Schottland gegen die DFB-Elf:Applaus für jeden Einwurf

Lesezeit: 3 min

Die Schotten bejubeln ihren Torschützen James McArthur (2. v. re.). (Foto: Getty Images)
  • Schottland spielt beim 2:3 gegen Deutschland arg limitiert - doch das Lob für die Leistung gegen den Weltmeister fällt überschwänglich aus.
  • Wer Kritik übt, bekommt es mit Coach Strachan zu tun.
  • Hier geht es zur Tabelle der Gruppe D.

Von Thomas Hummel, Glasgow

Bevor irgendjemand anfangen konnte, das Spiel der Schotten zu kritisieren, legte Gordon Strachan den Maßstab fest. "Jemand sagte mir, wir hätten sie nicht genug attackiert", berichtete er, legte die Stirn in Falten und blickte mürrisch wie ein Schafhirte bei Sturm in den Raum. "Gut, dann fragt mal die Brasilianer, wie sie mit ihnen zurechtkamen. Jesus!"

Damit war die Debatte beendet. Brasilien ist nun der Richtwert. Haben die Größten der Welt nicht sieben Tore gegen diese Deutschen kassiert? Im WM-Halbfinale? Da ist es wohl keine Schande für das kleine Schottland, mit sechs bis neun Spielern den eigenen Strafraum zu verbarrikadieren und vorne wahlweise auf den lieben Gott oder einen Freistoß zu hoffen.

Viel gewonnen gegen den Weltmeister

Die Taktik von Nationaltrainer Strachan ging insofern daneben, da seine Mannschaft am Montagabend im Hampden Park in Glasgow zwar nicht sieben Gegentore fing, aber doch drei und damit eins zu viel. Nach dem 2:3 ist die Europameisterschaft in Frankreich nur noch schwer zu erreichen, die Schotten liegen auf Platz vier der Qualifikationsgruppe D, vier Punkte hinter Irland auf dem Playoff-Platz bei noch zwei ausstehenden Partien. Auf der anderen Seite hatten Strachan und sein Team dennoch viel gewonnen. Wer hätte schon gedacht, dass Zeitungen wie der Daily Express am Dienstag titeln würden: "Schotten wieder mal ohne Glück."

Strachan lobte seine Spieler fast überschwänglich. "Sie taten, was sie konnten. Das war eine fantastische Vorstellung", so der Coach. Der 58-Jährige wirkte fast euphorisiert. Seinem Team hätten nur vier, fünf bessere Pässe gefehlt, oder ein gelungener Konter. Eben eine Kleinigkeit zur perfekten Leistung. "Und wenn du gegen den Weltmeister spielst, dann brauchst du auch Glück. Das hatten wir heute nicht", sagte Strachan. Auch er bemühte also das Schicksal, um die Niederlage zu erklären. Der abgefälschte Schuss von Thomas Müller zum 0:1 diente als Beweisstück. Dazu zwei Gegentreffer über den Innenpfosten.

Doch war es nicht so, dass die Gastgeber fußballerisch so unterlegen waren wie ein Viertligist im Pokal gegen einen Champions-League-Teilnehmer? Die Barrikade-Taktik verhinderte ein Gros an deutschen Chancen. Fiel den Schotten allerdings der Ball zu, erfasste die Spieler oft Panik. Meist war die Kugel schnell wieder weg. Und wie sie in der ersten Halbzeit zweimal einen Rückstand aufholten, konnten sie selbst kaum erklären. Bei den Fernschüssen von Shaun Maloney und James McArthur fand der Ball auf wundersamen Wegen durch eine Spielerhorde hindurch den Weg in Richtung Tor.

Einmal folgte daraus nach Manuel Neuers Abwehr ein Eigentor von Mats Hummels. Danach rauschte der Ball am verblüfften Neuer vorbei direkt ins Netz. Zwei Angriffe, zwei Tore. Die höheren Fußballmächte meinten es eigentlich ganz gut mit den Schotten.

Mit den Leuten im Stadion natürlich auch. Denn das war es doch, was sie sich erhofften. Ein paar lichte Momente des Gastgebers, um den Hampden Park mal so richtig abheben zu lassen. Und die 50 753 Zuschauer ließen es wahrlich krachen.

In den Radiosendungen vor dem Spiel war schon viel die Rede gewesen von einer "great atmosphere", auf die die Schotten hofften. Das Kribbeln begann, als sich die 50 000 mit dem heimischem Liedgut "Bonnie Banks o' Loch Lomond", den "500 Miles" von den Proclaimers und der innoffiziellen Nationalhymne "Flower of Scotland" warm sangen. Dabei hob eine Gruppe ein Plakat hoch mit der Aufschrift "Refugees welcome" - Flüchtlinge willkommen. Mitten in einer hitzig geführten Debatte im Vereinigten Königreich, ob man nicht mehr Menschen etwa aus Syrien aufnehmen müsse, sendete Glasgow dieses Zeichen in die Kameras.

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"Alle haben 100 Prozent"

Danach ging es wieder um Fußball und spätestens nach den Treffern bejubelten die Fans jede erfolgreiche Grätsche und jeden gewonnen Einwurf ihrer Mannschaft. Spieler wie Zuschauer gaben ganz den hingebungsvollen Außenseiter, der sich mit aller Leidenschaft dem übermächtigen Gegner entgegenstellt. "Alle haben 100 Prozent gegeben, mehr kann man nicht erwarten", urteilte Strachan.

Immerhin schuf er mit seinem Team damit einen Stimmungswandel im kleinen Fußballland. Zuvor waren sie noch für ihren blutleeren Auftritt in Georgien (0:1) hart verurteilt worden. Denn eins können die Schotten nicht leiden: Verzagtheit. Dass die Spieler danach am Flughafen in Tiflis elf Stunden auf ihren Rückflug warten mussten, trug zur beißenden Kritik an den vermeintlichen Stümpern bei. Der Mut gegen die Deutschen vertuschte dann den Umstand, dass sich der Mannschaftbus am Montag im Glasgower Stau verheddert hatte und das Team erst eine knappe Stunde vor Spielbeginn im Stadion eingetroffen war.

So durften die Fans in ihren Kilts und dunkelblauen Trikots stolz und zufrieden den Hampden Park verlassen. Mutig gespielt und doch verloren - das gehört hier dazu. Oder wie es ein Radiosprecher ausdrückte: "It's never easy beeing Scottish." Es ist niemals einfach, ein Schotte zu sein.

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