Prolog in Düsseldorf:"Die Enttäuschung ist unendlich groß"

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Reicht nur für Platz vier: Tony Martin in Düsseldorf. (Foto: Christian Hartmann/Reuters)
  • Tony Martin wird beim Einzelzeitfahren zum Tour-Auftakt in Düsseldorf nur Vierter.
  • Er ist sehr enttäuscht. Denn er weiß: So eine Chance wird er wohl nicht noch einmal erhalten.

Von Johannes Knuth, Düsseldorf

Ein bisschen dauerte es, bis ihn die Gewissheit gepackt hatte. Erst, als der Radprofi Tony Martin am Samstag die Uhr über der Ziellinie erspähte, wusste er: Das reicht nicht. Er war zwar ständig per Funk mit seinen Trainern im Begleitwagen verbunden gewesen, beim 14 Kilometer langen Prolog der Tour de France in Düsseldorf. Er habe die Durchsagen aus dem Begleitwagen nur nie verstanden, sagte Martin im Ziel: "Weil die Leute mich so sehr gepusht und angefeuert haben." Was er natürlich sehr genossen habe. Erst als er dann also das Ergebnis entgegennahm, kroch diese Enttäuschung in ihn hinein, die er in einem ersten Urteil gar als "unendlich" bezifferte. "Ich hatte ganz klar die Zielstellung zu gewinnen", sagte Martin. Dafür hätte er allerdings acht Sekunden schneller sein müssen. So aber jubelte Geraint Thomas aus Wales. Für Martin reichte es für Platz vier. "Das ist natürlich sehr schade für mich", sagte Martin. Er wusste, dass ihm gerade eine Chance entglitten war, die sich ihm in seiner Karriere zum ersten und wohl letzten Mal geboten hatte.

Das Skript hatte vorgesehen, dass der 32-Jährige das Gelbe Trikot schultern würde, bei der ersten Ouvertüre der Tour in Deutschland seit 30 Jahren. Martin, mit den Insignien des aktuellen Zeitfahr-Weltmeisters nach Düsseldorf gereist, war bei der Tour oft als Favorit in ein Zeitfahren zum Auftakt eingetaucht. Aber dann waren oft andere ein paar Sekunden schneller gewesen, oder eine Scherbe hatte sich in seinen Reifen gebohrt (2012 in Lüttich), ehe er sich vor zwei Jahren erstmals das Gelbe Trikot schnappte, auf der vierten Etappe in Nordfrankreich. "Ich versuche, einfach den Spaß zu behalten", hatte er vor dem Start gesagt, "es ist ja wirklich eine tolle Ehre, hier starten zu dürfen." Es war die Generation um Martin, Marcel Kittel, André Greipel und John Degenkolb, die dem deutschen Radsport in den vergangenen Jahren wieder mehr Glaubwürdigkeit eingeflößt hatte, der Besuch in Düsseldorf war für sie auch ein Lohn ihrer Aufbauarbeit.

Viele Fahrer stürzen, für Valverde und Izaguirre ist die Tour bereits beendet

Nur einer hatte das Skript für den Samstag nicht erhalten: das Wetter. Das schickte Wolken mit Regen, manche Luftaufnahmen legten am Samstag nur bedingt nahe, dass in Düsseldorf ein Zeitfahren abgehalten wurde, eher ein Hochwasser-Rettungseinsatz. Und weil die Wolken schon mal in der Stadt waren und der Wind, der sich ebenfalls angekündigt hatte, nicht recht blies, machte sich der Regen bis zum letzten Fahrer auch nicht mehr davon. Ein dünner Film lag über Rotterdamer Allee, der Oberkasseler Brücke, den engen Kurven, die auf die Königsallee führten. So dauerte es nicht lange, bis die ersten Fahrer stürzten.

Der Niederländer Dylan Groenewegen war der erste, der auf den Asphalt klatsche. Später, der Regen trommelte kräftiger auf den Kurs, stürzten der Franzose Tony Gallopin (Knöchelverletzung), Mitfavorit Primosz Roglic aus Slowenien (Schürfwunden) und der Deutsche Rick Zabel (Schulterprellung). Der 23-Jährige konnte bei seinem Tour-Debüt weitermachen, wie die anderen. Weniger Glück hatten Ion Izaguirre und Alejandro Valverde. Der 37-Jährige sollte in den kommenden drei Wochen seinem Kapitän Nairo Quintana zuarbeiten, manche hatten Valverde gar eine Überraschung zugetraut, sollte Quintana schwächeln und der Spanier von seinen Pflichten als Adjutant befreit werden. Dann verlor er kurz vor der Königsallee die Kontrolle, krachte in die Absperrung, eine erste Untersuchung ergab, dass seine Kniescheibe gebrochen ist. Seine Tour war nach nicht einmal zehn Kilometern beendet, wie die von Izaguirre.

Tour de France
:Tony Martin fährt zu vorsichtig

Die Tour de France startet im Düsseldorfer Regen. Tony Martin verpasst das gelbe Trikot, es gewinnt stattdessen der Brite Geraint Thomas.

Martin war kurz darauf an der Reihe, just, als ein dichter Vorhang aus Regen sich über die Strecke senkte. Er hatte die ersten zwei Stunden des Rennens bezeugt, wie viele Gefahren der Kurs barg. "Das hat natürlich schon arg eingeschüchtert", gestand er später. Aber das schlug sich nicht in seiner Zeit nieder, noch nicht. Als er die Stelle passierte, wo Valverde gestürzt war, sah er am Straßenrand den Krankenwagen, aber er lag noch immer knapp vorne, eine Sekunde vor Thomas bei der Zwischenzeit. Er merkte freilich auch, dass er nicht so schnell und rhythmisch aus den Kurven herauskam, wie er mochte, weil er sich langsam in sie hineingetastet hatte. Der Regen, klar. "Bei Pingpong wäre das alles ein bisschen leichter zu kalkulieren", sagte Torsten Schmidt, Sportlicher Leiter bei Katusha-Alpecin, "aber das ist nun mal ne' Sportart, die draußen stattfindet." Das größere Problem waren ohnehin die letzten ein, zwei Kilometer auf der Rotterdamer Allee, "da ist mir dann doch der Akku ausgegangen", sagte Martin. Es reichte nicht.

Am Sonntag bekommen die Sprinter ihre Chance

Der Platz bei der Siegerehrung, den er sich vorgemerkt hatte, nahm also Thomas vom Team Sky ein; er hatte den Schweizer Stefan Küng um fünf und seinen Teamkollegen Wasil Kirjienka, Weißrussland, um sieben Sekunden distanziert. "Ich kann es noch immer nicht glauben", sagte Thomas, immer und immer wieder. Er war bislang ja nicht unbedingt als hochbegabter Zeitfahrer aufgefallen. Na und? Christopher Froome, Thomas' Kapitän bei Sky, traf als Sechster ein, es war ein guter Tag für den Titelverteidiger und seine Equipe. Auch Marcel Kittel überzeugte, als Neunter. An diesem Sonntag bietet sich für ihn und Greipel in Lüttich gleich die erste Chance auf einen Etappensieg im Sprint.

Und Martin? Der ertrug seine Niederlage gefasst. Er knipste tapfer ein Lächeln an, als zwei Anhänger sich vor dem Teambus mit ihm fotografieren ließen. "Ich habe hier so viele liebe Menschen um mich herum, das lässt mich doch alles leichter erleben", sagte Martin, er meinte seine Frau, Tochter, die Familie. Dann verschwand er im Nebel seines Ärgers. Gerade hatte es aufgehört zu regnen.

© SZ vom 02.07.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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