Schalke in der Champions-League-Qualifikation:Fürchterliche Festtagsstimmung

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Latent ratlos: Schalke-Coach Jens Keller. (Foto: REUTERS)

Vor dem Spiel in der Champions League gegen Paok Saloniki herrschen bei Schalke 04 die typischen Szenarien des Untergangs. Der schwache Start in der Liga bringt Trainer Jens Keller erneut unter Zugzwang - der setzt vorerst auf Routine.

Von Philipp Selldorf, Gelsenkirchen

Für Fans des FC Schalke 04, die nach Auftritten ihrer Mannschaft wie am vorigen Samstag in der Bundesliga in Wolfsburg (0:4) an königsblauer Wochenend-Depression leiden, hat Manager Horst Heldt immerhin einen Fernsehtipp parat: "Den Doppelpass am Sonntag kann ich keinem empfehlen - das ist nur noch purer Populismus", teilte der Manager der Gelsenkirchener Fußballer am Dienstag mit, als rund um den Verein schon die nächste potenzielle Erschütterung diskutiert wurde.

Am Mittwochabend (20.45 Uhr/ZDF) ist der griechische Tabellenführer Paok Saloniki zum Hinspiel in der Champions-League-Qualifikation zu Gast - angeführt vom früheren Schalker Trainer Huub Stevens. Eine ganz besondere Form des größten anzunehmenden Ernstfalls also.

Wie es in Schalke üblich ist, werden spätestens seit dem 0:4 in Wolfsburg wieder Szenarien des Nieder- und des Untergangs erwogen. Hochrechnungen einheimischer Experten ergeben, dass Schalke durch das nach mehrheitlicher Meinung quasi unvermeidliche Verpassen der europäischen Königsliga -zig Millionen Euro einbüßt, weshalb umgehend der Trainer Jens Keller entlassen und spätestens im nächsten Sommer Julian Draxler verkauft werden muss. Weitere Kalkulationen ergeben, dass auf das Scheitern im Europacup zwangsläufig in der Liga Niederlagen in Hannover und gegen Leverkusen und somit der Absturz auf Platz 17 bis 18 folgen werden. Es herrscht also diese typische Schalker Festtagsstimmung. Heldt, seit 2010 in Schalke tätig, hat schon des öfteren daran teilhaben dürfen und stellt fest: "Die Untergangsstimmung in den Verein hinein zu transportieren, das wäre nicht klug."

Trainer Huub Stevens bei Paok Saloniki
:Fast wie auf Schalke

Verrückte Fans, 28 Jahre ohne Meistertitel, eine annähernd überstandene Schuldenkrise: Huub Stevens erlebt in Griechenland bei Paok Saloniki einige Parallelen zu seiner Zeit bei Schalke 04. Sentimentalitäten verbittet sich der Niederländer vor dem Duell in der Champions-League-Qualifikation trotzdem.

Von Philipp Selldorf, Gelsenkirchen

Vor drei Wochen hatten sich das alle noch ganz anders vorgestellt. Vor drei Wochen herrschte Hochstimmung im Verein, und auch neutrale Betrachter gaben Schalke günstige Prognosen. Es herrschte der Konsens, der Klub habe im Sommer außerordentlich gut eingekauft und besitze dank junger Spieler wie Goretzka, Clemens, Meyer, Kolasinac und natürlich Draxler glänzende Perspektiven.

Dieser Vorschuss auf die Zukunft ist sicherlich nicht unberechtigt, das Problem ist allerdings, dass es vorher eine Gegenwart gibt. In dieser Gegenwart haben es die jungen Helden noch ziemlich schwer. Das mutmaßliche Mittelfeld-Ass Meyer zum Beispiel ist erst 17 Jahre alt und musste neulich auf Geheiß von Trainer Jens Keller Praxis im Regionalligateam sammeln. Verteidiger Kolasinac, 19, durfte als Belohnung für seinen gelungenen Karrierestart zwar mit dem U-21-Nationalteam nach Israel reisen, kehrte deshalb aber verspätet aus dem Urlaub zurück und verlor seinen Stammplatz an Routinier Christian Fuchs.

An Wiederholen ist nicht zu denken - Kolasinac, defensiv die deutlich stabilere Lösung als Fuchs, fällt wegen einer Muskelverletzung aus, und das ist für die in der Abwehr so anfälligen Schalker womöglich sogar folgenschwerer als das Fehlen von Klaas-Jan Huntelaar. Der niederländische Torjäger war zwar in guter Form, bevor er sich am Samstag am Knie verletzte, aber er hat wenigstens einen halbwegs adäquaten Stellvertreter: Adam Szalai könne Huntelaar "zwar nicht eins zu eins, aber ordentlich ersetzen", meint Keller.

Solche Hoffnungen hatten die Anhänger auch in den 18-jährigen Leon Goretzka gesetzt, den Schalke mit einigem Getöse und einer Menge Geld aus Bochum auslöste, doch Jens Keller kann diese Hoffnungen zunächst nicht befriedigen. "Ich traue ihm sehr, sehr viel zu", sagt der Trainer zwar, aber er meint damit keineswegs die schicksalhaften Spiele gegen Paok Saloniki. "So einen jungen Spieler in so einer Situation reinzuschmeißen - ich weiß nicht, ob wir ihm da gerecht werden. Ich denke, es ist besser für ihn, wenn er über Kurzeinsätze kommt", erläuterte Keller.

Der Trainer dürfte kaum übersehen haben, dass es in der Spielzentrale an Tempo und Kreativität mangelt, aber er setzt gegen Saloniki auf Routine, das hat er am Tag vor dem Spiel nicht verheimlicht.

Es scheint ihn auch nicht zu irritieren, dass besonders die Routinierten zuletzt in Wolfsburg für Unannehmlichkeiten gesorgt hatten. Linksverteidiger Fuchs und der Dortmunder Zugang Santana (der anstelle des 22-jährigen Matip spielen durfte) verantworteten beim 0:4 zwei auffällige Schwachstellen in der Schalker Deckung, ständiges Lamentieren über die Versäumnisse der Mitspieler inbegriffen.

Auf einzelne Missetäter wollte Keller aber nicht eingehen. "Wenn zehn, elf Spieler die Leistung nicht abrufen, kann man ein Spiel nicht erfolgreich gestalten", sagte er. Kollektivversagen, so lautete seine Diagnose während der angeblich äußerst ausführlichen Analyse des Wolfsburger Schreckensspiels. "Es gab eine klare Ansprache des Trainers - das war auch bitter nötig", meinte Kapitän Benedikt Höwedes.

Selbstredend ist die Sicherheit von Kellers Arbeitsplatz eines der großen Themen vor den Spielen gegen Saloniki. In dieser Beziehung ist Keller während der acht Monate als Schalker Cheftrainer aber bereits abgehärtet. Sein Ende ist schon öfter prophezeit worden. "Der Druck war da, seitdem ich hier angefangen habe", stellte er überzeugend gleichgültig fest. Keller hat gelernt, mit der Bedrohung zu leben. Trotzdem hat er Grund genug, sie zu fürchten.

© SZ vom 21.08.2013 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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