Paderborns Trainer André Breitenreiter:Ehrenmitglied "001"

Lesezeit: 3 min

Macher in Paderborn: Trainer André Breitenreiter. (Foto: Uwe Anspach/dpa)

Dass der kleine SC Paderborn als 53. Debütant in die große Bundesliga einzieht, hat viel mit seinem Trainer André Breitenreiter zu tun. Der benötigt für seine Erfolge keine Anlaufzeit.

Von Ulrich Hartmann, Paderborn

Die Mannschaft war am Boden, bevor André Breitenreiter ihr Trainer wurde. Viele Niederlagen, viele Gegentore, viele Tränen. Breitenreiter brachte Ordnung ins Spiel, redete die Spieler stark und sah sie in der Tabelle bald klettern. "Ohne Erfolgserlebnisse hatte ich sie zum Saisonbeginn übernommen, am Ende waren wir Dritter und im Jahr darauf sind wir Meister geworden." Breitenreiter grinst. In zwölf Tagen startet er mit seinem SC Paderborn ins Abenteuer Bundesliga. Der niedliche Prolog zu seiner Erfolgsgeschichte als Trainer wurde jedoch vor fünf Jahren geschrieben - bei den Kleinsten im Nordwesten Hannovers: der F-Jugend vom TuS Altwarmbüchen, mit seinem Sohn Emil.

Was mit Siebenjährigen geht, scheint auch im Profifußball zu klappen. Das letzte Testspiel vor dem größten Abenteuer in der Geschichte des SC Paderborn haben die Ostwestfalen soeben 3:1 gegen den Premier-League-Klub FC Everton gewonnen. Jetzt steht noch das schwere DFB-Pokalspiel am Sonntag in Leipzig auf dem Programm, und am übernächsten Sonntag geht gegen Mainz die Bundesliga los.

Aufstieg des SC Paderborn
:Die Heide bebt

Die "größte Sensation der deutschen Fußballgeschichte": Zum ersten Mal in seiner 107-jährigen Historie steigt der SC Paderborn in die Fußball-Bundesliga auf. Es ist auch das Verdienst von Trainer Breitenreiter. Doch dessen Zukunft in Paderborn ist ungewiss.

Von Ulrich Hartmann

Die ganze Stadt ist elektrisiert. Vergangene Woche überreichte eine Fan-Abordnung dem Trainer stolz eine gerahmte Urkunde: "Ehrenmitgliedschaft" stand darauf. Dass der Fanklub "Nullsieben" diese Auszeichnung nicht inflationär verleiht, bewies die Seriennummer: "001".

Breitenreiter, 40, ein gebürtiger Langenhagener, hat noch nie eine lange Anlaufzeit gebraucht. Nicht als Trainer und auch nicht bei seinem Debüt als Bundesliga-Fußballer. Als 20-jähriger Vertragsamateur des Hamburger SV stand er am 17. September 1994 im Münchner Olympiastadion in der Startelf. Erst 16 Minuten war die Partie beim FC Bayern alt, als er mit dem Ball übers halbe Feld rannte, im Strafraum Lothar Matthäus tunnelte und den Ball an Oliver Kahn vorbei zum 1:0 einschob. Das Spiel endete 1:1, weil Matthäus noch einen Elfmeter verwandelte.

144 Bundesligaspiele für den HSV, Wolfsburg und Unterhaching hat Breitenreiter absolviert, dazu 101 Zweitligaspiele für Haching und Hannover 96. 1992 gewann er mit Hannover den DFB-Pokal. Als der Pokalwettbewerb im Herbst 1991 losging, war Breitenreiter 17. Alle Spiele durfte er mitmachen - bloß nicht das Finale. Hannover besiegte Gladbach im Elfmeterschießen, und Breitenreiter durfte als Jüngster über Nacht den Pokal bewachen; als er am nächsten Morgen neben der Trophäe aufwachte, dachte er: Wahnsinn! "Ich krieg heute noch eine Gänsehaut, wenn ich nur daran denke", sagt er.

So eine Gänsehaut ist das Beste, was einem als Fußballer passieren kann. Wenn Breitenreiter in letzter Zeit morgens aufwachte, lag zwar kein Pokal neben ihm, "Wahnsinn" hat er trotzdem oft gedacht. Er hatte aus der F-Jugend von Altwarmbüchen einst eine Spitzenmannschaft gemacht und den viertklassigen Abstiegskandidaten TSV Havelse 2012/13 beinahe zum Aufsteiger geformt. Aber dass er mit dem SC Paderborn in der vergangenen Zweitliga-Saison gleich in seinem ersten Profitrainer-Jahr den Aufstieg in die Bundesliga geschafft hat, war der größte Triumph.

Jetzt kommen jeden Tag Journalisten nach Paderborn, um zu verstehen, wie diese Mannschaft aus Nobodys mit einem Personaletat von 15 Millionen Euro in der Bundesliga bestehen will. "Alle wollen jetzt das Phänomen Paderborn erklärt haben", sagt Breitenreiter und grinst.

Das Phänomen Paderborn, oder besser: das System Breitenreiter, ist so einfach wie effektiv: Der derzeit drittjüngste Bundesligatrainer (nach Augsburgs Markus Weinzierl, 39, und Hannovers Tayfun Korkut, 40), der bis vor fünf Jahren noch selbst aktiv gespielt und 2013 als drittbester seines Jahrgangs die Fußballlehrer-Lizenz erhalten hat (hinter Fürths Frank Kramer und St. Paulis U23-Trainer Thomas Meggle), versammelt nun lernwillige Fußballer um sich, die seiner Idee vom pressing- und laufintensiven Umschaltspiel diszipliniert folgen. Dies hatte Paderborn bereits in der Hinrunde der vergangenen Zweitliga-Saison derart gut umgesetzt, dass Breitenreiter seinen verdutzten Spielern in der Winterpause emotional verkündete: "Wir können unter die ersten drei kommen." Nach außen hatten sie von ihrer hehren Vision zunächst keinen Ton dringen lassen - am Ende waren sie sogar Zweiter. Jetzt ist Bundesliga-Debütant Paderborn der 53. Klub in der deutschen Erstliga-Historie.

Neben dem spartanischen Trainingsplatz in Paderborn haben sich Breitenreiter und sein Stab in der vormaligen Hausmeisterwohnung einer alten Turnhalle eingenistet. In der Küche liegen Brötchen, im Sitzungszimmer stehen offene Laptops. Hier entsteht Breitenreiters Masterplan für eine Mannschaft, die in der Bundesliga eigentlich nicht konkurrenzfähig ist. "Unsere Trainingsmöglichkeiten haben mit erster Liga nichts zu tun", sagt er. Neue Spieler wie Moritz Stoppelkamp von 1860 München, Marvin Duksch von Borussia Dortmund, Lukas Rupp aus Mönchengladbach oder Stefan Kutschke vom VfL Wolfsburg hätten einen "Kulturschock" erlitten, als sie das Trainingsmaterial erstmals aus der alten Pkw-Garage geholt haben.

Nur als verschworener Haufen werden sie es mit den Bundesliga-Größen aufnehmen können. Breitenreiter liebt "die Ballzirkulation des FC Bayern" und "das Gegenpressing von Dortmund". Aber das ist ein Blick in eine andere Welt. "Wir selbst werden mehr hinterherlaufen als in Ballbesitz zu sein", ahnt er. Auch die Fünferkette der Chilenen bei der WM hat ihm gefallen. Paderborn wird ebenfalls kompakt verteidigen, aber weil man mit dieser Strategie allein in der Bundesliga nicht bestehen kann, wurden zum Zwecke schneller Konter und hoher Bälle in die Spitze vor allem offensiv veranlagte Spieler verpflichtet.

Ihnen bringt Breitenreiter - ähnlich wie damals den F-Junioren aus dem Team seines Sohnes - seine Spielidee bei. Das hat in der vergangenen Saison gut geklappt, weil er den richtigen Ton trifft und emotional involviert ist. Doch jetzt wartet auf den jungen Trainer die größte Herausforderung seiner Karriere.

© SZ vom 12.08.2014 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: