Schmiergeld-Verdacht bei WM-Vergabe:Bruder aus der Tafelrunde

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Heikle Dokumente deuten auf die Schmiergeld-Offensive Bin Hammams vor der WM-Vergabe 2022 hin. Doch warum kennt Chefermittler Garcia diese Daten nicht? Um Fifa-Chef Sepp Blatter spielt sich womöglich gerade ein sportpolitisches Scharmützel ab, das ein wenig in die Hosen geht.

Von Thomas Kistner, Rio de Janeiro

Auch Lydia Nsereka taucht als Kostgängerin auf in den angeblichen Korruptionsdokumenten um den Katarer Mohamed Bin Hammam. Sehr ärgerlich, Lydia ist der große Stolz von Sepp Blatter und dessen Reformhelfern: Demonstrativ war Burundis Fußballchefin als erste Frau in die Fifa-Exekutive gehievt und diese gar auf 25 Personen erweitert worden. Nun erscheint die Kür der Vorzeige-Dame als umsichtige Wahl: Es passt zusammen.

Die ersten Papiere zu einem offenbar hochkorrupten WM-Feldzug, die am Wochenende von der Sunday Times verbreitet wurden, zeigen ein vertrautes Bild. Restlos verlottert ist die Welt der Funktionäre, die sich in Brasilien anschicken, ihre nächste WM-Sause zu feiern. Nach Aktenlage soll Bin Hammam die Schmiergeld-Offensive für Katar 2022 Mitte 2008 gestartet haben. Im Hauptquartier des von ihm regierten asiatischen Fußballverbands AFC in Malaysia sollen Barbeträge verteilt worden sein; E-Mails zeugen auch von anderen Transfers.

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Etwa, wie sich ein Funktionär Westafrikas an den Katarer wendet: "Ich brauche Deine brüderliche Hilfe und gebe Dir meine Bank-Daten für jede Art Überweisung." Ein anderer bat um 232 000 Dollar aufs Privatkonto, klar, für den Bau von Kunstrasenplätzen. Und bis zu 800 000 Dollar soll Bin Hammam an Verbände oder direkt auf Konten von fünf Leuten geschickt haben, die damals (Ende 2010 vergab die Fifa die WM an Katar) mit ihm den Fifa-Vorstand zierten, der ja auch das Wahlgremium bildete. Genannt werden drei Vertreter des Afrika-Verbandes Caf, dazu Jack Warner (Trinidad) sowie Reynald Temarii (Tahiti), der aber leider schon vor der Kür suspendiert werden musste: Er war Journalisten bei einem Bestechungsversuch auf den Leim gegangen.

Alle Betroffenen bestreiten die Vorwürfe, Katars Organisatoren drohen rechtliche Schritte an, "um die Integrität der Bewerbung zu verteidigen"; Anwälte seien schon tätig. Bisher tat das OK, erwachsen aus dem Bewerberkomitee, so, als habe Bin Hammam eine private Nebenbewerbung betrieben, von der man im gestrengen Emirat nichts wusste. Die Times aber behauptet, ihr lägen für die Kooperation zwischen Bewerbern und Fußballchef "klare Beweise" vor. Von anderer Seite werden Geldflüsse, die nicht zu leugnen sind, als das deklariert, was im Fußball ein Synonym für Korruption ist: Entwicklungshilfe.

All das nährt den Verdacht, dass das Fifa-Wahlsystem "eine Stimme pro Land" ein Freifahrschein für Bestechung ist. Blatter verkauft dieses Konstrukt als Basisdemokratie - dabei führt es dazu, dass sich Kandidaten ohne Argumente, aber mit prallen Geldkoffern gar nicht bemühen müssen, demokratisch legitimierte Verbandschefs zu überzeugen, die wie im Fall des DFB oder der britischen FA Millionen im Fußball organisierte Menschen vertreten. Warum sich schwer tun, wenn es einfach geht? Wenn es Dutzende empfängliche Funktionäre gibt, die armen oder kaum existenten Verbänden vorstehen: Von karibischen Sandstreifen ohne Ligabetrieb bis zu Südseeinseln, die kaum Fußballplätze haben.

Die trübe Welt, die nun wieder zutage tritt, ist der Alltag im Geschäft mit dem Weltfußball. Eines Gewerbes, das anders als jedes andere das Privileg genießt, sich selbst kontrollieren zu dürfen. Deshalb ist, was immer die Akte Bin Hammam zutage fördert, der ganzen Branche als Brauchtum zuzurechnen. Zumal der Katarer ja ein Jahrzehnt lang nicht irgendwer war in der Tafelrunde von König Sepp: Er war Ritter Lancelot, der Engste, der schon 1998, bei Blatters Throneroberung, entscheidend im Hintergrund half. Nicht nur per Privatjet, enorme Zahlen wurden immer wieder geraunt. Wofür hat sich Blatter damals in einem glühenden Brief bei Bin Hammam bedankt, was meinte er damit, dass er ohne ihn nicht Präsident geworden wäre?

Das gehört auf den Tisch. Schließlich will Blatter nächstes Jahr, mit dann 79 Jahren, ein fünftes Mal zum Fifa-Boss gekürt werden. Insofern bergen die Verwerfungen auch eine Chance für Katar. Das Emirat steht mit dem Rücken zur Wand, es könnte aber wohl in die Offensive gehen, wenn es, den Geist der Stunde nutzend, über all die Wahlkampfhilfen für jenen Mann auspackt, der sich nun als Reformer und Aufklärer inszenieren wird. Im Übrigen stellt sich die Frage, ob es sein kann, dass eine Zeitung so brisante Daten aus dem Fifa-Inneren präsentieren kann, während sie dem mit Millionen ausstaffierten Fifa-Ermittler Michael Garcia nicht vorliegen. Der ew Yorker Ex-Bundesanwalt, 2011 sogar als Chef des FBI gehandelt (wo er Vorgesetzter seiner Gattin geworden wäre), hat beste Drähte zu Nachrichtendiensten. Sollte der mit einem Heer von Detektiven und Wirtschaftsanalysten operierende Fifa-Fahnder da nicht zumindest auf dem Wissenstand der Times sein? Doch, das ist er. Diese Frage hat er gestern selbst per Statement der Ethikkommission geklärt: "Nach Monaten der Zeugenvernehmung und des Materialsammelns wollen wir diese Phase bis 9. Juni beenden und danach binnen etwa sechs Wochen einen Bericht an die Rechtskammer senden." Nachdem die Times jetzt aber detailliert neue Millionen-Bestechungen auftischt, dürfte es ausgeschlossen sein, dass Garcia die nicht schon selbst durchleuchtet hat. In den verbleibenden paar Tagen ist das ja nicht mehr zu schaffen, schlicht ignorieren darf er die Vorwürfe aber auch nicht. Also ist zu vermuten, dass diese Veröffentlichung nur wenige Tage vor Garcias Ermittlungsende eher kein Zufall ist. Was zu der Frage führt, ob diese Ermittlungen auch ein sportpolitisches Scharmützel sind. Eines, das dann schlecht ausgehen dürfte: Falls Fifa-Kreise belastende Daten durchsteckten, darauf spekulierend, dass sich Blatter als Richter über Katar zu neuer Glaubwürdigkeit aufschwingen könnte und zu einem Wahlsieg 2015 - so eine Rechnung wäre ohne die Fußballwelt gemacht worden. Englische Politiker fordern bereits, Blatter die erneute Kandidatur zu verbieten. Eine klare Reaktion stünde auch deutschen Politikern gut an, aber das erscheint derzeit recht aussichtslos, so kurz bevor das Land wieder einmal im WM-Taumel versinkt. Oder hat Garcia am Ende selbst mit den Enthüllern paktiert? Getrieben von der Ahnung, dass ihm sein Auftraggeber Fifa am Ende die Ermittlungsergebnisse zerschlagen könnte, weil es dabei nur um Aktionismus ging, um Publikumsberuhigung? Das Chaos ist enorm. Als böte der Schauplatz Brasilien nicht genug davon.

© SZ vom 03.06.2014 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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