DFL-Chef Christian Seifert:Der Mann, der den Fußball retten muss

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DFL-Chef Christian Seifert (Foto: dpa)

Christian Seifert ist kein Fußball-Romantiker - das ist jetzt vermutlich nützlich, denn er ist der oberste Krisendoktor der Bundesliga. Sein Leitsatz: "Lasst uns da durchkommen!"

Ein Porträt von Philipp Selldorf, Frankfurt

Menschen, die Christian Seifert schon etwas länger kennen, hatten Anlass zu staunen, als der Geschäftsführer der Deutschen Fußball Liga seinen gewohnt präzisen Ausführungen eine ungewohnt emotionale Botschaft anfügte. "Und an das Land", sagte er, als ob ihm tatsächlich das Land zuhören würde: "Lasst uns da durchkommen."

Seiferts Genesungswunsch an die Nation auf der Pressekonferenz nach dem Gipfeltreffen des Profifußballs weckte Erinnerungen an die Worte von Innenminister Thomas de Maiziere im Herbst 2015 nach einem wegen Terrorismusgefahr abgesagten Länderspiel. Welche Hinweise der Polizei vorgelegen hätten, wurde der Politiker gefragt, und de Maiziere sagte in seiner akkuraten Art, das werde er nicht verraten, weil "Teile dieser Antwort die Bevölkerung verunsichern würden". Klar, dass viele Leute nun erst recht beunruhigt waren.

Seifert, 50, hat am Montag in Frankfurt gewiss nicht gemeint, er hielte als Spitzenvertreter des systemrelevanten Fußballs eine Ansprache ans ganze Volk, wie es die Bundeskanzlerin am Mittwoch getan hat. So eine Anmaßung braucht ihm niemand zu unterstellen, das wäre eine unverdiente Beleidigung. Aber eben deshalb war der ausnahmsweise missionarisch gefärbte Appell geeignet, das Fußball-Land zu verunsichern. Lasst uns da durchkommen - das war wortwörtlich ernst gemeint.

Christian Seifert ist jetzt, keine Übertreibung, der Mann, der den deutschen Fußball retten muss. Nie war er als Regierungschef so gefragt wie heute, zumal da er seit dem Abtreten von Reinhard Rauball im August keinen Bundespräsidenten mehr an der Seite hat. Seit 2005 steht Seifert dem Ligaverein vor, es ist ihm in all den Jahren nicht langweilig geworden, aber die wiederkehrenden Aufregungen um egozentrische und widerspenstige Vereinsvertreter oder zündelnde und zornige Kurvenfans, die ihm das Leben schwermachten, erscheinen doch vergleichsweise banal im Vergleich zur Herausforderung der schlagartig alles beherrschenden Corona-Krise. Bisher, spottet ein Liga-Angehöriger, sei der DFL-Chef "ein Schönwetter-Kapitän" gewesen, der alle paar Jahre nach dem Abschluss neuer TV-Verträge verkünden durfte, dass es mehr Geld für alle gebe, nun sei er zum ersten Mal als Krisendoktor in einer veritablen Notlage gefragt. Zurzeit fühlen sich die Betroffenen gut betreut. Auf der Vollversammlung der Bundesligen am Montag sorgte Seifert als Vortragender erstens für Einheit in der zuvor konträr durcheinanderredenden Gruppe und zweitens für die nötige Überzeugung, dass Geschmacksfragen in der akuten Misere nicht mehr das Thema sein dürfen. Vorbehalte gegen Spiele ohne Zuschauer kann sich der Profifußball schlicht nicht mehr leisten, das haben jetzt alle begriffen. Es geht um die Existenzsicherung.

Im Büro ist Seifert dieser Tage lediglich sporadisch anzutreffen, die Belegschaft befindet sich ohnehin im Heimdienst, doch der Stillstand des Spielbetriebs gibt keine Gelegenheit zum Abbau von Überstunden. Von früh bis spät redet Seifert mit der Politik, mit den Vereinen und mit den Spitzen jener Medien, die den Profifußball zu einem wesentlichen Teil finanzieren. Seifert kämpft darum, dass es sobald wie irgend möglich wieder losgehen kann. Das gegenwärtige Ideal-Szenario beschwört die Hoffnung, dass Ende April, Anfang Mai der Ball wieder rollen könnte. Vielleicht auch mit dem Argument, dass Fußball als Volkszerstreuung eben doch eine staatstragende Bedeutung haben könnte. Mancher Experte aus der Medizin hält das für illusorisch, aber die Frage ist, welche Experten in einem Monat das Sagen haben werden. "Aktuell hat die Wissenschaft das Primat und nicht die Politik, aber das wird auch wieder anders werden", meint ein Bundesliga-Manager. Für diesen Tag X versucht man sich nun vorzubereiten, und es ist klar, dass dabei zunächst diejenigen den Ton angeben, die um das finanzielle Überleben der Klubs und der Fußballindustrie kämpfen. Der von Seifert angeführte hehre Begriff der "sportlichen Integrität" steht aber spätestens dann auf dem Prüfstand, wenn die Trainer und die Fußballer wieder in Aktion treten sollen. Was für ein Fußball wird das sein, der dann in leeren Stadien aufgeführt wird? Wie wird es um die sportliche Chancengleichheit bestellt sein? Wie steht es um die Leistungsfähigkeit der Spieler, um ihre Moral?

Darum kann sich Seifert aber nicht auch noch kümmern. Zwar hat am Montag sicher nicht die ganze Nation zugeguckt, aber es saßen doch ziemlich viele vor dem Bildschirm, die sich für Fußball interessieren. Sie erlebten Seifert angespannt, aber konzentriert und entschlossen und zudem ungewöhnlich konziliant. Ja, sagte er, er habe volles Verständnis, dass viele Leute den Bundesliga-Betrieb auf die Millionäre und Spielergehälter reduzierten und deshalb vielleicht kein Ohr für die Klagen des verwöhnten Profisports hätten. "Und ja", setzte er fort, als gelte es, ein Geständnis abzulegen, "wir müssen jetzt zugeben: Wir stellen ein Produkt her." Aber dieses Produkt, das eine Handvoll junger Fußballspieler reich mache, garantiere auch Arbeit und Auskommen für mindestens 56 000 weitere Menschen. In den Klubs war der Anklang groß. Der eine Vereinsvertreter hebt hervor, Seifert trete "führend und verantwortungsvoll" auf, der andere lobt "Besonnenheit, Klarheit und strategische Weitsicht". Kritiker sind zu Followern geworden, intern und extern.

Es gibt daher hier und da auch die Furcht, dass der deutsche Fußball womöglich nicht mehr handlungsfähig wäre, falls Seifert plötzlich mal ausfallen sollte. Dieser Besorgnis treten Beteiligte jedoch ebenso entgegen wie der Kritik, der dominante Herr Seifert habe im DFL-Apparat ein System der Alleinherrschaft und somit Unentbehrlichkeit installiert. Just das im August gewählte Präsidium mit den Neulingen Oke Göttlich (FC St. Pauli), Alexander Wehrle (1. FC Köln) und Oliver Leki (SC Freiburg) sei ausgesprochen konstruktiv, heißt es. Seifert beziehe seine Kraft auch aus dem Umstand, dass die Reihen im Fußball weitgehend geschlossen seien.

Nicht nur in Fan-Kreisen wurde schon öfter in Frage gestellt, ob sich Seifert überhaupt für Fußball interessiere, das sagt einiges über die Distanz, die er in den 15 Jahren zwischen der beruflichen und der privaten Existenz gewahrt hat. Privat ist der im südbadischen Rastatt geborene Seifert seit Kindertagen ein Freund von Borussia Mönchengladbach, es wird erzählt, dass er sich gelegentlich bei Punktspielen diskret in den Borussia-Park einschmuggelt, quasi inkognito. Andere erzählen, das sei nur ein Gerücht. Glaubhafte Zeugen versichern jedoch, dass er auch 50-jährig immer noch ein guter Kicker ist, was er gelegentlich im Betriebssport unter Beweis stellt. Die vier Treffer auf der Sportstudio-Torwand seien kein Zufall gewesen. In den Juniorenteams des FV Ottersdorf und des FC Rastatt 04 war er zunächst Mittelstürmer und dann Libero. "Als Mittelstürmer fand ich mich gar nicht so schlecht", hat er neulich im Radio (SWR) erzählt, aber er habe immer schon dort gespielt, wo ihn der Trainer hingestellt habe. Statt als Fußballer hat er Karriere im Fußballgeschäft gemacht, aber dass es da einen Unterschied gibt, darauf legt er Wert, da er nun mit Fußball-Idolen zu tun hat: Mit Franz Beckenbauer oder Günter Netzer unterhalte er sich ungern über Fußball - "das ist so, als würde ich Steven Spielberg sagen, ich hätte eine Videokamera zuhause".

Auch nach 15 Jahren im Fußball-Dienst kennt ihn das Publikum nicht so richtig. Man weiß immerhin, was er an seinem Beruf nicht mag: das Oberflächliche und den Populismus, die Doppelmoral im Geschäft, das verlogene Reden von der Fußball-Familie. Christian Seifert steht in seiner ungekünstelten Coolness auch nicht im Verdacht, ein Romantiker zu sein, aber das ist jetzt vielleicht eine nützliche Eigenschaft, wenn es für das Land und den Fußball heißt: Lasst uns da durchkommen.

© SZ vom 22.03.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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