Schlierenzauer gewinnt Vierschanzentournee:Unter Druck zum Diamanten gereift

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Er trotzt dem Dauerregen und der Konkurrenz um Anders Jacobsen: Gregor Schlierenzauer feiert in Bischofshofen seinen zweiten Gesamttriumph bei der Vierschanzentournee. Das deutsche Team erlebt einen bitteren Tag - Bundestrainer Werner Schuster tröstet sich mit einem Blick auf das Endergebnis.

Von Thomas Hahn, Bischofshofen

Anders Jacobsen saß auf dem Startbalken der Paul-Außerleitner-Schanze. Er schaute der Chance nach, die er nicht mehr hatte. Er hatte anstrengende Tage hinter sich bei dieser 61. Vierschanzentournee, bei der er unversehens zu zwei Siegen gekommen war. Und nun saß er hier oben vor 20 000 Zuschauern, als der letzte Herausforderer des österreichischen Titelverteidigers Gregor Schlierenzauer, und wusste, dass er irgendwas Magisches zeigen musste, um dem Führenden den Gesamtsieg noch zu entreißen.

Jacobsen drückte sich in die Spur. Er sprang, er taumelte durch die Luft, und dann ging es weit, weit. 139 Meter. Der Landedruck zwang ihn in die Knie, aber er fiel nicht. War das magisch genug? Dann segelte Schlierenzauer durch den Regen. Er taumelte nicht. 137,5 Meter, das reichte. Platz eins beim Finale von Bischofshofen, Platz eins in der Tournee-Wertung. Jacobsen applaudierte Schlierenzauer. Schlierenzauer gratulierte Jacobsen, und der Sieger sagte: "Nur unter extremem Druck reifen die richtig großen Diamanten."

Ein verwaschener Winter lag über dem Pongau, es regnete aus einem bleiernen Himmel, die Nachrichten erzählten von Hochwasser und Murenabgängen, und irgendwie passte das alles gar nicht zu den Farben des Ereignisses, zu seinem Lärm und zu der Gute-Laune-Musik, die sie in den Straßen Bischofshofens spielten. Aber was passte schon zusammen an diesem letzten Wochenende der Tournee? Schon die Qualifikation brachte widersprüchliche Eindrücke.

Der Russe Denis Kornilow und der Österreicher Manuel Fettner stürzten im welligen Auslauf. Der Deutsche Martin Schmitt, der auf den Beinen blieb und sich sicher für den Wettkampf qualifizierte, tadelte den Aufsprunghang als "grenzwertig". Und auch die Besten setzten Zeichen, die man aus der Ferne nicht gleich verstand. Jacobsen sprang 130,5 Meter, das sechstbeste Ergebnis, aber wunderte sich: "Es fühlte sich irgendwie komisch an." Und dann stürzte Schlierenzauer fast ab. 122 Meter, Platz 37. Was war los? "Irgendwas stimmt nicht mit der Anlaufspur, man hat das Gefühl, dass man rechts etwas höher steht und auch einen leichten rechten Kick bekommt beim Sprung", sagte der Favorit, "aber ich glaube, dass sie das bis morgen hinbekommen werden."

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Die früheren Sieger des traditionsreichen Skisprungvierkampfes waren allesamt wagemutig - manch einer auch abseits des Sports. Von Offizieren, Häftlingen und Maskenträgern.

Dieses Tournee-Finale wollte es den Hauptdarstellern offensichtlich nicht zu einfach machen. Und die Deutschen warf es im Wettkampf regelrecht ab: Zunächst Severin Freund, der nach Platz vier von Innsbruck mit Aussichten auf Rang drei in der Gesamtwertung gestartet war. 126 Meter. Er landete, er machte eine wegwerfende Handbewegung. Ohnmächtig musste er zuschauen, wie die Zahlen zu diesem missglückten Versuch an der Anzeigetafel erschienen und ihn als K.o.-Duell-Verlierer gegen den Polen Stefan Hula auswiesen. Er wartete, er sah, wie ein Rivale nach dem anderen an ihm vorbeizog.

Freund konnte sich nicht unter den besten Verlierern halten und notierte seine erste echte Niederlage seit langem. "Das ist so bitter", sagte er im ZDF, "ich hätte nicht gedacht, dass ich ausgerechnet hier so einen Fehler mache. Ich kann nur die Lehren daraus ziehen, aufstehen und weitermachen." Bundestrainer Werner Schuster sagte: "Er wollte es ein bisschen erzwingen, nicht erspringen."

Severin Freund ärgert sich: Tournee-Aus im ersten Durchgang (Foto: Bongarts/Getty Images)

Es setzte weitere Ohrfeigen für das deutsche Team: Martin Schmitt verlor gegen den Slowenen Peter Prevc und rettete sich nur mit knapper Not als letzter bester Verlierer sowie punktgleich mit dem Österreicher Martin Koch in den zweiten Durchgang (Schmitt wurde 24.). Andreas Wellinger brachte den weitesten Sprung des ersten Durchgangs zustande mit 133,5 Meter, verkantete aber im Auslauf und stürzte. Schuster zerbrach fast seine Startfahne, so heftig schlug er sie vor Ärger gegen das Geländer. Und später musste er mit süßsaurer Miene zugestehen: "Heute ist wirklich nichts zusammengelaufen."

Ein guter Michael Neumayer kam auf Platz acht, Richard Freitag auf Rang zwölf, Wellinger rettete sich immerhin noch auf Platz 19. Schuster war froh, dass alle dieses Finale unverletzt überstanden hatten. Immerhin, die Gesamtbilanz fiel versöhnlich aus. Neumayer, Wellinger, Schmitt, Freitag, Freund auf den Rängen sechs, neun, zehn, elf, 13 in der Tourneewertung. Trotz Freunds misslichem Finale sagte Schuster: "Von der mannschaftlichen Präsenz sind wir so gut wie schon lange nicht mehr."

In der anderen Liga gaben sich die Sieganwärter keine Blöße. Gregor Schlierenzauer legte im ersten Durchgang 133 Meter vor und eilte aus dem Regen. "Alles, was nass wird, hat mehr Gewicht", erklärte er im ORF, "aber die Betreuer haben ja unglaublich viele Regenschirme." Anders Jacobsen sprang 1,5 Meter kürzer als der Österreicher, aber verdiente sich wegen der schlechteren Windbedingungen so viele Kompensationspunkte, dass er sich mit 0,8 Zählern Rückstand direkt hinter Schlierenzauer setzte. Auch er zog sich schnell wieder in sich selbst zurück. Er wusste, dass er im zweiten Durchgang irgendwas Magisches zeigen musste, um Gregor Schlierenzauer noch abzufangen in der Gesamtwertung. Anders Jacobsen wartete. Er sah den Regen. Er hangelte sich auf den Startbalken. Er schaute der Chance nach, die er nicht mehr hatte, und sprang.

© SZ vom 07.01.2013 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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