Segeln beim Ocean Race:Mehr als 30 000 Seemeilen - und am Ende entscheiden Paragrafen

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Das US-Team 11th Hour Racing hat das 14. The Ocean Race gewonnen. (Foto: Amory Ross/dpa)

Nach einem folgenschweren Unfall gewinnt das US-Team 11th Hour Racing die Weltumseglung des Ocean Race am Grünen Tisch. Die Erleichterung bei den Siegern ist groß, nachdem eine Jury eine knifflige Frage zu klären hatte.

Von Jonas Beckenkamp

"Es gibt keinen günstigen Wind für den, der nicht weiß, in welche Richtung er segeln will", so fasste der alte Seebär und Eroberer Wilhelm I. von Oranien-Nassau (1533 bis 1584) das Schicksal auf den Weltmeeren einst zusammen. Dafür, dass er den Spitznamen "Wilhelm der Schweiger" trug, war das ein forscher Appell an alle Seefahrerinnen und Seefahrer, sich ihren Kurs genau zu überlegen. Womöglich hätte derartige Präzision beim Navigieren auch beim Ocean Race der weltbesten Segler geholfen, denn der Ausgang der Regatta ist nun maßgeblich geprägt von einer Kollision zweier Boote.

Gesamtsieg am Grünen Tisch für die Amerikaner von 11th Hour Racing, so urteilte eine internationale Jury in Genua an diesem Donnerstag. Mit 37 Punkten überflügelte die Crew um Skipper Charlie Enright nach einem Regel- und Materialdrama die Schweizer von Team Holcim (33 Zähler), die nun mit Platz zwei vor Boris Herrmanns Team Malizia leben müssen.

Günstige Winde und Seglerweisheiten hin oder her, es geht beim Ocean Race schon auch ums Gewinnen, der Ehrgeiz schippert mit. Und deshalb hatte es ordentlich gerummst, als vor zwei Wochen die Yachten des Teams Guyot (letztlich Platz fünf) und 11th Hour Racing vor Den Haag aufeinandergeprallt waren.

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Auf dem Weg zum Zielhafen Genua werden zwei Boote von den Walen bedrängt. Derweil befinden sich die drei verbliebenen Yachten der Weltumseglung auf der Zielgeraden - das Rennen wird am Grünen Tisch entschieden.

Ein fataler und vermeidbarer Showdown auf der letzten Etappe Richtung Mittelmeer, wohin es schließlich erst mit einiger Verzögerung gehen konnte. Die Boote waren beschädigt, der Hochleistungskahn von 11 Hour musste unter Hochdruck am Anleger des Den Haager Hafens repariert werden, nach inniger Sicherheitsüberprüfung dann die Weiterfahrt. Trotzdem: Nach mehr als 30 000 Seemeilen um die Erde, sechs Monaten Plackerei an Bord durch Tage, Nächte und Dämmerzustände aller Art kam diese Weltumsegelung zu einem Finale mit Richterspruch.

Denn: Eigentlich drohte 11th Hour die Disqualifikation, weil ein Rückzug auf dem finalen Abschnitt nicht möglich ist. Die geschädigten Amerikaner protestierten und forderten eine Anhörung der Jury unter dem Vorsitz des Spaniers Andrés Peréz.

Der vernahm mit seinem Gremium alle Rennbeteiligten (auch Boris Herrmann saß in der Runde) und bewertete den Auffahrunfall, um eine faire Lösung für den Rennausgang zu finden. Eigentlich gestaltete sich der Hergang des Crashs recht klar: Guyot-Skipper Benjamin Dutreux hatte sein Boot bei voller Fahrt so ins Heck des Gegners gesteuert, dass dieser nicht mehr rechtzeitig ausweichen konnte.

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Eine folgenschwere Szene, die in den Almanachen des Segelsports fortan ihren Platz finden wird. Der spitze Bug des Guyot-Bootes schlitzte die 11th-Hour-Yacht regelrecht auf, ein stuhlgroßes Loch im Carbonrumpf blieb als Andenken der Havarie. Immerhin nur ein Sachschaden. In Seenot geriet vor der niederländischen Westküste niemand, alles ereignete sich in Festlandnähe.

Ein Fauxpas, für den Dutreux die Verantwortung übernahm, als er zurück im Hafen war: "Eindeutig unser Fehler", sagte der Franzose damals geknickt, "es tut mir wahnsinnig leid, was für ein Mist." Während bei 11th Hour Tränen flossen, weil die Crew glaubte, man habe ihr den Gesamtsieg entrissen, ahnte niemand, dass alles ein Nachspiel haben würde.

Loch im Boot: Die Yacht von 11th Hour nach der Kollision. (Foto: Andreas Beil/Imago)

Wie entschädigt man eine Crew, die aussichtsreich im Wettkampf liegend das Regattaziel verfehlt, weil ihre Rennyacht im Stile eines Formel-1-Duells abgeräumt wird? Über diese - auch moralisch komplizierte - Frage tagten schließlich die Regelhüter. 11th Hour berief sich beim Einspruch auf das Regelbuch des Segelsports. In den Racing Rules of Sailing steht unter den Punkten 62.1 und 64.3 vereinfacht ausgedrückt, dass einem Regattateilnehmer, der unverschuldet um ein Resultat gebracht wird, nachträglich Punkte gutgeschrieben werden können. Diese Art der Wiedergutmachung verhalf 11th Hour nun zum Triumph.

Er sei "absolut begeistert", erklärte Skipper Enright nach der Entscheidung, die ihm doch noch den Sieg ermöglichte: "Dieses Rennen verlangt dir alles ab - emotional, mental und körperlich", deshalb zeigte er sich "unglaublich stolz aufs Team, das drei Jahre lang unermüdlich gearbeitet hat, um an diesen Punkt zu gelangen".

Skipper Charlie Enright (links). (Foto: Andreas Beil/Imago)

Die Strapazen des Rennens klangen durch, die vorausgegangene Ungewissheit über den Ausgang kostete zusätzlich Nerven. Alles ganz schön viel für die Segler. Und wer Enrights Resümee lauschte, bekam einen Eindruck davon, was so ein Krimi selbst bei den härtesten Meeresbezwingern auslöst.

"Es gab unglaubliche Höhen, aber auch Tiefen, die uns alle umgehauen haben, aber sie waren es wert, heute diese Nachricht zu hören", fand der 38-Jährige. Das hätte sicher auch Wilhelm I. von Oranien-Nassau so empfunden.

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