Schwimm-EM in Glasgow:"Sarah ist galaktisch gut drauf"

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Sarah Köhler im August bei einem Wettkampf in Berlin. (Foto: Getty Images For FINA)
  • Bei der Schwimm-Europameisterschaft ist Sarah Köhler eine der größten Medaillenhoffnungen der deutschen Mannschaft.
  • Über 400 und 800 Meter Freistil schwamm sie in diesem Jahr die besten Zeiten der Meldeliste.
  • Als Athletensprecherin äußert sie sich kritisch zum Deutschen Schwimm-Verband - unter anderem zu den harten Normen.

Von Saskia Aleythe, Glasgow

Die Sache mit der Hymne konnte Sarah Köhler schon üben. Europameisterin ist sie schließlich schon, seit vergangenem Dezember, als sie im 25-Meter- Becken in Kopenhagen nach 800 Meter Freistil als Erste anschlug - sie brauchte dann ein paar Blicke zur Anzeigetafel, bis sie das mit dem Titel begriffen hatte. Als dann bei der Siegerehrung die deutsche Hymne lief, legte Köhler die Hand aufs Herz und schloss die Augen: Sie genoss sich und den Moment. Ein Anblick, der selten geworden ist im deutschen Schwimmen. So selten, dass es schon aufhorchen lässt, wenn jemand wie Köhler nun übers Schwimmen sagt: "Mir macht das einfach Spaß."

Einfach Spaß zu haben an diesem Sport, das ist gar nicht so einfach nach zwei medaillenlosen Olympischen Spielen der Beckenschwimmer, unter der ständigen Beobachtung, ob man nun, bitteschön, diejenige sein wird, die die Nation aus der Krise hievt. Einfach Spaß zu haben an diesem Sport, das kann auch daran scheitern, dass als Voraussetzung für die EM-Teilnahme Zeiten geschwommen werden müssen, die für ein Olympiafinale taugen würden. Köhler hat dazu kritische Gedanken parat, sie wurde schon Opfer solcher rigoroser Vorgaben. Dass sie dann nicht resignierte, hat sie weit gebracht.

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Auf der Innenseite des linken Oberarms trägt sie ein großes Tattoo, das beim Jubeln von den Kameras eingefangen wird, es ist ein Motiv mit Spruchband: "Jeder ist seines Glückes Schmied." Und das ist auch ein Teil der Erklärungen, warum Sarah Köhler bei den anstehenden Europameisterschaften in Glasgow erneut die Hymne hören könnte. Und zwar nicht nur einmal. In den Meldelisten ist sie über 400 und 800 Meter Freistil die besten Zeiten in diesem Jahr geschwommen, über 1500 Meter liegt sie auf Rang zwei. Fakten, die den Bundestrainer Henning Lambertz dazu bringen, zu euphorischen Worten zu greifen. "Sarah ist galaktisch gut drauf", sagt er also, "sie schüttelt beständig Topzeiten aus dem Ärmel, das kann eigentlich nur gut werden." Bei der vergangenen WM hätte sie das auch gerne schon gezeigt - wäre sie denn im Team gewesen.

Zwar hatte sie schon im April 2017 über 800 Meter eine Zeit geschwommen, die WM-Norm bedeutet hätte, doch bei den deutschen Meisterschaften im Juni konnte sie diese nicht wiederholen - und dieser Modus war damals qualifikationsrelevant. "Natürlich habe ich danach gehadert", sagt Köhler heute, "aber ich kann mich ärgern wie ich will, das ändert ja nichts." Die WM 2017 in Budapest verfolgte sie jedenfalls im Fernsehen und schaffte sich ein Alternativprogramm, das zum Glücksfall werden sollte: Sie fuhr zur Studenten-WM nach Taipeh, "das war dann halt mein Saisonhöhepunkt". Dort knackte sie die deutschen Rekorde über 400 und 1500 Meter Freistil und gewann drei Medaillen. Als sie dann im Dezember noch bei der Kurzbahn-EM triumphierte, gab es auch von Lambertz Anerkennung: "Es zeigt, was sie für ein Profi ist, und dass sie nicht mit einer Trotzeinstellung reingeht." Trotz frisst Energie. Und wofür sie ihre Energie einsetzt, wägt Köhler ab.

Als Athletensprecherin der deutschen Schwimmer hat sie eine klare Haltung zu Lambertz' schweren Normen: "Für eine EM eine Zeit zu verlangen, die Platz acht bei Olympia gewesen wäre, ist meines Erachtens unverhältnismäßig." Die schwächeren U23-Normen für jüngere Athleten sollte man ihrer Meinung nach überdenken: "Gerade als Frau mit 23 sollte man so langsam in der internationalen Spitze angekommen sein." Und auch die Kommunikation zwischen Bundestrainer und Athleten findet sie verbesserungswürdig: "Ich hoffe, wir kriegen das auf dem Weg bis nach Tokio hin. Das wäre für die Athleten und die Trainer noch mal eine Erleichterung." Doch daneben gibt es eben auch Dinge, die sie nicht beeinflussen kann, dann gilt es, das Beste daraus zu machen. Zum Beispiel aus der Schulterverletzung, die im vorigen Sommer aufgetreten ist: "Ich konnte mich gar nicht mehr bewegen, auch im Bett nicht mehr umdrehen vor Schmerzen." Eine angerissene Sehne beeinträchtigt sie noch heute: "Während meiner laufenden Karriere muss ich ein gutes Gleichgewicht finden, damit klar zu kommen und so gut wie es geht zu trainieren", sagt sie. Kann man nicht ändern, also: Was soll's?

"Genieß dein Leben ständig, du bist länger tot als lebendig", ist noch so ein Spruch, der in Glasgow durch den Pool geschwommen wird, und dass er auf der Brust von Florian Wellbrock prangt, passt auch wieder gut. Wellbrock ist ja ebenfalls ein Langstreckenkrauler, der über 800 und 1500 Meter vor ein paar Monaten erst deutsche Rekorde geschwommen ist und nun in Glasgow auf die nächste Belohnung hofft. Seit einem Jahr sind Köhler und Wellbrock ein Paar, sie trainiert in Heidelberg, er in Magdeburg - oder beide trainieren halt zusammen, mit ihren Trainern Michael Spikermann und Bernd Berkhahn. "Es ist für mich einfach gut, mal mit ihm und anderen Jungs aus seiner Trainingsgruppe zu trainieren. Weil das eine andere Herausforderung für mich ist, als immer alleine zu schwimmen oder mit meiner Trainingspartnerin", sagt Köhler. Beide werden in Glasgow auch im Freiwasser antreten.

Schwimmen allein genügt ihr nicht. Nebenbei studiert sie Rechtswissenschaften

Herausforderungen scheinen Sarah Köhler anzuziehen: Als wären die Trainingspläne der Schwimmer nicht schon zeitintensiv genug, studiert sie nebenbei auch noch Jura, mittlerweile ist sie im achten Semester. "Ich möchte nicht lügen und sagen, mir fällt das alles leicht", sagt Köhler, "ich habe auch schon Nerven gelassen und gedacht: Das schaffe ich gar nicht beides. Aber solange mir beides Spaß macht, ist gar nicht die Frage, dass ich das Studium aufgebe."

Da sind sie also wieder, der Spaß und die Frustresistenz. Womöglich ist Letzteres genau die Eigenschaft, die man als Schwimmer gerade braucht.

© SZ vom 03.08.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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