Olympia:Ein Eismärchen

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  • Aljona Savchenko und Bruno Massot gewinnen nach einem Fehler im Kurzprogramm noch sensationell Gold im Paarlauf.
  • Vor der Kür lagen sie auf Platz vier - mit großem Rückstand auf den ersten Platz. Doch diesmal gelingt ihnen alles.
  • Für Savchenko erfüllt sich der Traum ihres Lebens, seit sie mit drei Jahren zum ersten Mal auf Schlittschuhen stand.

Von Barbara Klimke, Pyeongchang

Am Ende lässt sie sich einfach fallen. Liegt flach auf dem Eis, er daneben. Sie fallen einfach um vor Glück und Erschöpfung nach der Schlusspose der Kür, der besten, die sie je aufs Eis gezaubert haben. Hinter der Bande sinken sich der Trainer, der Teamarzt und der Sportdirektor in die Arme. Bruno Massot richtet sich als Erster auf, umfängt Aljona Savchenko, hilft ihr auf die Füße. Dann verbeugt er sich tief vor ihr. "Ich habe doch gesagt, es ist möglich, Geschichte zu schreiben", jubelt Aljona Savchenko später. Es ist ein Eismärchen geworden, samt Olympiasieg und Weltrekordkür.

Sechs Punkte lagen Savchenko/Massot vor dem Finale hinter den führenden chinesischen Weltmeistern Sui Wenjing /Han Cong zurück. Sich von Platz vier noch an die Spitze zu schieben, schien nach dem schweren Fehler von Bruno Massot, der eine Drehung beim Salchow vergessen hatte, am Vortag fast aussichtslos zu sein; selbst die Bronzemedaille war für die WM-Zweiten aus Oberstdorf in Gefahr. Aber aufzugeben war die fünfmalige Weltmeisterin Aljona Savchenko, 34 Jahre alt, 153 Zentimeter pure Energie, noch nie eine Alternative. "Wir kämpfen wie die Tiger", trichterte sie ihrem fünf Jahre jüngeren, verzweifelten Partner am Abend vorher in einer Teambesprechung mit Trainer Alexander König und Spotdirektor Udo Dönsdorff ein: "Wir haben ein Goldmedaillenprogramm, und das werden wir zeigen." Der Trainer verordnete beiden vorsorglich Facebook- und Presseverbot.

Eiskunstlauf
:Die goldene Kür

Perfekte Figuren auf dem Eis, Tränen bei der Verkündung der Wertungsnoten: die Bilder des Olympiatriumphs von Aljona Savchenko und Bruno Massot.

Ihr Vorteil am Donnerstagmorgen war, dass sie als Erste der vier führenden Paare im Finale in Gangneung aufs Eis gehen konnten: Sie konnten den Standard setzen, an dem die anderen sich orientieren mussten. Die Kür, in der sie die Musik zu dem Naturfilm "La terre vue du ciel" ("Die Erde von oben gesehen"), ist tatsächlich ein Kunstwerk, choreografiert vom britischen Tanz-Olympiasieger Christopher Dean und schon jetzt auf dem Weg, ein Klassiker zu werden wie Torville/Deans legendärer "Bolero" von 1984.

"Das war die Kür meines Lebens"

Die spezifischen Hochrisikoelemente des Paarlaufs werden mit Artistik und Ballett auf Kufen verbunden, die Grenzen zwischen den Disziplinen Eistanz und Paarlauf verschwinden; "Christopher Dean hat uns regelrecht verknotet", erzählte Savchenko einmal. Wenn Bruno Massot seine Partnerin zum Schluss einarmig, mit kompliziertesten Drehungen hoch überm Kopf übers Eis fliegen lässt, sieht sie tatsächlich die Erde von oben. Eine Weltrekordwertung hatten sie sich für dieses Programm schon im Dezember beim Grand-Prix-Finale verdient; am Donnerstag in der Eis-Arena von Gangneung haben sie sich selbst überboten mit 159,31 Punkten, jedes Element glückte perfekt, Aljona Savchenko sagte eine Stunde später in der Mixed Zone, noch schluchzend: "Das war die Kür meines Lebens."

Das Warten auf den Ausgang des Wettbewerbs, so erzählte Massot, sei nervenaufreibender gewesen als die Kür selbst: Zuerst kamen die Kanadier Meagan Duhamel/Eric Radford, denen ein Fehler unterlief. Sie wurden hinter den Deutschen eingereiht: Savchenko/Massot waren zwischenzeitlich Dritte. Dann folgten die Weltmeister Sui Wenjing /Han Cong, denen untypischer Weise ein Sprung missglückte: Savchenko/Massot waren jetzt Zweite. Schließlich hatten es die russischen Europameister Jewgenia Tarasowa/Vladimir Morozow in der Hand - und Jewgenia Tarasowa strauchelte bei einer Landung. Die Russen rutschten auf Platz vier, hinter den Deutschen blinkte die "1": Massot sackte weinend in sich zusammen; Savchenko schluchzte an seine Seite.

"Von 4 auf 1 - unglaublich", sagte Trainer Alexander König, der mit seiner ruhigen Art enormen Anteil daran hat, dass aus den beiden ein Spitzenpaar wurde, nachdem Savchenko und ihr alter Eis-Partner Robin Szolkowy sich 2014 nach Olympiabronze getrennt hatten. "Das war messerscharf, sie haben Glück mit der Startnummer gehabt", sagte der erleichterte Sportdirektor der Deutschen Eislauf Union, Udo Döndorff, der einen fast historischen Erfolg vermerkte: Es war das erste olympische Paarlauf-Gold für Deutschland seit 66 Jahren, zuletzt gewann 1952 das Ehepaar Ria und Paul Falk; nicht einmal Kilius/Bäumler waren Olympiasieger. "Ich bin so glücklich und habe geheult", sagte Katarina Witt, Deutschlands bis Donnerstag letzte Solo-Olympiasiegerin, die das Ganze auf der Tribüne verfolgte: "So vorzulegen", sagte sie anerkennend, "das hat den Druck auf die anderen erhöht.

Für Aljona Savchenko war es der Triumph, von dem sie geträumt, auf den sie ein Leben lang hingewirkt hatte. Mit drei Jahren setzte ihr Vater sie das erste Mal mit Kufen auf einen gefrorenen See bei Obuchiw in der Ukraine, wo sie geboren ist, mit fünf wurde sie in einer Eislaufschule angemeldet. Mit 18 hat sie ihre Heimat verlassen, weil sie sich in Deutschland, in Chemnitz, bessere Chancen erhoffte. Besser als jede andere bei diesen Spielen kennt sie den Drill, die Mühe, die Arbeit im Tanzsaal, an der Ballettstange, in kalten, zugigen Hallen, die hinter dem Glamour, dem Glitzern und den Paillettenkleidchen stecken: Sie wurde fünfmal Weltmeisterin mit Robin Szolkowy, ehe sie 2014 nach Oberstdorf zu Alexander König umsiedelte, um dort mit einem neuen Partner, mit dem in Frankreich geborenen, inzwischen eingebürgerten Bruno Massot noch einmal zu versuchen, ihre eigene Geschichte zu schreiben. Sie hat fünf Anläufe benötigt, ehe das Schlusskapitel geschrieben wurde: Olympiagold.

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