Premier League:Wenn Finanzdebatten spannender als die Spiele sind

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Über das Schicksal entscheiden Tore nicht allein: Nottingham Forest wurde kürzlich zu einem Vierpunkteabzug verdonnert. (Foto: Oli Scarf/AFP)

Maßlos wirkende Geschäftsgebaren im Fußball auf der Insel: Nach Everton wird auch Nottingham Forest mit Punktabzug bestraft. Die Finanzregeln könnten in der englischen Liga über die Tabelle entscheiden.

Von Sven Haist, London

Auch die Abschlusstabelle der Premier League ergibt sich am Saisonende durch die Summe aller Punkte. In dieser Saison geht es vor allem für die Klubs im Abstiegskampf jedoch wohl nicht nur darum, die meisten Zähler zu haben, sondern auch darum, die wenigsten abgezogen zu bekommen. Denn auf Druck der britischen Regierung, die mithilfe einer unabhängigen Aufsichtsbehörde das oft maßlos wirkende Geschäftsgebaren der Fußballvereine in Zukunft kontrollieren möchte, scheint die Premier League die eigenen Finanzregeln jetzt so stringent durchzusetzen wie nie.

Die Statuten erlauben den Klubs lediglich einen operativen Verlust von 105 Millionen Pfund innerhalb von drei Erstliga-Spielzeiten. Und das bringt immer mehr Vereine in arge Bedrängnis.

Als erstem Klub wurden dem FC Everton im November mit sofortiger Wirkung zehn Punkte gestrichen - wegen eines um 19,5 Millionen Pfund zu hohen Bilanzverlustes zwischen 2018 und 2022. Die Corona-Spielzeiten 2019/20 und 2020/21 wurden dabei gemittelt. Die Strafe reduzierte sich zwar nach Evertons Einspruch kürzlich auf sechs Punkte. Allerdings droht dem Klub für vermeintliche weitere Vergehen zwischen 2019 und 2023 in dieser Saison ein erneuter Punktabzug.

Für denselben Zeitraum ist soeben Ligakonkurrent Nottingham Forest zu einem Vier-Punkte-Abzug verdonnert worden. Ein von der Premier League autonomes Entscheidungsgremium urteilte, Nottingham habe das erlaubte Verlustmaximum von in diesem Fall 61 Millionen Pfund um 34,5 Millionen Pfund überschritten. Die niedrigere Bemessungsgrenze ergibt sich, weil Nottingham zwei der drei relevanten Spielzeiten in der zweiten Liga verbrachte, wofür das Defizitlimit pro Saison um 22 Millionen herabgesetzt wird. Die Kommission wollte auch Nottingham sechs Punkte streichen, betonte aber das "Schuldeingeständnis und die Kooperation".

Von den Strafen könnte Luton Town profitieren

Die Strafen für Everton und Nottingham haben dramatischen Einfluss auf die Ausgangslage im Abstiegskampf. Lange sah es so aus, als müssten die Aufsteiger FC Burnley, Luton Town und Sheffield United direkt in die Zweitklassigkeit zurück. Nun rutschte Nottingham erstmals in der Saison auf einen Abstiegsplatz - und Everton liegt nur noch vier Punkte über dem Strich. Davon profitiert gerade Luton, das sich nach jetzigem Stand um einen Punkt in der Liga halten würde.

Die Finanzdebatten wirken derzeit manchmal sogar spannender als die Spiele. So etwa der 50 Seiten lange Report zum Fall Nottingham Forest: Im Kern geht es um den Spielerwechsel des Nottingham-Angreifers Brennan Johnson zu Tottenham Hotspur im vorigen Sommer. Nachdem sich Nottingham in der Saison nach dem Aufstieg 2022 für rund 200 Millionen Euro Ablöse 26 Spieler quasi ohne Gegenerlöse gekauft hatte, musste der Klub dringend bis zum 30. Juni 2023 Transfereinnahmen generieren, um die Bilanz auszugleichen.

Wie aus der Urteilsbegründung im Punkt 12.22 hervorgeht, warnte Nottinghams Finanzchef Thomas Bonser die Klubchefs schon im September 2022 vor einem "signifikanten Verstoß". Trotzdem gab Forest im folgenden Transferfenster im Winter 30 Millionen aus. Es sei "nicht klar", warum der Klub "keine Schritte unternommen" habe, um das drohende Problem zu lösen, urteilte das Entscheidungsgremium. So habe der Verein in der Saison 2022/23 mit einer Mannschaft gespielt, die er sich gemäß Regelwerk ("Profit and Sustainability Rules") nicht habe leisten können.

Als Ausweg blieb einzig der Verkauf des Spielers Johnson. Und tatsächlich erhielt Forest am letzten Tag der Frist ein Angebot von Atlético Madrid in Höhe von 50 Millionen Euro (unter dem Vorbehalt, zuvor einen anderen Spieler loswerden zu müssen). Die Summe hätte problemlos gereicht, um mögliche Regelstrafen abzuwenden. Doch Forest lehnte ab - und rief eine Ablöse von 65 Millionen auf. Der Kontakt zu Atlético brach ab. Nach vielen gescheiterten Verhandlungen einigte sich Nottingham dann erst am letzten Transfertag mit Tottenham auf einen Wechsel. Die Kaufsumme: 47,5 Millionen Pfund - unwesentlich mehr als die ursprüngliche Atlético-Offerte.

Nottingham zeigte sich nun "zutiefst enttäuscht" vom Schuldspruch und kritisierte, dass es bei einer solchen Regelauslegung für künftige Aufsteiger "äußerst schwierig, wenn nicht unmöglich" werde, sich in der Premier League zu halten. Man habe durch den Johnson-Verkauf grundsätzlich den Respekt vor den Finanzregeln demonstriert - die verpasste Deadline sei eine "knappe Verfehlung". Diese Darstellung schmetterte der Ausschuss ab: Forest sei "nah am Wind gesegelt" und habe "alles auf eine Karte gesetzt".

Eine Woche Zeit bleibt dem Klub, um gegen das Urteil in Berufung zu gehen. Unterstützung erhält der Verein von Politikern aus der eigenen Stadt, die der Sportministerin Lucy Frazer am Mittwoch nahelegten, einfach "alle Verfahren und Sanktionen" in der Premier League auszusetzen, bis die neue Regulierungsbehörde in Kraft trete. Die Kritik an den Sanktionen hinterlässt einmal mehr den Eindruck, dass die Premier-League-Klubs bisweilen in den Finanzverfahren entschiedener kämpfen als auf dem Spielfeld.

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