Premier League:Im Kristallpalast

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Ein geiziger Klubbesitzer, zwei sehr teure Torhüter, noch ein Deutscher in Huddersfield: ein Überblick über die neuen Attraktionen der Premier League.

Von Sebastian Fischer, Barbara Klimke und Benedikt Warmbrunn

Wechselt Paul Pogba noch von Manchester United zum FC Barcelona? Wechselt Eden Hazard noch vom FC Chelsea zu Real Madrid? Bleibt Harry Maguire bei Leicester City? Und wie viele Rekorde wird Manchester City in dieser Spielzeit aufstellen? Es gibt noch offene Fragen vor dem Saisonstart der Premier League an diesem Wochenende - doch es sind weniger als in den anderen europäischen Ligen. Am Donnerstag endete für Englands Klubs die Frist für Einkäufe - verkauft werden darf allerdings noch, zumindest ins Ausland (siehe: Paul Pogba). Als Favorit auf den Titel gilt Manchester City nach einer Saison voller Bestmarken: die meisten Punkte (100), der größte Vorsprung (19 Punkte), die meisten Tore (106). Im Gegensatz zu seinen Kollegen hat sich Trainer Pep Guardiola bei Transfers zurückgehalten, er verpflichtete dafür Wunschspieler Riyad Mahrez für knapp 70 Millionen Euro aus Leicester. Auch ohne Unterstützung durch den Titelverteidiger hat sich die Liga wieder ein paar Attraktionen gesichert. Ein Überblick.

Der zweitteuerste Torwart

17 Jahre lang war der unvergleichliche Gianluigi Buffon Der teuerste Torwart der Welt. 2001 war der Italiener für 54,1 Millionen Euro vom AC Parma zu Juventus Turin gewechselt, dass diese Marke nie übertroffen wurde, lag auch daran, dass Buffon nie wechselte. Als er dann doch wechselte, in diesem Sommer nach Paris, war er ablösefrei. Prompt ging Ende Juli der Brasilianer Alisson Becker für 62,5 Millionen Euro plus bis zu zehn Millionen Euro an Bonuszahlungen vom AS Rom zum FC Liverpool, sein neuer Trainer Jürgen Klopp sagte ehrfürchtig: "Alisson hat nichts mit dem Preis zu tun, wir haben nichts mit dem Preis zu tun - es ist der Markt." Den Zusatztitel Der teuerste Torwart der Welt behielt Alisson allerdings keine drei Wochen, dann wechselte der bisher nicht wirklich unvergleichliche Kepa Arrizabalaga für 80 Millionen Euro von Athletic Bilbao zu Chelsea. Dort wird er Nachfolger des Belgiers Thibaut Courtois, der zu Real Madrid wechselt, für gerade einmal 35 Millionen Euro.

Einkaufen in Barcelona Wenn man die Liga in Transfergewinner und Transferverlierer aufteilt, gehörte der FC Everton in den vergangenen Jahren eher zu letzteren: 2016 ging in John Stones der beste Abwehrspieler, 2017 in Romelu Lukaku der beste Stürmer, immerhin jeweils für sehr viel Geld. Doch in diesem Sommer hat Everton viel ausgegeben - und sich bei keinem geringeren Klub als dem FC Barcelona bedient. Nach Außenverteidiger Lucas Digne kamen am Donnerstag Mittelfeldspieler André Gomes zur Leihe und Yerry Mina für angeblich mehr als 30 Millionen. Der Innenverteidiger, 1,95 Meter groß, hatte für Kolumbien bei der WM in Russland drei Kopfballtore erzielt.

Das Erbe des Asteroiden

Arsène Wenger hat dreimal die englische Meisterschaft gewonnen, sieben Mal den FA Cup, er stand im Finale von Champions League und Uefa-Cup, er wurde zum Officer of the Order of the British Empire ernannt, außerdem ist er Namensgeber eines Asteroiden des mittleren Hauptgürtels, des (33179) Arsènewenger. Vor allem aber ist dieser Arsène Wenger auf alle Ewigkeiten Trainer des FC Arsenal ... Moment, Letzteres ist er seit diesem Sommer nicht mehr, nach 22 Jahren im Verein, in denen er dessen Spielweise prägte, wie selten ein Trainer zuvor einen Verein geprägt hat. Übernommen hat die Mannschaft um Mesut Özil der Baske Unai Emery, nach dem noch kein Asteroid benannt wurde. Er stand dafür dreimal mit Sevilla im Finale der Europa League - und gewann dreimal.

Bei den Sauriern

An Gartenkunst hat der Schalker Max Meyer wohl zuletzt gedacht, als er einen Vertrag in der englischen Liga unterschrieb. Aber ohne einen Hauch von botanischem Interesse erschließt sich der Charme des südlichsten Londoner Premier-League-Klubs kaum. Crystal Palace wäre nichts ohne den Gartenarchitekten Paxton, der 1851 zur Weltausstellung im Hyde Park eine Art gewaltiges Gewächshaus schuf: 600 Meter lang, ganz aus Gusseisen und Glas. Nach der Ausstellung wurde die Kristallkathedrale der industriellen Revolution nach Sydenham verfrachtet, wo sie einem Stadtteil und einem Park ihren Namen gab - sowie dem Klub, der in den Anlagen spielte, in denen damals auch der FA Cup stattfand. Der Kristallpalast ist abgebrannt. Der Klub ist ins Selhurst-Stadion umgezogen. Aber im alten Park samt Labyrinth und Saurier-Statuen kann Meyer alles lernen, was er auf der Insel wissen muss: über England, Fußball und Gartenkunst.

Einer der letzten Meister von 2016 in Leicester: Jamie Vardy. (Foto: Getty Images)

Letzter Partygast

Als Leicester City im Mai 2016 zum unwahrscheinlichsten Meister der jüngeren englischen Fußballgeschichte wurde, fand die Party bei Jamie Vardy statt, dem unwahrscheinlichen Torschützenkönig. Der Stürmer lud die Kollegen in sein Wohnzimmer ein, die Fotos gingen um die Welt. Die Kurzfassung seiner Biografie: aussortiert, im Pub geprügelt, vorbestraft, immer weiter Tore geschossen. Nun, rund zwei Jahre später, ist der Gastgeber noch da - aber die meisten Gäste nicht mehr. Der Ausverkauf ging auch in diesem Jahr weiter, Rechtsaußen Mahrez wechselte zu ManCity. Auch Robert Huth aus Berlin ist weg, allerdings noch auf Vereinssuche. Dafür kam in Caglar Söyüncü vom SC Freiburg am Donnerstag ein anderer ehemaliger Bundesligaprofi. Und Jamie Vardy? "Is having a party", so geht das Lied der Leicester-Fans.

In der Sparfalle

Es könnte alles wunderbar sein in Newcastle. United ist ein Verein mit Tradition, der St. James Park zählt zu den schönsten Stadien, er ist immer noch regelmäßig ausverkauft, trotz allem. Denn es ist nichts wunderbar. Trainer Rafael Benitez sagte: "Die Fans sollten sich Sorgen machen. Ich mache mir große Sorgen." Es laufe "alles" falsch. Besitzer Mike Ashley führt den Klub scheinbar ohne sportliche Ambitionen nach kaufmännischen Kriterien; mit so wenig Investment wie möglich. Der Sportartikel-Milliardär bereut sein Engagement, sein Geld sei verloren. Benitez bekommt Verstärkungen nur im Ausnahmefall, der Mainzer Muto durfte nur kommen, weil der Serbe Mitrovic teurer nach Fulham ging. Es gibt in der Liga noch ein paar Leidende, "eine absolute Tortur", so beschrieb ein Fan von Tottenham im Guardian, wie sich das Transferfenster anfühle. Die Spurs und ihr sparsamer Boss Daniel Levy haben gar nicht eingekauft. Allerdings bislang auch keinen wichtigen Spieler verkauft, Stürmer Harry Kane ist noch da. Im Vergleich mit Newcastle ist beim Vorjahres-Dritten also: alles wunderbar.

Der Deal der Discokumpels

Ende der 90er war Jorge Mendes ein wenig erfolgreicher DJ und Barkeeper, bis er in einer Nacht in einer Disco den Torwart Nuno Herlander Simões Espírito Santo kennenlernte. Mendes und Nuno verstanden sich gut, und so bat Nuno seinen Freund, für ihn den Transfer zu Deportivo La Coruña abzuwickeln. Es war der Auftakt der Karriere eines der einflussreichsten Spielerberater der Geschichte. James Rodríguez, Ángel di Maria und Cristiano Ronaldo - in manchen Transferperioden verdiente Mendes eine mittlere achtstellige Summe an Provisionen. Außerdem berät Mendes den chinesischen Multikonzern Fosun, der Besitzer der Wolverhampton Wanderers ist, des Aufsteigers in die Premier League. Mendes soll auch Geschäftspartner der Chinesen sein, auch ein paar andere Dinge in dieser Zusammenarbeit wirken so seriös wie ein Deal im Nachtklub. Mendes hat manchen seiner Klienten zu den Wanderers transferiert, darunter Rúben Neves, der von zahlreichen europäischen Spitzenklubs umworben wurde. Und der Trainer heißt seit 2017: Nuno.

Soll den Niedergang des FC Chelsea stoppen: Maurizio Sarri. (Foto: imago)

Ohne Zigarette

Maurizio Sarri raucht 60 Zigaretten am Tag, er lässt sich vor dem Training einen Espresso an die Seitenlinie servieren, er soll sich gegenüber einer Journalistin sexistisch verhalten haben, er bezeichnete die italienische Serie A als "eine Homosexuellen-Liga"; Maurizio Sarri ist also ein ziemliches Ekel. Bis zu diesem Sommer trainierte er den SSC Neapel, manchmal rauchte er dabei an der Seitenlinie. Dieser bedingt sympathische Mann soll nun den Niedergang des neureichen FC Chelsea stoppen, der sich in der vergangenen Saison nicht einmal für die Champions League qualifiziert hat. Verzichten muss er dabei auf seine geliebten Zigaretten, die sind in der Premier League an der Seitenlinie verboten. Auch sportlich ist es für Sarri eine schwere Aufgabe (siehe: Courtois, siehe: Hazard), und es gibt nicht wenige, die sich über ein Scheitern des Italieners freuen würden.

In feiner Gesellschaft

Wäre Fußball die Freiheit, man könnte Huddersfield Town das anspruchsvollste Resozialisierungsprogramm der Welt nennen. Der deutsche Trainer David Wagner verpflichtet mit Vorliebe Profis, die in Deutschlands erster Liga nicht mehr oder noch nicht eingesetzt wurden - und führt sie in der Premier League in die nobelste Gesellschaft ein. Was in der vergangenen Saison als Aufsteiger mit Profis wie Christopher Schindler (ehemals 1860 München) oder Elias Kachunga (Ingolstadt) funktionierte, soll nun mit einem Weltmeister klappen. Erik Durm, 2014 in Brasilien Nationalspieler ohne Einsatz, verlor in Dortmund seinen Stammplatz, fiel in Stuttgart durch den Medizincheck, war lange verletzt. Wagner schrieb dem Verteidiger eine SMS. Er kam ablösefrei.

Mit Themse-Blick

Von den drei Aufsteigern in dieser Saison wurde der FC Fulham mit dem größten Wohlwollen begrüßt, was nicht als Respektlosigkeit gegenüber Cardiff City und Wolverhampton zu missverstehen ist, sondern mit der Lage des sechsten Londoner Erstligisten entschuldigt wird. Dort, wo demnächst André Schürrle Flanken schlägt, ritten in der Renaissance die englischen Könige zur Jagd. Das Stadion Craven Cottage, im Westen der Stadt, liegt direkt an der Themse. Und damit ebenso nahe am Fluss wie zum Beispiel Shakespeare's Globe-Theatre weiter im Osten, mit dem es eine natürlich Achse der Freiluft-Unterhaltung bildet. Vom Riverside Stand, der Haupttribüne, könnte man auch den Ruderern zusehen, deren Klubhäuser auf der anderen Uferseite, in Putney, stehen. Anderseits sollte Fulhams Elf diese Saison genug Attraktionen bieten, was nicht nur an Schürrle liegt, sondern auch am 18-jährigen Mittelfeldspieler Ryan Sessegnon, der schon mit 16 sein erstes Zweitligator schoss.

Wie neu

Es ist kein Geheimnis, dass sich Trainer José Mourinho einen Königstransfer für Manchester United gewünscht hat. Doch unabhängig davon, was in den Abendstunden vor dem Ende der Transferfrist passierte - der Königstransfer war längst da. Mit dem kleinen Schönheitsfehler, dass er schon seit Jugendzeiten da ist. Allerdings: Im vergangenen Sommer war Jesse Lingard noch ein 24-Jähriger, etwas zu alt für ein Talent, etwas zu unerprobt für mehr. Nun ist er einer der auffälligsten Nationalspieler Englands , ein Stammspieler in der Premier League, in der Offensive variabel einsetzbar, torgefährlich, trickreich, aufregend. Und wem das alles nicht glamourös genug klingt für Manchester United, dem sei gesagt: Jesse Lingard, 25, aus Warrington nennen sie auf der Insel inzwischen den englischen Andrés Iniesta.

© SZ vom 10.08.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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