Philipp Lahm:"Er war ein Held ohne Heldengesicht"

Spielversteher, Stratege, Politiker in eigener Sache: Zum Abschied von Philipp Lahm hat die SZ Würdigungen aus dem Fußball und der Welt gesammelt.

1 / 7
(Foto: Stuart Franklin/Getty Images)

"Philipp war auch deswegen eine Ausnahmeerscheinung, weil er nicht der Athlet ist, den man sich als Abwehrspieler vorstellt: nicht besonders groß, nicht besonders kopfballstark, aber wendig, quirlig, geschickt. Er antizipiert, er ist taktisch so geschult wie kein anderer und ist unglaublich zweikampfgeschickt. Er wusste, wann muss ich mich einschalten, wann das Tempo herausnehmen. Bei Philipp sucht man nach Schwächen, aber: Man findet die nicht. Das heißt nicht, dass er nicht aus sich herausgehen konnte. Wir haben meistens donnerstags sogenannte Sechs-Tore-Spiele gemacht, mit zwei großen und je zwei kleinen Tore an den Seiten. Ich war Schiedsrichter, weil Hermann Gerland das nie machen wollte. Wenn Philipp gefoult wurde, hat er mich entrüstet angeguckt und war sauer. Hinterher haben wir uns vertragen. Feiern kann Philipp übrigens auch. Nach unserem Triple-Sieg war er völlig losgelöst. Ich weiß noch, wie er nach dem Champions-League-Sieg der letzte war, der nach Hause gegangen ist. Da war er, glaube ich, 24 Stunden auf den Beinen." Jupp Heynckes, 72, war drei Mal Trainer des FC Bayern und gewann 2013 das Triple.

2 / 7
(Foto: dpa)

"Ich habe Philipp wachsen sehen. Er kam ja als chico zu uns, nachdem er in Stuttgart war. Was mich sofort beeindruckt hat, war seine Qualität und seine Fähigkeit, auf jeder Position zu spielen. Und mit der Zeit: seine Persönlichkeit. Er brachte nicht nur alles mit, um ein guter Profi zu werden, sondern um sich in einem großen Klub einen Platz in der Geschichte zu sichern. Er verkörpert die Art von Anführer, die ich mag. Philipp ist keiner, der Führungsqualität mit Lautstärke verwechselt. Er geht mit dem Beispiel voran. Ich habe ihn nie den Kopf verlieren sehen, uns Latinos passiert so etwas öfter. Wir haben zwei Mal bei Weltmeisterschaften gegeneinander gespielt, in Südafrika 2010 und in 2014 Brasilien im Finale, beide Male verlor ich leider. Wir haben nie über diese Spiele gesprochen. Aber wenn wir uns sehen, werden wir uns immer umarmen." Der Argentinier Martín Demichelis, 36, spielte von 2003 bis 2010 beim FC Bayern.

3 / 7
(Foto: N/A)

"Uneitel: das wäre der Begriff, auf den ich Philipp Lahm bringen würde. Ich habe von ihm keinen einzigen eitlen Ball gesehen. Ein eitler Ball kündigt sich in der Gestik schon an: Jetzt schaut mal, was ich gleich machen werde! Ein eitler Ball wird sozusagen kommentiert und abmoderiert vom Spieler, der gequält lächelt oder abwinkt und also wortlos jammert: Ach, die anderen können ja mit meiner Kunst gar nichts anfangen. Dagegen Lahm: Jeder Ball, den der gespielt hat, diente dazu, die Planungssicherheit im Spiel zu gewährleisten." Marcel Reif, 67, ist TV-Experte.

4 / 7
(Foto: François Lenoir/Reuters)

"Mehmet Scholl hat Philipp Lahms Leistung kürzlich so zusammen gefasst: 75 Prozent aller Spiele überragend gespielt, die anderen 25 Prozent Weltklasse. Ich schließe mich dem sachverständigen Urteil an. Über die fußballerische Leistung hinaus hat Philipp Lahm auch dadurch beeindruckt, dass er sich der aus der Popularität folgenden Verantwortung bewusst und würdig gezeigt hat. Für viele, nicht nur junge Menschen ist ein großer Fußballer, ob er mag oder nicht, auch Vorbild. Dem ist Lahm gerecht geworden. So wünsche ich ihm auch für seine künftigen Ziele allen Erfolg. Besonders auch für seine Stiftung, die unter anderem Sport- und Bildungsprojekte in südafrikanischen Townships unterstützt. Auch das vorbildlich." Wolfgang Schäuble, 74, ist Bundesfinanzminister.

5 / 7
(Foto: Mario Guzman/dpa)

"Es gibt einen deutschen Außenverteidiger, der mich in Träumen verfolgt hat: Hans-Peter Briegel. Der Traum geht so: Ich laufe im WM-Finale von 1986 aufs Tor zu, und Briegel holt mich noch ein. Nur, dass das klar ist: Ich halte Briegel für einen würdigen Vertreter des deutschen Fußballs. Aber er ist das komplette Gegenteil von Philipp Lahm, für den ich immer eine Schwäche hatte. Weil seine Ausstrahlungskraft in seiner symbolischen Dimension lag. Lahm repräsentierte den Wandel des deutschen Fußballs, ehe der Wandel vollzogen war. Deutschlands Fußball veränderte sich in eine Richtung, in der Lahm längst wartete. Er suchte immer die Assoziation mit den Mitspielern, und war dabei imstande, das Spiel seiner Mannschaft als Außenverteidiger zu organisieren. Er spielte den Ball immer mit Verstand. Den Härtetest überwand er für mich, als Pep Guardiola ihn als Sechser aufstellte, im defensiven Mittelfeld, und er den Eindruck erweckte, sein ganzes Leben auf dieser Position gespielt zu haben. Aber auch wenn er außen spielte - die Kreidelinie hat ihm nie Grenzen gesetzt. Ihm gehörte das ganze Feld. Was mich noch beeindruckte, war seine Diskretion: Man sah ihm nie an, wie unermüdlich er war. Man konnte meinen, dass er sogar sein Talent verbarg. Denn nichts von dem, was er tat, war schrill. Er war ein Held ohne Heldengesicht." Jorge Valdano, 61, Fußballphilosoph, war 1986 Weltmeister mit Argentinien.

6 / 7
(Foto: REUTERS)

"Einen solchen Teamplayer und zugleich Führungsspieler, der seine Mitspieler auf und neben dem Rasen nahezu nie in Verlegenheit brachte, gibt es so schnell nicht wieder. Schade nur, dass sein Vereinspräsident so wenig von ihm gelernt hat." Katja Kipping, 39, ist Vorsitzende der Partei Die Linke.

7 / 7
(Foto: Clive Rose/Getty Images)

"Ja, unser berühmtes Laufduell 2008 in Wien. Ich erinnere mich noch, wie ich nach dem Pass von Xavi die Lücke zwischen Metzelder und Lahm suchte, um den Ball zwischen den beiden zu kontrollieren und auf Lehmann zuzulaufen. Der Pass geriet etwas weit, und als ich den Ball dann doch nicht unter Kontrolle bekam, habe ich versucht, mich außen herum von Lahm zu entledigen. Er hat ein wenig abgebremst. Wohl, weil er dachte, dass der Torwart vor mir an den Ball kommen würde. Das war ein Moment des Zweifels, wo ich aufs Tor schießen konnte. Jeder andere Spieler hätte versucht, zu grätschen. Aber das sind die Details, die dazu führen, dass Philipp nun, da er abtritt, von aller Welt bewundert wird. Je öfter wir aufeinander getroffen sind, desto größer wurde auch meine Bewunderung. Ich glaube, dass Lahm vielen anderen deutschen Spieler die Augen geöffnet hat: dass sie andere Charakteristiken haben können als die, die man bei Deutschen voraussetzt. Vor unserem letzten Duell, als Bayern in der Champions League gegen Atlético Madrid spielten, sagte er mir, dass ich immer treffe, wenn wir gegeneinander spielen - benimm dich, meinte er. Nach so vielen Schlachten bauen sich solche Beziehungen der Hochachtung unter Rivalen auf. Er hat all meinen Respekt." Fernando Torres, 33, erzielte den 1:0-Siegtreffer für Spanien im EM-Finale 2008. Lesen Sie viele weitere Würdigungen für Philipp Lahm mit SZ Plus - unter anderem von Bastian Schweinsteiger, Olli Dittrich und dem Pfarrer, der Lahm getraut hat.

© SZ.de/dpa - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: