Schalke 04:Der Sündenbock heißt Nübel

Lesezeit: 3 min

Die Tränen des Torwarts: Alexander Nübel (Mitte) wird nach seinem schwarzen Abend in Köln von Schalker Mitspielern getröstet. (Foto: Jan Huebner/imago images)
  • Vor dem Pokalspiel gegen den FC Bayern beklagt Schalke weitere Verletzte - und einen untröstlichen Torwart.
  • Alexander Nübel patzte gegen Köln erneut, nun könnte Trainer Wagner wieder auf Markus Schubert setzen.

Von Philipp Selldorf, Köln

Florian Kainz bedankte sich höflich für die Glückwünsche zum 3:0, versäumte aber auch nicht, den Sachverhalt richtigzustellen. Er habe gehört, das Tor werde von der DFL als Eigentor gewertet, sagte er - und äußerte dazu keinen Einwand. Zwar hatte der Kölner Mittelfeldspieler in der 78. Minute aufs Schalker Tor geschossen, es handelte sich jedoch lediglich um den notdürftigen Versuch, dem Angriff einen Abschluss zu geben. Torwart Alexander Nübel hatte keine Mühe, den Ball in die Arme zu schließen. Hier hätte die Szene enden müssen, doch Nübel bekam den Ball nicht zu fassen, er glitschte ihm durch die Arme und Hände wie ein nasser Karpfen, und je mehr er ihn zu packen versuchte, umso widerspenstiger wurde er. Bis der Ball zu Boden fiel und über die Linie kullerte.

Dies war der Moment, der Schalke 04 neben all den anderen wuchernden Schwierigkeiten - schlimme Formkrise und noch schlimmeres Verletzungspech - weiteren gravierenden Kummer bescherte: Zum nicht mehr zu leugnenden Torwartproblem kommt nun die Tatsache, dass die eigenen Fans vom Konsens des Miteinanders abrückten. Sie machten Nübel zum Sündenbock für die desolate Leistung der Mannschaft und zum Gegenstand schmerzender Polemik.

Neuer, Nübel, Schubert
:Eine Debatte, die alle verrückt macht

Neuer oder Nübel? Nübel oder Schubert? Im Fall der Schalker und Münchner Torhüter steigt der Druck auf alle Beteiligten. Sogar vermeintliche Profiteure sehen nun wie Verlierer aus.

Von Christof Kneer

Da in den nächsten beiden Partien nach dem Dienstags-Pokalgegner FC Bayern auch die TSG Hoffenheim als Gegner nach Gelsenkirchen kommt, zeigte sich Sportvorstand Jochen Schneider ebenso erschüttert wie ratlos: Er wisse gar nicht, wo er "anfangen soll" mit den Aufrufen ans heimische Publikum: "Ich kann nur an alle Schalker appellieren, sich fair zu verhalten. Insgesamt, gegen Dietmar Hopp, gegen die TSG Hoffenheim - und gegen Alexander Nübel."

Auch Verteidiger Kabak muss auf unbestimmte Zeit pausieren

Die angemessen deutliche 0:3-Niederlage beim 1. FC Köln erschien da bereits wie eine Randerscheinung im Schalker Sorgenkatalog. Die selbstsicher spielenden Kölner hatten wenig Mühe, ihren Stil durchzusetzen. Mit dem siebten Sieg in neun Spielen nahmen sie weiteren Abstand vom Abstiegskampf, den sie kurz vor Weihnachten fast schon verloren gewähnt hatten. Verteidiger Sebastiaan Bornauw (9.) und Mittelstürmer Jhon Córdoba (39.) brachten dem FC die 2:0-Pausenführung gegen ein hochnervöses und konfuses Schalker Team, dessen Ballwechsel von einer Unzahl an Fehlpässen bestimmt waren.

Dass Trainer David Wagner die Abwesenheit eines strukturierten Spiels beklagte, lag auch daran, dass dieser 24. Spieltag schon am Vorabend unselig begonnen hatte. Im Abschlusstraining zogen sich Nationalspieler Suat Serdar und Kapitän Omar Mascarell folgenschwere Verletzungen zu. Mascarell, Schalkes Sechser und einer der Stabilsten im Kader, wird voraussichtlich diese Saison nicht mehr eingreifen können. Serdar, kreative Antriebskraft im Mittelfeld, wird wegen eines Zehenbruchs Wochen fehlen. Schalkes Mittelfeld ist somit nahezu entkernt: Auch Daniel Caligiuri ist seit längerem nicht einsatzfähig und kann wohl bis Mai nicht mehr helfen.

In Köln gesellte sich zudem Ozan Kabak, Schalkes stärkster Verteidiger, zu den Ausfällen. Im Zweikampf mit Jhon Córdoba fiel er aus großer Höhe unglücklich zu Boden, im Krankenhaus stellten die Ärzte eine starke Beckenprellung fest, Kabak muss auf unbestimmte Zeit pausieren. Die defensiven Stammkräfte Benjamin Stambouli und Salif Sané fallen ohnehin seit Monaten aus. "Das beeinflusst natürlich die Mannschaft", sagte Wagner, "sämtliche Automatismen sind überhaupt nicht mehr vorhanden." Angesprochen auf das Pokalspiel gegen Bayern sagte er sarkastisch: "Das ist in unserer Situation sicher nicht der Gegner, wo man davon ausgehen kann, dass wir ihn aus dem Stadion schießen."

Der Trainer muss nun überlegen, ob er im Spiel gegen Nübels künftigen Arbeitgeber aus München am kriselnden Stammtorwart festhält oder den Stellvertreter Markus Schubert einsetzt, der just gegen die Bayern sein jüngstes Bundesligaspiel gemacht hat. An der 0:5-Niederlage damals war er nicht unbeteiligt. Gleichwohl ist Wagners Entscheidung nicht nur eine Frage von sportlicher Tragweite.

Das Trainerteam müsse selbst die Wahl treffen, sagte Sportchef Schneider, doch drückte er auch die Hoffnung aus, dass Nübel nicht sein letztes Spiel für Schalke bestritten habe: "Weil Davonrennen noch nie was gebracht hat." Gerade Schalke habe sich immer durch "extremen Zusammenhalt" in schweren Zeiten ausgezeichnet. Die Probe dieser These steht nun in einer Partie bevor, die sportlich eher Unheil als Rettung verheißt. "Der Ansatz ist der, dass wir beißen, so gut wir können", meinte Wagner.

Für Nübel, bis zum 0:3 keiner der schlechteren Schalker, geriet die finale Viertelstunde nach seinem Missgeschick zu einer seelischen Prüfung. Während die Kölner Fans jede seiner noch so banalen Ballberührungen höhnisch feierten und in Chören seinen Namen riefen, adressierten die Schalker Anhänger ihren Zorn geradewegs an den Torwart. Bisher hatten sie Nübel pfleglich behandelt, nachdem er im Dezember hatte wissen lassen, den ablösefreien Wechsel zum FC Bayern einer Vertragsverlängerung in Schalke vorzuziehen. Ihm wurde auch nachgesehen, dass er sich seitdem nicht mehr öffentlich äußerte. Nun aber waren die konzertierten Nübel-raus-Rufe selbst dann nicht zu überhören, als die Stadionregie zur Feier des Abpfiffs mit viel Volumen ein Karnevalslied spielte.

Gemeinsam geleitete Schalkes Mannschaft den niedergeschlagenen Torwart unter Trostbekundungen zum Ausgang. Es sei eine Sache "des menschlichen Anstands" gewesen, sich um Nübel zu kümmern, sagte Wagner später. Schneider bedauerte "die Häme im ganzen Stadion" und verwies in seiner Betroffenheit auf das Beispiel von Robert Enke, der durch seinen Freitod vor zehn Jahren eine große Debatte über die menschlichen Umgangsweisen im Profisport ausgelöst hatte.

© SZ vom 02.03.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

SZ PlusMeinungHass im Stadion
:Die Klubs haben die Ultras zu lange gewähren lassen

Der Dialog mit dem konsumkritischen, politisch interessierten Teil der Fans sollte wachgehalten werden. Aber er muss konfrontativer werden - im Doppelpass der Klubs mit der Justiz.

Kommentar von Klaus Hoeltzenbein

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: