Sieg bei der Handball-EM:Kampf gegen die Stimmung

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Große Erleichterung: Die deutschen Handballer feiern gegen Mazedonien eine Leistung, die man ihnen so gar nicht mehr zugetraut hatte. Bundestrainer Martin Heuberger stellt personell um - die größte Änderung bewirkt er aber in den Köpfen der Spieler. Mit dem 24:23-Sieg verhindert die Mannschaft das vorzeitige EM-Aus.

Joachim Mölter, Niš

Mit seinem 14 Jahre meist erfolgreich tätigen Vorgänger Heiner Brand hat der neue Handball-Bundestrainer Martin Heuberger zumindest eins gemein: einen Hüftschaden, die Spätfolge der aktiven Karriere. In den ersten Tagen der Europameisterschaft von Serbien wirkte der ehemalige Kreisläufer aus Schutterwald noch schmerzgepeinigter als sonst, und es war nicht ganz klar, ob das an den Hüftbeschwerden lag oder am Auftritt seiner Mannschaft am Sonntag in der ersten EM-Partie, der so unrund war wie Heubergers Gang.

Große Erleichterung: Die deutschen Handballer feiern eine geschlossene, leidenschaftliche Leistung, die man ihnen so gar nicht mehr zugetraut hatte. (Foto: dpa)

Man musste sich Sorgen machen um den Zustand des deutschen Handballs, denn dem drohte nach dem 24:27 gegen Tschechien bereits das größte anzunehmende Unglück: das erstmalige Aus in einer EM-Vorrunde und als Folge das erstmalige Verpassen von Olympischen Spielen. Zumindest um seine Mannschaft muss sich Heuberger, 47, nun weniger Sorgen machen nach dem 24:23 (12:12) gegen Mazedonien am Dienstagabend: Das EM-Aus ist abgewendet, zumindest bis zum letzten Gruppenspiel am Donnerstag (18.15 Uhr/ARD) gegen Schweden.

Auf den 4800 Plätzen des Sportski Centar Cair in der südserbischen Stadt Niš saßen geschätzt 4700 mazedonische Fans, besser gesagt: Sie standen vor den Sitzschalen. Wenn sie nicht gerade hüpften. Meistens sangen sie dabei. "Deutschland, Deutschland, auf Wiedersehen", schon eine halbe Stunde vor dem Anpfiff, auf Deutsch natürlich, damit es die Spieler des Deutschen Handballbundes (DHB) in der Umkleidekabine auch verstanden. Aber so einfach wollten die sich nicht verabschieden lassen.

"Geile Atmosphäre"

Die Zuschauer aus dem nahegelegenen Mazedonien hatten schon am Sonntag beim 26:26 ihres Teams gegen den WM-Vierten Schweden für eine "geile Atmosphäre" gesorgt, wie der deutsche Kapitän Pascal Hens beobachtet hatte. Selbst die Schweden waren begeistert. "Ich habe zwar nicht verstanden, was sie gesungen haben", sagte ihr Trainer Ola Lindgren, "aber die Stimmung war fantastisch." Und weitgehend friedlich. "Sie werden uns ja nichts tun", glaubte Hens, "sie unterstützen bloß ihr Team."

Während der Partie am Dienstag flogen dann doch immer wieder Gegenstände auf das Spielfeld, aber die deutschen Spieler ließen sich davon nicht einschüchtern, ganz im Gegensatz zu ihrem ängstlichen Beginn gegen Tschechien spielten sie selbstbewusst auf: Nach vier Minuten stand es 3:0, die Mazedonier hatten bis dahin nicht einmal aufs Tor geworfen, so zupackend ging die Abwehr ans Werk. Bundestrainer Heuberger hatte diesmal von Anfang in der 6-0-Formation spielen lassen, gegenüber dem Auftaktspiel stellte er überdies Carsten Lichtlein für Silvio Heinevetter ins Tor und Lars Kaufmann anstelle von Kapitän Hens in den linken Rückraum.

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Silvio Heinevetter kämpft um seinen Status als Stammtorwart, Abwehrchef Oliver Roggisch hat neun Kilo abgespeckt - und Pascal Hens ist endlich ein richtiger Kapitän. Mit diesen 16 Spielern will Bundestrainer Martin Heuberger bei der Handball-EM in Serbien überraschen. Die Nationalspieler in Kurzporträts.

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Die größte Änderung hatte Heuberger allerdings in den Köpfen der Spieler bewirkt. Die gegen Tschechien leicht ins Wanken gebrachten Akteure blieben 60 Minuten lang standhaft. "Wir haben die Nerven behalten und uns nicht von der Hektik in der Halle anstecken lassen", sagte Spielmacher Michael Haaß.

Nach dem Ausgleich der Mazedonier zum 3:3 (7.) entwickelte sich ein "großes Kampfspiel von beiden Mannschaften", wie Haaß treffend formulierte. Im weiteren Verlauf zogen nur die Mazedonier einmal auf mehr als ein Tor Vorsprung davon, als sie aus einem 14:15 (37.) ein 17:15 (40.) machten, dank zweier simpler Ballverluste der Deutschen im Angriff. Da drohte das Spiel zu kippen, aber die Deutschen brachten es wieder ins Gleichgewicht. "Wir haben gewusst, dass es mal in die andere Richtung gehen kann", sagte Kaufmann, der mit sechs Toren erneut bester Werfer der DHB-Auswahl war.

Die Partie war so ausgeglichen, dass man behaupten könnte, die deutsche Mannschaft habe sie nur gewonnen, weil sie nach 60 Minuten zufällig vorne lag. Aber sie hatte sich den Erfolg schwer erarbeitet. "Wir haben ja gegen die ganze Stimmung in der Halle angekämpft", sagte Linksaußen Uwe Gensheimer, dem in vorletzter Minute das Tor zum 24:23 gelungen war. Zuvor und danach waren es zwei Eingewechselte, die das Spiel offen hielten. Kreisläufer Patrick Wiencek, 22, der bei seinem ersten EM-Einsatz zwei Tore beisteuerte. Und Torwart Heinevetter, der zwei verhinderte, einmal bei einem Siebenmeter von Mazedoniens bestem Schützen Kiril Lazarov (sieben Tore), das andere Mal bei einem Gegenstoß von Dejan Manaskov. Dass Lazarovs letzter Wurf an die Latte knallte, kann man Glück nennen. Oder begründen wie Kaufmann: "Silvio hat durch seine Präsenz den Schützen vielleicht verunsichert."

Wie dem auch sei. Die deutsche Mannschaft hatte mit einer geschlossenen, leidenschaftlichen Leistung überzeugt, die man so schon gar nicht mehr von ihr erwartet hatte. Mit ihrem Kampfgeist kompensierte sie in der zweiten Halbzeit auch fünf Zwei-Minuten-Strafen sowie die rote Karte für ihren Abwehrchef Oliver Roggisch (50.). Nur einer durfte nicht mithelfen: Der gegen Tschechien enttäuschende Kapitän Hens kam als einziger Akteur nicht zum Einsatz. "Wenn wir jetzt alle Spiele gewinnen", versicherte er tapfer, "sitze ich gern noch mal 60 Minuten auf der Bank."

© SZ vom 18.01.2012 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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