Türkischer Fußball:Schläge und Tritte gegen den Schiedsrichter

Lesezeit: 3 min

Schiedsrichter Halil Umut Meler liegt am Boden und wird trotzdem weiter attackiert. (Foto: Depo Photos/Reuters)

In der ersten türkischen Liga kommt es zu einer beispiellosen Eskalation: Schiedsrichter Halil Umut Meler wird am Boden liegend krankenhausreif getreten. Die Türkei setzt vorerst den Spielbetrieb aus.

Von Adrian Kühnel

Wenn sich hochrangige Politiker in sportliche Belange einmischen und ihre Meinung öffentlich kundtun, ist für gewöhnlich Beachtliches vorgefallen. So war es am Montagabend in der Türkei. Staatspräsident Recep Tayyip Erdoğan schrieb beim Kurznachrichtendienst X davon, dass Sport mit Gewalt "unvereinbar" sei. "Wir werden niemals zulassen, dass es im türkischen Sport zu Gewalt kommt", präzisierte Erdoğan. Allerdings war es kurz zuvor zu Gewalt im türkischen Sport gekommen, in der Süper Lig, der ersten Fußball-Liga des Landes, genauer gesagt beim Spiel zwischen MKE Ankaragücü gegen Çaykur Rizespor (1:1).

Halil Umut Meler war mit der Aufgabe betraut worden, jene Begegnung des 15. Spieltags als Schiedsrichter zu leiten. Seit 2015 pfeift Meler in der Süper Lig, seit der zweiten Hälfte der Saison 2021/22 gehört er sogar den Uefa-Elite-Referees an. Der 37-Jährige hat sich national einen Namen gemacht und genießt auch international Ansehen. Nun sollte Meler, der auch Champions-League-Erfahrung vorweisen kann, mal wieder ein Ligaspiel pfeifen.

Fußball
:Griechenland schließt Fußballfans aus

Nach Gewaltexzessen finden die Spiele der griechischen Meisterschaft bis Mitte Februar vor leeren Rängen statt. Die Regierung sagt, sie wolle deeskalieren.

Eine gewöhnliche Partie wurde es aber keineswegs. Melers Erfahrung war gefragt. Ein arbeitsreicher Montagabend wurde es: Sechs Verwarnungen musste Meler aussprechen, dazu zwei Platzverweise nach jeweils gelbroter Karte. Ankaragücü traf zwar früh zur Führung (14.), war aber lange in Unterzahl, Rizespor erzielte schließlich in der 97. Minute den Ausgleich. Kurz darauf pfiff Meler ab. Ein turbulenter Arbeitstag sollte für ihn ein Ende finden - eigentlich.

Der Schiedsrichter pfiff ab, da bekam er einen Faustschlag ins Gesicht, weitere Beteiligte traten auf ihn ein

Denn bevor Meler in Richtung Katakomben aufbrach, lief Ankaragücüs Präsident Faruk Koca wutentbrannt auf den Rasen und verpasste Meler einen Faustschlag ins Gesicht; der konsternierte Referee stürzte zu Boden. Dort traten andere Beteiligte weiter auf ihn ein. Es bildete sich bald ein Rudel mit Vertretern beider Teams, letztlich konnte Meler von Helfern gestützt aufstehen.

Doch die Attacke hatte Folgen: Meler musste in ein Krankenhaus in Ankara eingeliefert werden. Er habe einen Bluterguss am Auge und einen Jochbeinbruch erlitten, teilte der behandelnde Chefarzt Mehmet Yörübulut mit. Meler selbst meldete sich ebenfalls zu Wort. Faruk Koca habe ihm bei der Attacke angekündigt, er werde ihn fertig machen, wird Meler bei beIN Sports zitiert. An einer Versöhnung mit Koca und den anderen Gewalttätern sei er nicht interessiert, so Meler. Stattdessen wolle er sie verklagen.

Dieses Foto von Schiedsrichter Meler im Krankenhaus veröffentlichte das türkische Sportministerium. (Foto: Handout/Afp)

Der türkische Fußballverband (TFF) kündigte indes bereits "strengste" Sanktionen an. "Dieser abscheuliche Angriff richtete sich nicht nur gegen Halil Umut Meler", schrieb die TFF nach dem Vorfall: "Diese unmenschliche und verabscheuungswürdige Attacke richtete sich gegen alle Akteure des türkischen Fußballs." Gemeinsam mit dem Staat habe man "gegen die Verantwortlichen und Anstifter dieses unmenschlichen Angriffs alle ihnen gebührenden Strafverfahren eingeleitet".

Staatspräsident Erdoğan "verurteile den Angriff auf Schiedsrichter Halil Umut Meler", schrieb er weiter bei X und wünschte Meler "baldige Genesung". Der türkische Fußballverband hat inzwischen den Spielbetrieb ausgesetzt und erklärt, dass "die Spiele in allen Ligen auf unbestimmte Zeit verschoben wurden".

Damit kam er der Reaktion von Faruk Koca zuvor, der sich am Dienstagabend in einem Schreiben für seine Gewalttat vom Vorabend zu entschuldigen versuchte und seinen Rücktritt als Ankaragücüs Präsident ankündigte. Nichts könne die von ihm begangene Gewalt legitimieren oder erklären, hieß es in der Stellungnahme Kocas, die Ankaragücü auf X veröffentlichte. Er habe sich immer für Fairplay eingesetzt und es sei ihm peinlich, dass er nun "für die Schaffung eines genau entgegen gesetzten Umfeldes" gesorgt habe, schrieb Koca.

Zunächst hatte Koca sein Verhalten noch verteidigt. Der Vorfall sei auf "Fehlentscheidungen und provokatives Verhalten des Schiedsrichters" zurückzuführen, sagte er laut der staatlichen Nachrichtenagentur Anadolu. "Meine Absicht war es, verbal auf den Schiedsrichter zu reagieren und ihm ins Gesicht zu spucken."

Im Nachbarland Griechenland sorgt der Fußball unterdessen ebenfalls für Negativschlagzeilen. Nachdem es dort in den vergangenen Monaten immer wieder zu schweren Ausschreitungen zwischen Fans und der Polizei sowie Drohungen gegen Schiedsrichter gekommen war, hat die Regierung bis zum 14. Februar in der heimischen Superliga den Ausschluss der Zuschauer in den Stadien angeordnet. Griechenland erhofft sich von dieser Maßnahme, das Gewaltproblem in den Griff zu bekommen. Es wird sich zeigen, ob es gelingt - ebenso in der Türkei.

© SZ - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

SZ PlusGewalt auf dem Fußballplatz
:Die Angst is auf'm Platz

Im Amateur- und Jugendfußball wird geschlagen, gespuckt, beleidigt, und immer wieder richtet sich die Gewalt gegen diejenigen, die eigentlich schlichten sollen: die Schiris. Wie könnten sie geschützt werden?

Von Moritz Geier

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: