Rehhagel bei Hertha BSC:Otto bittet zum Schnee-Auftakt

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Künftig wieder Stadtderbys gegen Union Berlin? Dieses Schreckgespenst soll Otto Rehhagel den Hertha-Fans austreiben. Der Trainingsauftakt mit dem neuen Coach gerät zwar kalt - jedoch wortstark. Herthas neuer Chef stellt auch gleich neue Regeln auf.

Max Bosse, Berlin

Da stand er nun etwas abseits, diskutierte mit seinem Assistenten René Tretschok und beobachtete. Wind und Wetter können doch einen wie Otto Rehhagel nicht schrecken, und so verzichtete der erfahrenste Trainer der Bundesliga-Geschichte am Dienstag im Berliner Schneetreiben im Gegensatz zu allen anderen auf eine wärmende Mütze.

Die Aufgabe, die vor ihm und Hertha BSC liegt, bietet schließlich genug Spannung, um die Gemüter zu erhitzen. Denn die schmerzhafte Erinnerung an die Saison 2009/2010, als 16 Spiele in Serie nicht gewonnen wurden und Hertha chancenlos in die zweite Liga abstieg, sitzt immer noch tief. Das Schreckgespenst, das nicht nur im Karneval durch die Hertha-Fankneipen geistert, hat die Form eines Stadtderbys mit Union Berlin in der Zweitklassigkeit angenommen.

Dieses Gespenst soll Rehhagel austreiben, nicht mehr und nicht weniger. Eine halbe Stunde redete der 73-Jährige am Dienstag auf seine Spieler ein, bevor er sie zum Spielen in den Schnee schickte. "Wenn ein Otto Rehhagel einen Raum betritt, dann füllt er den Raum", fasste Mittelfeldspieler Peter Niemeyer die Atmosphäre in der Kabine zusammen. Wer Rehhagel kennt, der weiß, dass er wohl deutliche Worte gefunden hat, um jedem Einzelnen den Ernst der Lage klarzumachen. Welche Worte dies aber waren, verriet Niemeyer indes nicht. "Das ist kabinenintern", sagte er. Er weiß: Sonst gibt's sofort Ärger mit dem neuen Chef.

Hier zeigt sich die bislang sichtbarste Neuerung, die der Verein durch Rehhagels Ankunft erfahren hat. "Unnötige Nebenkriegsschauplätze" sollen vermieden werden, das hatte Rehhagel schon bei seiner Antrittsrede am Sonntag klargemacht. Am Montag ließ er Taten folgen - und als erstes die Medienrichtlinien des Vereins ändern. Von nun an wählt der Trainer zwei Spieler aus, die den Journalisten nach dem Training Rede und Antwort stehen.

Am Dienstag fiel die - wohlüberlegte - Wahl auf Niemeyer und Torwart Thomas Kraft. Beide sind in der Krise mit guten Leistungen aufgefallen, beide pflegen im Umgang mit den Medien ein besonnenes Auftreten. Kraft sagt meistens sehr freundlich sehr wenig, Niemeyer kontrolliert seine Worte. Immerhin, diesmal durfte Kraft dieses sagen: Herr Rehhagel sei "eine absolute Persönlichkeit, ein sehr, sehr großer Trainer".

Otto Rehhagel kehrt zurück
:Der Mann, den sie König nennen

Er ist ein Kind der Bundesliga, seit 1963 dabei - und bekannt für seinen kauzigen Charme: Otto Rehhagel war einst ein bissiger Abwehrspieler, dann feierte er mit Bremen und Kaiserslautern große Erfolge und schließlich coachte er rumpelnde Griechen zum EM-Titel. Jetzt soll er Hertha BSC Berlin vor dem Abstieg bewahren. Sein Leben in Bildern.

Jonas Beckenkamp

Außerhalb der Kabine hielt sich Rehhagel bei seinem ersten Auftritt zurück. Gut eine Stunde ließ er seine Spieler auf dem schneebedeckten Rasen spielen, nur einmal unterbrach er das Treiben und scharte die Spieler um sich. Rehhagels Fuß zuckte, dann erschien über den Köpfen der Spieler seine Hand und beschrieb einen Bogen. Ob die Hertha-Profis ihre Sturmkrise (ein Tor in sechs Partien im Jahr 2012) mittels Bananenflanken oder Bogenlampen beenden sollen, war aus den Wortfetzen, die der Wind über den Platz trug, nicht herauszuhören.

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Jonas Beckenkamp

"Er spricht Dinge, die er nicht richtig fand, gleich klar an", verriet Niemeyer später. Mehr nicht. Rehhagel selbst wollte seine Anweisungen erst recht nicht erklären. Der Trainer stehe den Medien erst am Donnerstag wieder zur Verfügung, richtete der Pressesprecher aus.

Ruhe und Abkehr von der Außenwelt sind das Maß der Dinge, das Rehhagel von seiner Mannschaft fordert - und volle Konzentration. Die gilt dem Auswärtsspiel beim Tabellensiebzehnten FC Augsburg am kommenden Samstag. Die Schwaben warten seit sechs Spieltagen auf einen Sieg, haben aber im Gegensatz zu den punktlosen Berlinern in der Rückrunde immerhin drei Zähler erkämpft. "Otto Rehhagel hat ein sehr schweres erstes Spiel", kündigte Augsburgs Manager Andreas Rettig schon mal an. "Wir werden ihn nett begrüßen, aber danach ist es auch gut mit der Gastfreundschaft."

Mit einem Sieg gegen Hertha würde Augsburg die Abstiegsränge verlassen, Hertha würde erstmals auf einen der letzten drei Plätze abrutschen. Hertha-Torwart Kraft sagt: "Wir sind in der Pflicht." Ein Erfolg in Augsburg sei nur über "Kampf, Herz und unbedingten Willen" zu erreichen. Solche Worte freuen den Trainer, der im Schneetreiben über den aufkeimenden Kampfgeist wachte.

Gelingt der Einstand, dann steigen die Chancen, dass Otto Rehhagel nicht langweilig wird, wenn sein Auftrag als Rettungstrainer vertragsgemäß endet. Möglicherweise bliebe er dem Verein dann als sportlicher Berater erhalten. Zumindest schloss Hertha-Präsident Werner Gegenbauer dies in der Bild-Zeitung nicht aus. Misslingt der Ausflug nach Augsburg, wird es allerdings schwer. An die letzten Punkte aus Heimspielen kann sich in Berlin sowieso kaum jemand erinnern, die nächsten Gegner im heimischen Olympiastadion sind zudem ausgerechnet Rehhagels ehemalige Klubs: Werder Bremen und Bayern München.

© SZ vom 22.02.2012 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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