Neulich trug sich im Palazzo Marino, dem Mailänder Rathaus, eine Sitzung zu, die man in gewöhnlichen Zeiten für normal halten könnte. Nun aber wirkte sie unerhört leichtfüßig - gewissermaßen wie eine falsche Note aus der Zukunft, so sehr man sie auch hören mag.
Die großen Fußballklubs der Stadt, die Associazione Calcio Milan und der FC Internazionale, beide in ausländischen Händen, legten ihre Projekte für ein neues, topmodernes Stadion im Stadtteil San Siro vor, 65 000 Plätze. In den Simulationen sehen beide Vorschläge toll aus: "La Cattedrale" vom Studio Popoulus erinnert tatsächlich an eine Kathedrale, was einigermaßen kurios ist; denn das alte Meazza-Stadion hat sich ja eher als "Scala des Fußballs" eingebürgert, als Bühne für Tenöre, auf der allerdings oft Schreihälse auftraten. Das alternative Modell "Anelli di Milano" vom Architekturbüro Manica Sportium heißt so, weil seine Arena aus zwei figurativen Ringen besteht, die sich elegant verschränken.
Im Sommer wird entschieden, 2024 soll es fertig sein. 2026 würde die Arena dann wohl die Eröffnungszeremonie der Olympischen Winterspiele beherbergen. Und weil die Stadt verlangt hat, dass Teile des alten Stadions gleich nebenan aus Respekt für dessen kulturelle Bedeutung erhalten bleiben, wird daraus ein Großvorhaben für etwa 1,2 Milliarden Euro - ein urbanistischer Eingriff. Populous würde die Rampen zum zweiten Tribünenrang hinüberretten wollen, die Konkurrenz ließe auch noch einen der vier charakteristischen Ecktürme stehen. Die gesamte Anlage soll, wenn sie transformiert wäre, der Vergnügung der Mailänder dienen, mit Laufbahnen, Fahrradpisten, Fitnesszentren, einem Park für Skater, Bolzplätzen für Calcetto (Fünf gegen Fünf), das meiste gratis. Dazu Läden, ein Konsumtempel, ein Fußballmuseum, Kinos - Orte, die gerade geschlossen sind. Sehnsuchtsorte für Zukunftsträume.
Nur einige hundert Meter von der hoffnungsfrohen Baustelle entfernt, auf dem alten Messegelände Portello, liegen noch Patienten auf der Intensivstation eines Feldhospitals - angeschlossen an Beatmungsgeräte. Corona und Calcio, es ist ein schwieriges Duo.
Seitenlang wird Milans Zukunft verhandelt
Und doch passte dieser Termin im Palazzo Marino gut zu Mailand. Die Stadt hat immer Zukunft im Sinn, sie ist das wahre Zentrum Italiens, seine Fabrik für Design, Medien und Mode, der Hub der Banken und großen Konzerne, so etwas wie der Maschinenraum des Landes. Man nennt Mailand auch "Capitale morale", moralische Hauptstadt, und sollte damit Moral im engen Sinn gemeint sein, dann sind da natürlich einige Zweifel angebracht. Doch das ist eine andere Geschichte. Dass Corona ausgerechnet Mailand und seine Umgebung, die immerzu effiziente und fortschrittliche Lombardei, so hart traf, wird vielleicht ein Rätsel bleiben. Dass Mailand als erste Stadt an die Zukunft denkt, ist hingegen nicht verwunderlich. Das Modell mit den verschränkten Ringen passt wohl besser.
In der Gazzetta dello Sport, Mailands Sportzeitung, verhandeln sie seit Wochen das Theater um die Zukunft des AC Milan - seitenlang, mit Analysen und Interviews aller Größen der Vergangenheit. Noch ist nicht klar, ob die Serie-A-Saison weitergeht, aber in den Köpfen der Milanisti ist sie ohnehin abgehakt - als Nullnummer: Platz sieben, zwölf Punkte hinter dem Vierten Atalanta Bergamo, also wieder keine Champions League, wie in den sieben vergangenen Jahren. Meister wurde Milan schon seit neun Jahren nicht mehr.
Auch im Verein geht es also um Morgen: Kommt er, kommt er nicht? Passt er hierher, oder passt er nicht? Man ist nicht weit weg vom Sein oder Nichtsein. Und das alles wegen Ralf Rangnick, dem deutschen Fußballboss von Red Bull: "Er ist nicht da, aber es ist, als wäre er da", schreibt die Gazzetta . Rangnick geistert herum - als möglicher neuer Milan-Trainer, ab Sommer vielleicht. In der Zwischenzeit beherrscht er die Debatten, zerreißt die Gemüter.
Triste Zeiten: Ein Milan-Fan vor dem San-Siro-Stadion, das durch eine neue Arena ersetzt werden soll.
(Foto: imago images/Xinhua)Die Aufregung um Rangnick hat einen langen Vorlauf, und wenn der Kontext nun auch etwas weit gezogen sein scheint für die Personalie: Er beginnt mit einem Epochenwechsel in der Stadt, einer Art Zäsur.