Roger Federer gewinnt in Wimbledon:Mit Perfektion in die Geschichtsbücher

Lesezeit: 4 min

Bei seinem siebten Wimbledon-Sieg erinnert Roger Federer wieder an die Zeit, als er den Tennissport nach Belieben dominierte - sein 4:6, 7:5, 6:3, 6:4-Erfolg im Finale gegen Andy Murray bringt den Schweizer zurück an die Spitze der Weltrangliste. Als das Match zu Ende ist, fließen Tränen auf beiden Seiten.

Michael Neudecker, London

Roger Federer holt aus, und dann zieht er durch, sein Schläger zischt durch die Luft, es ist eine kurze Bewegung voller Dynamik und Eleganz, und erst im letzten Moment erfährt der Ball, wo er hinfliegen soll, er fliegt dann wie aus einer Maschine geschossen über das Netz, ein Pfeil aus gelbem Filz. So geht der typische Federer-Schlag, es ist ein Schlag in völliger Perfektion, das mag übertrieben klingen, aber es ist so: Roger Federer spielt oft, als hätte er diesen Sport erfunden.

Kuss des Champions: Roger Federer gewann in Wimbledon zum siebten Mal. (Foto: dpa)

Er ist jetzt 30 Jahre alt, er hat zwar nicht mehr die undurchdringliche Dominanz aus der Zeit, als er Mitte 20 war, aber in den letzten Tagen der vergangenen zwei Wimbledon-Wochen ist er dieser Zeit sehr nahe gekommen, vor allem am Sonntag, dem Finalsonntag, der auch deshalb ein denkwürdiger wurde. 4:6, 7:5, 6:3, 6:4, das sind die Zahlen zu diesem Finale, aber es war nicht bloß ein Sieg. Es war der Beweis, dass Roger Federer auch mit 30 Jahren immer noch Roger Federer ist.

Er ist jetzt der zweite Tennisprofi nach Pete Sampras, der Wimbledon sieben Mal gewonnen hat, und wenn an diesem Montag die neue Weltrangliste erscheint, wird Federer wieder ganz oben stehen, auf Nummer eins, zum ersten Mal seit zwei Jahren.

Andy Murray, seinem Gegner, ist nichts vorzuwerfen, er hat alles versucht, das zu tun, was sein Land von ihm erwartete. Andy Murray ist Schotte, aber das ist in England immer dann egal, wenn Murray in Wimbledon spielt; vor 76 Jahren hat zum letzten Mal einer aus Großbritannien das Turnier im Londoner Südwesten gewonnen, und wenn das einer schaffen kann, dann Andy Murray, davon sind sie überzeugt in Großbritannien.

Er war nun zum ersten Mal im Finale, und ganz Großbritannien wollte seinen Sieg; im Wimbledon Park standen die Menschen ab Samstagmittag an für Tickets, mit denen sie das Match auf der Anlage auf einer Leinwand verfolgen durften, sie campten die Nacht bei strömendem Regen, Eintrittskarten für den Centre Court wurden auf dem Schwarzmarkt für bis zu 32.000 Pfund angeboten, die BBC erwartete 25 Millionen Fernsehzuschauer, und in mehr als 50 Kinosälen in Edinburgh, London und sonstwo wurde das Finale übertragen, live und in 3D.

Wimbledon ist das älteste Tennisturnier der Welt und das wichtigste, es ist so aufgeladen mit Tradition und Mythos und Patriotismus, dass es schon bemerkenswert ist, dass Andy Murray das alles ausgehalten hat. Zwei Wochen, vier Sätze lang, und als es vorbei war, konnte er nicht mehr.

Er stand auf dem Rasen des Centre Courts, das Mikrofon in der Hand, es ist Tradition bei großen Turnieren, dass die Spieler nach dem Match ein paar Worte an das Publikum richten. Die 15.000 auf der Tribüne jubelten, sie feierten ihn, Andy Murray blickte zum Himmel, er atmete durch, "sorry, ich glaube, ich weine gleich", stammelte er, und weinte. Er gratulierte Federer, weinte wieder, bedankte sich bei seiner Familie, schluchzte und sprach über die Last einer ganzen Nation auf den Schultern. "Es ist viel über Druck gesprochen worden in diesen zwei Wochen", er atmete nochmal lang ein und aus, "aber ihr habt es mir so leicht gemacht, hier zu spielen", und dann versank seine Stimme im Tränenmeer.

Wimbledon-Finale der Männer
:Historischer Tag mit Pippa und Kate

Das hatte es seit 74 Jahren nicht mehr gegeben: Mit dem Schotten Andy Murray stand endlich wieder ein Brite im Finale von Wimbledon. Doch nach starkem Beginn muss sich der Publikumsliebling vor den Augen der Royals in vier Sätzen Roger Federer geschlagen geben - der Schweizer holt mit seinem siebten Titel in London Pete Sampras ein.

Wimbledon hat schon viele besondere Momente erlebt, viele emotionale Momente. Die Rede von Andy Murray nach seiner Niederlage gegen Roger Federer, das ist es vor allem, was vom Finale 2012 in Erinnerung bleiben wird.

Wimbledon-Finale der Männer
:Historischer Tag mit Pippa und Kate

Das hatte es seit 74 Jahren nicht mehr gegeben: Mit dem Schotten Andy Murray stand endlich wieder ein Brite im Finale von Wimbledon. Doch nach starkem Beginn muss sich der Publikumsliebling vor den Augen der Royals in vier Sätzen Roger Federer geschlagen geben - der Schweizer holt mit seinem siebten Titel in London Pete Sampras ein.

Auf der Tribüne haben einige mit Murray geweint, dieser ganze Tag war ja so mit Aufregung gefüllt, dass die Zuschauer Mühe hatten, ruhig zu sein während des Matches, nach jedem Ballwechsel schrien sie, immer wieder musste der Schiedsrichter sie zur Ordnung rufen. Natürlich lag das an Murray, an der Art, wie er spielte: Er gewann den ersten Satz, 6:4. Es war das erste Mal, dass er in einem Grand-Slam-Finale einen Satz gewann, und es schien, als würde es nicht sein letzter bleiben.

Roger Federer spielte gut, sogar sehr gut, aber Andy Murray spielte das Match seines Lebens. Druckvoll, platziert, er verteilte die Bälle links und rechts, immer lang, es war herausragend, wie Murray auftrat. Und Federer musste an seine Grenzen gehen, er musste mit vollem Risiko spielen, die Bälle nahe an die Linien setzen, um einen Punkt zu erzwingen. Es würde ein schwieriges Match werden für den Schweizer, das war sehr schnell klar.

Aber Federer ist eben Federer, er blieb fokussiert, glich aus, und als das Match wegen des einsetzenden Regens für gut 45 Minuten unterbrochen werden musste, da sah er seine Chance. Als das Dach über dem Centre Court geschlossen war und das Match fortgesetzt wurde, spielte Roger Federer ganz so wie früher. Murray kämpfte, er hechtete über das Gras, er rannte, er tat alles, aber Federer war jetzt nicht mehr aufzuhalten. "Als das Dach zu war", sagt Murray, "hat er unglaubliches Tennis gespielt."

Der Moment, in dem Federer das Match auf seine Seite zog, war im dritten Satz, es stand 3:2, Murray servierte, er führte 40:0, aber Federer glich aus. Danach ging es hin und her, mal hatte Murray die Chance zum Punkt, mal Federer, insgesamt elf Mal ging es über Einstand, und dann holte Federer aus, er zog die Rückhand durch, sein Schläger zischte durch die Luft, der Ball flog wie ein Pfeil, Murray hatte keine Chance.

Als Federer nach drei Stunden 24 Minuten seinen zweiten Matchball nutzte, da ließ er sich auf den Boden fallen, ganz kurz, dann setzte er sich, ruhig, tat nichts, er genoss den Moment. Bald darauf gaben sie ihm die Trophäe, den goldenen Pokal, Federer küsste den Pokal, er schloss die Augen. Wie sich das nun anfühle? "Gut, vertraut", sagte Federer. Er streichelte den Pokal, als hielte er ihn jeden Tag.

© SZ vom 09.07.2012 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: