Als er noch nicht hauptberuflich über Borussia Dortmund nachdachte, schrieb Rene Maric mal einen Artikel über ein Europa-League-Spiel des BVB. Im März 2016 war das, Achtelfinale gegen Tottenham, Dortmund gewann 3:0, angeleitet von Trainer Thomas Tuchel. Das Interessante an der Analyse von Maric war, dass sie sich sehr anders las als die meisten Berichte zum Spiel. Mit den Torschützen hielt er sich nicht auf, dafür waren ihm die Laufwege der Außenverteidiger eine nähere Betrachtung wert. Er schrieb: "Dadurch hatte diese Struktur Ansätze einer pendelden Viererkette, wo sich der ballnahe Außenverteidiger immer wieder aus der Kette löste und Druck neben den zentralen Sechsern und Achtern erzeugte."
Der Text war keine leichte Kost, aber das hatte einen Grund: Er erschien auf Spielverlagerung.de, einem Internetportal, das Spiele auf ihre Taktik untersucht. Dort klingen Texte selten so, wie Fans sprechen.
Vieles hat sich verändert seither. Der BVB-Trainer heißt nicht mehr Tuchel. Maric, 25, denkt noch immer über Dortmund nach, aber es ist nun Teil seines neuen Jobs. Maric ist nicht mehr Taktik-Blogger, er ist jetzt Co-Trainer von Red Bull Salzburg, dem Europa-League-Gegner der Dortmunder am Donnerstag.
Es gibt nicht viele Karrieren, die so sinnbildlich stehen für den Wandel einer Sportart. Der Fußball hat sich verändert, er ist akademischer geworden. Trainer-Teams wachsen, es gibt Experten für alles, an den Seitenlinien stehen Menschen, die keine erfolgreichen Spieler waren, Julian Nagelsmann etwa oder Domenico Tedesco. Nicht allen gefällt diese Entwicklung: Mehmet Scholl, einst Kreativkicker beim FC Bayern, klagte, Studenten hätten den Fußball übernommen. Und Gladbach-Trainer Dieter Hecking amüsierte sich mal darüber, dass Leute seine Arbeit überinterpretieren würden. Er sprach über "angebliche Gedankengänge", die ihm manchmal auf Internetportalen zugeschrieben worden seien, als er noch in Wolfsburg Coach war.
Maric hat mehrfach über Wolfsburg geschrieben. Einmal, der VfL spielte gegen Gladbach, analysierte er, wie Hecking die Strategie angepasst habe: "Ohne Ball spielte man kein 4-3-3/4-3-2-1 mehr, sondern ein 4-1-4-1 mit tieferen Flügelstürmern, um in diesen Zonen besser zu verteidigen." Eine Überschrift zu einem Remis zwischen Köln und Hannover lautete mal: "Beidseitiger Stabilitätsfokus führt zu 1:1-Unentschieden." Und zu einem Duell im norwegischen Sarpsborg merkte Maric an, dass der Gegner, Brann Bergen, "in einem asymmetrischen 4-2-3-1" gespielt habe.
Nun ist er selbst Profi-Trainer, und die Frage lautet: Wie ist das, wenn ein Theoretiker auf die Praxis trifft?
Wenn man Maric auf das Hecking-Zitat anspricht und fragt, ob Taktik überbeleuchtet wird, sagt er: "Es hängt von der Definition ab. Wenn man mit Taktik den Matchplan meint, wird auf jeden Fall zu viel reininterpretiert." Dann sagt er: "Aber Taktik ist eigentlich die Summe der Entscheidungen, die die Spieler auf dem Platz treffen. Ob das vom Trainer vorgegeben ist, ob das einfach die Situation so erzeugt hat, ob das die Spieler eigenständig machen, ist dann eigentlich egal." Und noch eine Sache ist ihm, dem früheren Taktik-Blogger, wichtig: "Ich war zuerst in der Praxis, dann habe ich geschrieben."
Als Spieler ging Maric einst zum TSU Handenberg, einem Amateurklub aus einem Dorf in Oberösterreich, 1300 Einwohner. Er trainierte Jugendteams, später die zweite Mannschaft, und er war Co-Trainer der ersten. Günter Russinger, Sektionsleiter Fußball in Handenberg, beschreibt Maric als "extrem gescheit". Ihm fällt ein, wie Maric bestimmte Szenen habe abspeichern können: "Das war mir ein bisserl ein Rätsel. Weil ich sag: So normale Leut' wie wir, die können sich gewisse Punkte merken" - aber nicht ein ganzes Spiel.
Stefan Kirnstötter, der einst unter Maric spielte, nennt ihn "einfühlsam" und "sehr menschlich". Er erinnert sich daran, wie Maric reagierte, wenn ein Spieler im Training Fehler machte: "Er hat nicht direkt gesagt, was falsch war. Er hat Übungen entwickelt, wie das besser wird." Maric beriet zudem mehrere Klubs.
Dass er dann Trainer in Salzburg wurde, hängt auch mit einem seiner Artikel zusammen. Anfang 2016 schrieb er über die U18 des Klubs, es war kein Verriss. Maric beschrieb zwar, im "Spiel mit Ball" liege "Potenzial brach". Er stellte aber auch fest: "Der Siegeszug der Salzburger U18 ist kein Zufall; die Handschrift der Akademie ist ebenso erkennbar wie die des Trainers."
Dieser U18-Trainer war Marco Rose, einst Profi in Mainz. Maric wandte sich an ihn: "Ich dachte: Wenn's schon in Salzburg ist,ist es eine super Chance sich mal auszutauschen, mal zu sehen, was da so dranhängt." Im Sommer 2016 war Maric dann Co-Trainer unter Rose. 2017 gewann das Team die Uefa Youth League, die Champions League der Junioren. Im Sommer 2017 wurde Rose Trainer der Profi-Mannschaft - und Maric einer seiner Assistenten.
Es ist ein spannender Feldversuch für ihn: "Ich gehe (im Umgang mit den Spielern) ganz offen damit um, dass ich kein Profi war. Es gibt einfach Sachen, wo ich weiß: Okay, da fehlt mir der Erfahrungswert. Und dann frage ich einfach die Spieler oder die Kollegen im Trainerstab. Und bis jetzt war das kein Problem."
Zu den Aufgaben von Maric, der einen Master-Abschluss in Psychologie hat, gehört, im Training auf bestimmte Spieler zu achten. Er analysiert Gegner, bereitet Spiele des Teams nach, zusammen mit Rose: "Es gibt Tage, da lerne ich mehr als die Spieler, weil ich mich mit ihnen austausche - eigentlich an den meisten Tagen", sagt er. Menschenführung sei die wichtigste Eigenschaft eines Trainers, findet Maric, wobei alles mit allem zusammenhänge.
Die aktuelle Salzburger Saison verlief schwankend, man könnte sagen: Ihr fehlte der "Stabilitätsfokus". Das Team scheiterte in der Qualifikation zur Champions League, mal wieder. Zur Winterpause lag die Mannschaft hinter Sturm Graz. Nun führt Salzburg die heimische Liga aber wieder an, gewohnt souverän, mittlerweile mit zehn Punkten Vorsprung.
Maric hat sich in den Tagen vor dem Europa-League-Spiel mit dem BVB befasst: "Ich filtere da ein paar Sachen raus, dann reden der Marco und ich darüber, wie wir es angehen wollen, was wir erkennen."
Sein letzter Artikel über Dortmund erschien zum Pokal-Finale 2016 gegen den FC Bayern, es war das Duell der Trainer Thomas Tuchel und Pep Guardiola. Es hat sich wirklich viel geändert seither.