Probleme bei der Leichtathletik-EM:Falsche Messung führt zu Tränen

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Die Hoffnung auf eine Medaille war eine Fehlmeldung: Weitspringerin Melanie Bauschke. (Foto: dpa)

Fehler der Weitsprung-Kampfrichter, Rutscherei am Diskusring, viele leere Plätze im Stadion: Bei der Leichtathletik-EM im legendären Letzigrund läuft längst nicht alles optimal. Für die deutsche Springerin Melanie Bauschke ist das zum Heulen.

Von Thomas Hahn, Zürich

Robert Harting betrachtete die Leute, die ihn betrachteten, und er wusste, dass sie seine Leistung vom zweiten Tag der Leichtathletik-Europameisterschaften in Zürich nicht richtig einschätzen konnten. Er nahm es ihnen nicht übel. Wie sollten sie auch verstehen, dass sein Sieg mit der eher mittelmäßigen Weite von 66,07 Metern eine besondere Errungenschaft war für ihn?

Er war als dreimaliger Weltmeister, Olympiasieger und Titelverteidiger angetreten, er war der hohe Favorit und nicht richtig in Gang gekommen - aus der Ferne sah es so aus, als habe Harting glanzlos eine Pflichtaufgabe gelöst.

Aber Harting wusste, wie belastend die Umstände des Wettkampfes im Züricher Regen waren, das reichte ihm. Er zeigte auf seinen neuesten Titel und sagte zum Erstaunen seiner Zuhörer: "Der kommt nicht weit hinter dem Olympiasieg. Weil dieser Wettkampf für mich persönlich eine echt große Kopfleistung gewesen ist."

Warum es Kritik hagelt

Wenn ein unverletzter Harting mit relativ schwachen 66,07 Metern zum Sieg kommt, kann in der Tat irgendwas nicht stimmen. Und die Organisatoren der EM haben sich dann auch ein paar kritische Takte sagen lassen müssen.

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Die Titelkämpfe im traditionsreichen Letzigrund hatten an ihren ersten beiden Tagen ohnehin wenig von jener bebenden Atmosphäre, die das jährliche Weltklasse-Meeting hier weit über die Schweizer Grenzen hinaus berühmt gemacht hat. Zu viele Plätze sind leer geblieben in der gar nicht so großen Arena, die Organisatoren haben das Kartenkontingent von 20 000 pro Abend nicht ganz unter die Menschen bringen können.

Dazu kamen diverse Fehler bei der Weitenmessung, die am Mittwochabend darin gipfelten, dass die deutsche Weitspringerin Melanie Bauschke aus Berlin in Tränen aufgelöst im Innenraum stand. 6,79 Meter hatte das Wettkampfgericht zwischendurch für sie notiert, sie lag auf einem Medaillenrang. Vor ihrem letzten Versuch erfuhr sie dann plötzlich, dass die Weite gar nicht stimme und sie doch bloß auf Platz sechs mit 6,55 Meter liege.

Die Korrektur war richtig, wie auch die Vertreter des Deutschen Leichtathletik-Verbandes (DLV) in ihren Video-Aufzeichnungen erkennen konnten. Aber zu verstehen war das nicht, wie es in einem großen Meisterschaftsfinale zu einer solchen Unpässlichkeit kommen konnte, zumal Melanie Bauschke nicht die einzige war, die durch eine Fehlmessung gestört wurde. Der deutsche Chef-Bundestrainer Cheick-Idriss Gonschinska fand es "sehr schade, dass solche Fehler in der Häufung passieren".

Beim Diskuswerfen entstand der Eindruck, als hätten sich die Schweizer Leichtathletik-Organisatoren ein bisschen verzettelt vor lauter Freude an den Neuerungen im Stadion. Stolz hatte Geschäftsführer Patrick Magyar vor der EM berichtet, dass man den Kunststoffbelag im Letzigrund mit einer zusätzlichen Schicht überzogen habe. Dichter sei der Untergrund dadurch, härter, und tatsächlich ermöglicht sie Spitzenläufern außerordentliche Zeiten. Davon betroffen ist auch der Untergrund rund um den Ring der Diskuswerfer.

Die Renovierung kam im Grunde auch ganz gut an bei den Athleten, aber als der Regen da war und die Diskuswerfer ihre ersten Aufwärmübungen machten, stellten sie fest, dass die neue Kunststoffbahn um den Ring ihnen nicht den Halt gab, den sie nach ihren Versuchen brauchen. Die haben im Gegensatz etwa zu den Läufern keine Spikes unter den Schuhen. "Das ist wie Lack", sagte Harting über den zusätzlichen Belag, "wenn das nass wird, war's das." Das Wasser floss nicht so ab wie auf herkömmlichen Anlagen, die Fläche wurde zur Rutschbahn. Prompt stürzte Harting, als er einen Wurf abfangen musste und fühlte sich auf einmal gar nicht mehr komfortabel im berühmten Letzigrund.

"Das hat mir die psychischen Arbeitsmuster genommen", sagte Harting. "Sie müssen sich das so vorstellen, als würden Sie im Winter einen Berg runterfahren und haben keine Bremsen am Schlitten."

Warum Verletzungsgefahr besteht

Deshalb war er so stolz auf seine 66,07, weil er sie auf dieser Anlage erzielte, die ihn einem Risiko aussetzte. Harting wollte seinen goldenen Abend nicht an eine größer angelegte Tirade auf die Veranstalter verschwenden. "Ob die einen Fehler gemacht haben, weiß ich nicht", sagte er, "ich kann nur sagen: Es ist sauglatt." Der EM-Zweite Gerd Kanter wurde da schon deutlicher: "Es ist ein bisschen enttäuschend von den Organisatoren, wenn die Bahn im Regen nicht funktioniert", sagte der Este, "wir sind in Europa, da gibt es immer eine 50:50-Chance auf Regen. Das ist sogar gefährlich. Robert oder ich hätten uns ernsthaft verletzen können."

Die EM-Organisatoren räumten die Messfehler beim Weitsprung ein. Es gab eine Sitzung mit den Kampfrichtern, um das Bewusstsein für deren Verantwortung zu schärfen. Und es gab ein schriftliches Statement von Patrick Magyar. Er erklärte die Messfehler mit den Wetterturbulenzen, die am Nachmittag eingesetzt und das Programm empfindlich durcheinandergewirbelt hatten.

Der Sturm mit Regen und Böen von bis zu 90 Stundenkilometern habe die Organisation "vor große Herausforderungen gestellt habe", ließ Magyar verlauten: "Der hohe Druck, bedingt durch die besondere Situation und die kurzfristig beschlossenen Zeitplan-Änderungen, hat in einzelnen Fällen leider zu menschlichem Fehlverhalten geführt. Die Organisatoren entschuldigen sich in aller Form für diese Vorkommnisse, bitten jedoch in Anbetracht der außerordentlichen Umstände um Verständnis."

Und die Rutscherei am Diskusring? Dazu schwiegen die Organisatoren zunächst. Was sollten sie auch sagen? Der Untergrund liegt so da, wie sie ist, die Züricher können ihn jetzt nicht einfach rausreißen.

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