Sechzigs Skandale (2):"Wer nicht für mich ist, ist gegen mich"

Lesezeit: 3 min

Es müssen auch nicht immer Meisterschaften sein: 1991 feiert Trainer Karsten Wettberg mit dem TSV 1860 München den lang ersehnten Aufstieg von der Bayernliga in die 2. Liga. (Foto: Werek/Imago)

Selbst der "König von Giesing", Aufstiegstrainer Karsten Wettberg, war vor dem Intrigantenstadl bei den Löwen nicht gefeit - es ist ihm offiziell bis heute verboten, das Gelände zu betreten.

Von Stefan Galler, München

Fußball-Drittligist TSV 1860 München hat Sascha Mölders aus dem Kader gestrichen, der ehemalige Torjäger und seine Fans haben über die sozialen Medien zurückgeschossen. Zoff bei den Löwen - nichts Neues: In dieser Serie blickt die SZ auf die schönsten Geschichten aus dem Tratsch- und Streitverein zurück.

Der frühere Löwen-Trainer Karsten Wettberg gab sich nie die Mühe, seine Emotionen zu verbergen. Unvergessen sein zerstörerischer Tanz mit dem Regenschirm auf Giesings Höhen beim 2:1-Sieg gegen Borussia Neunkirchen, der im Juli 1991 die Rückkehr in die zweite Liga nach neun Jahren Bayernliga bedeutete. Dass er nach dem Spiel nur mit einer Unterhose bekleidet dem Hörfunkreporter Edgar Endres im Kabinengang ein Interview gab, fanden die meisten Fans zwar authentisch, die damalige Klub-Präsidentin Liselotte Knecht war dagegen ganz und gar nicht amüsiert. Mit dieser Aktion sei er bei der "Löwen-Lilo" unten durch gewesen, sagte Wettberg in einem Interview anlässlich seines 80. Geburtstags vor einem Monat. "Sie hat meine Frau angerufen und gesagt: 'Was sich Ihr Mann geleistet hat, ist peinlich.'"

Wettbergs Nimbus bröckelt im Verlauf der Zweitligasaison 1991/92

Und so geriet der populäre "König von Giesing", wie der in Brandenburg geborene und in Niederbayern beheimatete Postler im Volksmund genannt wurde, recht schnell auf die Abschussliste. Schon bei der Aufstiegsfeier im Rathaus sollen Präsidiumsmitglieder hinter vorgehaltener Hand über andere Trainerkandidaten diskutiert haben. Doch Wettberg war wegen seiner sportlichen Erfolge - unter seiner Regie blieben die Sechziger damals 54 Spiele lang ungeschlagen - praktisch unkündbar. Sein Nimbus bröckelte allerdings in der folgenden Zweitligasaison.

Flash-Interview: Wettberg in Unterhosen mit dem Hörfunk-Reporter Edgar Endres. (Foto: imago)

Und als er dann auch noch in den Machtkampf um das Präsidentenamt hineingezogen wurde, verhärteten sich die Fronten: "Mein großer Fehler war, dass ich mich immer einmische", sagte Wettberg vor zehn Jahren der SZ und erinnerte sich daran, wie er bei der Vorstandswahl im November 1991 den Bewerber Manfred Cassani gegen Amtsinhaberin Lilo Knecht unterstützte, weil er die Querelen mit der oftmals unberechenbaren Chefin leid war. Cassani unterlag, was Wettberg zu diesem Zeitpunkt jedoch noch nicht ahnte: Im Hintergrund hatte sich Knechts neuer Vize Karl-Heinz Wildmoser bereits in Stellung gebracht. Und Wildmoser nahm Wettberg dessen Engagement für den Gegenkandidaten persönlich übel: "Wer nicht für mich ist, ist gegen mich", ließ er ihn wissen.

In der Abstiegsrunde konnten die Sechziger im Frühjahr 1992 den direkten Rückmarsch in die Bayernliga zwar noch verhindern, mussten aber in eine weitere Relegation. Bevor diese begann, beorderte die Klubführung Wettberg am 18. Mai in Wildmosers Wirtschaft in Hinterbrühl. Präsidentin Knecht unterrichtete den Coach darüber, dass er von seinen Aufgaben entbunden sei - und dass es ihm künftig untersagt sei, das Trainingsgelände zu betreten. Wettberg wehrte sich lauthals lachend dagegen, dieses Verbot zu akzeptieren, im Hinterzimmer der Gaststätte müssen sich skurrile Szenen abgespielt haben, die laut eines Rückblicks auf der offiziellen Internetseite der Löwen darin gipfelten, dass Vize Wildmoser die Hand der tobenden Vorsitzenden tätschelte und sagte: "Beruhig di, Dearndl. Wenn er net mog, dann mog er net." Von Ruhe war schon bald überhaupt keine Rede mehr, unter Interimstrainer Edi Stöhr stieg Sechzig nach zwei Niederlagen gegen Fortuna Köln wieder ab. Und Wildmoser übernahm nur eine Woche nach dem letzten Spiel das Präsidentenamt.

Starker Mann bei Sechzig: Karl-Heinz Wildmoser. (Foto: imago)

Wettbergs Bann wurde nie offiziell aufgehoben, obwohl er bei 1860 später als Vizepräsident, Aufsichtsrat und Scout tätig war: "Das Verbot habe ich bestimmt 1000 Mal übertreten", sagt er. Seine Aussage, wonach der Klub für ihn immer wie Rauschgift gewirkt habe, gilt bis heute, das hat er kürzlich noch einmal unterstrichen. 2007 mischte er noch einmal mit im Kampf um die Macht bei den Löwen, als er an der Seite von Albrecht von Linde und der Faninitiative "Pro 1860" nach dem Präsidentenamt strebte. Doch seine Gegner ließen es dazu nicht kommen, der klein gewachsene Wettberg wurde als "Gartenzwerg" verlacht, Geschäftsführer Stefan Ziffzer kolportierte den angeblichen Plan der Hausbank des Klubs, einen Drei-Mil­lionen-Euro-Kredit zu kün­digen, falls Wett­berg den Vor­sitz über­nähme. Der Verdacht, Ziffzer habe damals gegen den nach wie vor beliebten Kult-Trainer intrigiert, weil er fürch­tete, dieser würde ihm womöglich den Rang ablaufen, wurde nie entkräftet.

© SZ - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: