Es wird noch einmal laut werden am Freitagabend. Der Stadionsprecher der TSG Hoffenheim wird vor dem Spiel gegen Borussia Dortmund seine Stimme erheben, Menschen werden aufstehen und applaudieren. Nicht ausgeschlossen ist, dass ein paar sich auch zu Sprechchören zusammenschließen werden, aber vielleicht wäre es dem Anlass gar nicht angemessen, wenn sie "Ruuudy" rufen würden. Ein Volksheld wie Völler war dieser Rudy nie.
Ein allzu lauter Abschied würde kaum passen zu Sebastian Rudy, einem der leisesten Nationalspieler, die der deutsche Fußball je besaß. Mitten in einer sehr lauten Phase (Flick weg! Nagelsmann kommt! Harry Kane!) macht sich der Mittelfeldspieler vom Feld, überraschend früh, wie man angesichts seines Alters festhalten darf. Mit 33 Jahren, da fängt für manchen das Fußballleben noch mal an, zur Not in Saudi-Arabien. Aber so ein Fußballer war Rudy nicht - oder ist es nicht, wie man vielleicht auch sagen könnte.
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"Ich habe immer noch Spaß am Fußball, das werde ich nicht aufgeben", sagte Rudy, als er nun sein Karriereende als Berufsfußballspieler verkündete, "ich bin ein bisschen auf der Suche und schaue das eine oder andere Kreisliga-Spiel an." Das klingt ein bisschen wie beim Kölner Jonas Hector, der seine Liebe zum Spiel trotz eines offiziellen Rücktritts in einer Freizeitliga weiterpflegt. Sollte Rudy demnächst also in einer badischen Kreisliga auftauchen, wäre er dann der Hector von Hoffenheim?
Nicht ganz - vielleicht ist er ein bisschen zu oft zwischen Hoffenheim und Schalke 04 hin- und hergewechselt, um noch als Romantiker durchzugehen. Zumal er auch ein Jahr beim FC Bayern gespielt hat, von wo er für eine Ablösesumme von 16 Millionen Euro nach Schalke ging - dass er auf Schalke ein dermaßen fabelhaftes Gehalt bezog, dass der Geschäftsbetrieb dort noch eine ganze Weile darunter litt, spricht allerdings eher gegen Schalke 04 als gegen Sebastian Rudy.
Auf imposante 358 Bundesliga-Spiele hat es Rudy mit seiner Spielweise gebracht
29 meist sehr seriöse A-Länderspiele hat Rudy bestritten, das sind mindestens 20 mehr, als die Leute in Erinnerung haben. Um ins Bewusstsein der Leute zu gelangen, hat immer ein bisschen was gefehlt - und wenn es nur das Verständnis des Publikums war, das auf der Position im defensiven Mittelfeld entweder kollidierende Körper oder schneidige Sprints sehen will. Rudy war kein grimmiger Zweikämpfer und auch kein Rauf-und-runter-Renner, aber er konnte etwas, was viele auf seiner Position nicht können. Es klingt banal, aber er konnte richtig gut kicken.
Sebastian Rudy war ein kleiner Kroos. Er hat den Rhythmus des Spiels gespürt, in sich aufgenommen und weitergetragen und seinen Mitspielern damit ein Gefühl von Geborgenheit vermittelt. Sie wussten immer, dass neben ihnen einer spielt, der sich auskennt. Auf imposante 358 Bundesligaspiele hat es Rudy auf diese Weise gebracht, nicht gezählt sind die vielen feinen Pässe, die er gespielt hat, oder die Ecken und Freistöße, die sich von ihm besonders gern treten ließen. Rudy war ein zuverlässiger Stammspieler in jener DFB-Elf, die mit Joachim Löw im Sommer 2017 den Confed-Cup gewann, und ein Jahr später, bei der WM in Russland, war er eine halbe Stunde lang sogar richtig prominent. Im zweiten Vorrundenspiel gegen Schweden stand er in der Startelf, und als er einem Fehlpass von Kroos (ausgerechnet) nachsetzte, trieb es ihn in einen Zweikampf, bei dem ihm die Nase brach.
Nach Ablauf seines Vertrages in Hoffenheim hat Rudy nun feststellen müssen, wie sehr sich der Markt verändert hat. Wenn sein Name irgendwo ins Gespräch gebracht wurde, haben seine Interessensvertreter bei nahezu allen Klubs dasselbe gehört: Rudy? Guter Spieler, aber .... Auf seiner Position legt man heute Wert auf "Intensität", wie das neuerdings heißt, und "intensiv" spielt Rudy nicht. Der moderne Fußball hat sich an diesem feinen Fußballer vorbeientwickelt, und ob das so eine gute Idee vom modernen Fußball war, ist übrigens noch nicht entschieden.