierten Sport, dann schaffte er es doch ins Nationalteam. Das reize ihn bis heute an der Abfahrt", hat er einmal gesagt: "Dass du jedes Mal ein bisschen um dein Leben fürchtest."

Das erste Mal fiel Bennett vor sechs Jahren auf, ebenfalls in Gröden, mit hoher Startnummer und Platz sechs. Die Saslong-Piste lag den Amerikanern schon immer, der Schnee ist hier manchmal aggressiver als in den USA, so kompakt, so dass sich die Skikanten bei kleinen Bewegungen in die Unterlage beißen. Und bei den berüchtigten Wellen auf der Saslong, da genießt Bennett einen besonderen Wissensvorsprung: Er fuhr früher acht, neun Jahre BMX-Rennen, dort bügeln sie auf kleinen Rädern fast nur über Wellen, wie es sie in Gröden auf der Ciaslat-Wiese hat. "Ich weiß genau, wie ich auf Terrain Speed generieren kann, wo andere denken, dass du dort nicht schnell sein kannst", sagte Bennett. Mit seinen langen Beinen ist er zwischen den Wellen oft schneller am Boden, und je länger die Skier am Boden sind, desto eher kommen die Fahrer ins Gleiten. "Ich hatte die Rennen hier bislang nur immer verloren, weil ich den Speed nicht bis zur Ciaslat mitnehmen konnte", sagte Bennett, auf den Gleitpassagen also. Ewiges Abfahrtspuzzle.

Karrierehöhepunkt: Simon Jocher fliegt erstmals bei einem Weltcup in perfekter Sprunghaltung Platz acht entgegen. (Foto: Francis Bompard/Zoom/Getty)

Ein Wendepunkt, erzählte sein Teamkollege Steve Nyman am Samstag, war eine Unterredung vor fünf Jahren. Nyman war damals schon einer der erfolgreicheren Abfahrer, er hat seine drei Weltcup-Abfahrten ebenfalls in Gröden gewonnen, auch er ist schlank und groß, wie Bennett. Er schlug dem Newcomer damals vor, zu Nymans Skimarke zu wechseln: Dann könne man gemeinsam an einem Skischuh tüfteln, der es größeren Fahrern erleichtere, noch schneller zu sein. Bennett hatte ein solches Angebot schon mal ausgeschlagen; zwei Mal, auch das eine Lehre des Weltcups, sollte man solche Fehler vermeiden. Bennett wechselte also den Ausrüster, er heuerte auch bei Leo Mussi an, einem Servicemann aus Südtirol, der bereits Nyman und Kristian Ghedina die Skier präpariert hatte. Mussi habe ihn "wie einen zweiten Vater" aufgenommen, sagte Bennett nun. Außerdem residiert Mussi praktischerweise im Grödnertal, "er weiß einfach, welches Material hier schnell ist", sagte Nyman. Das ist am Ende manchmal mehr wert als der schnittigste Anzug aus dem Windkanal.

Bennett nutzte am Samstag nun jedenfalls erstmals seine schnellen Ski, um vom Start weg schnell zu sein, und durch die Ciaslat federte er so flüssig, "das habe ich selten gesehen", sagte der Deutsche Romed Baumann, 35 - der schon ein paar Mal in Gröden zu Gast war. Baumann hatte die Passage diesmal verpatzt, er wurde 18. Dafür erfüllten Josef Ferstl und Simon Jocher die Olympia-Norm: Ferstl als Neunter, Jocher sogar als Achter, seinem mit Abstand besten Ertrag im Weltcup.

Es wird noch ein umkämpfter Olympiawinter, nicht nur die Österreicher, Schweizer und Deutschen, auch die Amerikaner kommen in der Abfahrt gerade immer besser in Schwung. "Manchmal fehlt uns ein bisschen das Vertrauen darin, wie gut wir sind", sagte Bennett am Samstag. Vor zwei Tagen hatte er seinen Teamkollegen Ryan Cochran-Siegle noch getadelt, weil dieser manchmal nicht an sein riesiges Können glaube.

Zwei Tage später hatte dann Bryce Bennett seinen großen Tag.

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