Trainer Roger Schmidt:Auf Rekordjagd im Riesenland

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Seit zwei Jahren Trainer in China: der frühere Leverkusen-Coach Roger Schmidt. (Foto: Getty Images)
  • Seit zwei Jahren arbeitet der frühere Leverkusen-Coach Roger Schmidt als Trainer in China.
  • Schmidt hatte genug Angebote, nach Europa zurückzukehren, blieb jedoch.
  • Mit Beijing Guoan hat er die ersten acht Saisonspiele gewonnen.

Von Philipp Selldorf, Peking/München

Auch das vergangene Wochenende war schon wieder ein sehr bewegtes, vor allem aber ein sehr erfolgreiches Wochenende für Roger Schmidt, 52. Kaum, dass er am Donnerstag mitten in der Nacht vom Pokalspiel bei einem Zweitligisten mit dem geheimnisvollen Namen Heilongjiang Lava Spring aus der Inneren Mongolei in die Hauptstadt Peking heimgekehrt war, war der deutsche Fußballtrainer nur 24 Stunden später mit seinem Team zur nächsten Fernreise aufgebrochen.

Diesmal ging es statt in den hohen Norden in den tiefen Süden, in die Hafenstadt Guangzhou an den Perlfluss, 2100 Kilometer Flugstrecke. Man flog komfortabel am Freitagmorgen ab und trainierte abends unter Flutlicht bei tropischen Temperaturen, um samstags zur besten Sendezeit das Spitzenspiel der Chinese Super League zu bestreiten. Der Tabellenerste besuchte den Tabellenzweiten, und wie es sich gehört, setzte die TV-Berichterstattung schon anderthalb Stunden vor dem Anpfiff ein. Gewonnen hat zum allgemeinen Erstaunen nicht der ständige Liga-Favorit und Serien-Meister Guangzhou Evergrande mit seinen brasilianischen Stars Paulinho und Talisca, sondern Beijing Guoan, die definitive Mannschaft der Stunde in China, der unter Schmidts Anleitung dank des Treffers des Spaniers Jonathan Viera im achten Saisonspiel der achte Saisonsieg glückte. So etwas ist noch nie passiert in der vor 15 Jahren gegründeten Liga.

Seitdem er im Sommer vor zwei Jahren in die chinesische Liga ausgewandert ist, hätte Roger Schmidt oft genug Gelegenheit gehabt, die strapaziösen Fernflüge quer durch das Riesenland wieder gegen ein weniger aufwendiges Reiseprogramm in Europa zu tauschen. An Angeboten hat es ihm nicht gemangelt, auch wenn er darüber nie öffentlich etwas hat verlautbaren lassen. Die Nachricht von der jüngsten Offerte aber zeigte auch in China Wirkung. Beijing Guoans Eigentümer fing an, nervös zu werden, als die Meldungen über ein mögliches Engagement des Sauerländers Schmidt beim FC Schalke 04 die Runde machten. Dabei hat der vermögende Bauunternehmer noch nicht mal gewusst, dass sein Trainer durch die familiäre Herkunft königsblau geprägt ist.

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Der Bank-Stürmer habe um die Vertragsauflösung gebeten, sagt Sportdirektor Salihamidzic. Bei Tianjin Teda soll der frühere Nationalstürmer ein zweistelliges Millionengehalt beziehen.

Schmidts Vertrag läuft bis Ende 2019 - es ist nicht ausgeschlossen, dass er ihn verlängert

Aber Schmidt setzte dann den Spekulationen ohnehin ein Ende. Er habe einen Vertrag unterschrieben, und diesen Vertrag werde er auch erfüllen, erklärte er. Bis zum Ende dieses Jahres läuft der Kontrakt, und es ist, heißt es, trotz gelegentlicher Heimwehanwandlungen nicht vollständig ausgeschlossen, dass er ihn verlängert. Schon jetzt ist Schmidt nach zwei Jahren Beschäftigung in Peking der Trainer mit der zweitlängsten Amtszeit in der chinesischen Liga (erster ist der Serbe Dragan Stojkovic, ehedem jugoslawischer Nationalspieler). Das sagt einiges über diese Liga aus, aber auch manches über Roger Schmidt.

Nach seiner zweieinhalb Jahre währenden Tätigkeit in Leverkusen hatte Rudi Völler dem Trainer etwas hinterhergerufen, das nicht nach einem Kompliment klang, das aber keineswegs als Schmähung gedacht war. "Er ist der Typ, der gegen den Wind läuft", hatte der Bayer-Sportchef gesagt und den Fußball-Lehrer als manchmal einsamen Rebellen beschrieben: "Roger gegen den Rest der Welt." Diese Eigenschaften hatten Schmidt in Leverkusen Schwierigkeiten beschert, aber nicht nur bei Völler auch Respekt eingetragen.

Er habe etliche Anrufe von Manager-Kollegen entgegengenommen, die sich für Schmidt interessiert hätten und mehr über ihn wissen wollten, erzählt Völler immer wieder. Wenn die Leute dann tatsächlich Schmidt kontaktiert hätten, wären sie aber meistens einem grundlegenden Irrtum aufgesessen, berichten Menschen, die dem Trainer nahestehen: Sie hätten gedacht, dass sie Schmidt von seinem Schicksal erlösen würden, wenn sie ihn wieder in die chaotische Bundesliga holten. Falsch gedacht. Das hat mit Schmidts Durchhaltevermögen zu tun, aber auch, so wird eingeräumt, mit der phänomenalen Bezahlung, die weit jenseits der Bundesligagehälter liegt. Womöglich erklärt das auch den regen Gästeverkehr. Unter anderem erhielt Schmidt schon Besuch von Jürgen Klinsmann, Hansi Flick, Jens Keller und Bruno Labbadia.

In Leverkusen lehrte Schmidt ein Systemspiel mit radikalen Zügen, das zuerst Erfolg brachte, bis es auf Dauer die Unterstützung der Spieler kostete. Wenn sie nicht mit Erfolg einherging, dann war die Jagd nach dem Ball und dem Gegner aufreibend und ging den Spielern auf die Nerven. In der Rückschau habe Schmidt eingesehen, dass er manchmal zu viel verlangt habe, sagen Vertraute, sie berichten auch, dass der früher zur Sturheit neigende Coach unter den Bedingungen in China auch ein wenig Gelassenheit und Einsicht in die Notwendigkeit von Kompromissen gelernt hätte. Pressing total funktioniert im klimatisch krassen chinesischen Klima nicht, das Team des Pekinger Traditionsklubs spielt unter der Führung des brasilianischen Nationalspielers Renato Augusto - ehemals Leverkusen - einen eher technischen Fußball. Dem Publikum gefällt es, der Zuschauerschnitt liegt bei 45 000 Fans, die Atmosphäre soll kaum weniger lebendig sein als hierzulande. Am nächsten Sonntag kommt der FC Shenzhen, dann geht die Rekordjagd weiter.

© SZ vom 07.05.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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