Aufstieg des SC Paderborn:Die Heide bebt

Paderborn's coach Breitenreiter celebrates after German second division Bundesliga soccer match against Aalen in Paderborn

Wird nach dem Aufstieg mit anderen Klubs in Verbindung gebracht: Paderborns Trainer André Breitenreiter

(Foto: Ina Fassbender/Reuters)

Die "größte Sensation der deutschen Fußballgeschichte": Zum ersten Mal in seiner 107-jährigen Historie steigt der SC Paderborn in die Fußball-Bundesliga auf. Es ist auch das Verdienst von Trainer Breitenreiter. Doch dessen Zukunft in Paderborn ist ungewiss.

Von Ulrich Hartmann, Paderborn

Um 17:19 Uhr am Sonntag könnten Seismographen im Raum Paderborn aufmerksam geworden sein. Die Erde könnte gezittert haben in Ostwestfalen, denn in diesem Moment stand mit dem Aufstieg des SC Paderborn in die Bundesliga eine fußballerische Überraschung fest, die der örtliche Vereinspräsident Wilfried Finke als "größte Sensation der deutschen Fußballgeschichte" bezeichnet. Im Stadion war man nach dem erlösenden 2:1 gegen den VfR Aalen im letzten Saisonspiel natürlich mindestens dieser Meinung. "Der SC Paderborn schreibt Geschichte", brüllte der Stadionsprecher in sein Mikro, als könnte er es selbst nicht glauben: "Wir spielen in der ersten Bundesliga."

Erstmals tritt der Verein mit 107-jähriger Geschichte nun in der höchsten Spielklasse an, er ist damit der 53. Erstligist in der Geschichte der Bundesliga. Und während die Paderborner drunten auf dem Rasen ihren Trainer André Breitenreiter aus riesigen Biergläsern übergossen, sangen die Zuschauer auf der Tribüne inbrünstig: "So ein Tag, der dürfte nie vergehen."

"Mit einer Mannschaft, der es keiner zugetraut hat, sind wir in die Bundesliga aufgestiegen", schwelgte Trainer Breitenreiter, der angesichts diverser noch unbesetzter Trainerposten in der Bundesliga keine feste Zusage für die kommende Saison geben wollte. Er gilt nun als begehrt. "Ich will niemanden belügen", sagte er, fand die Stunden nach dem Aufstieg aber zu früh für weitergehende Gedanken.

Paderborner Heilquelle

Schon vor dem Spiel hatte eine knisternde und erwartungsfrohe Atmosphäre geherrscht. Zwischen Freude und Frust hatten ungewohnt große Menschenmengen das wellblecherne Stadion in einem Gewerbegebiet am Westrand der Stadt eingehüllt. Eine Gruppe Ehrenamtler ohne Eintrittskarte belagerte wütend den Sonderticket-Schalter, der Schwarzmarkt blühte, und wer eine Karte besaß, stand ewig in der Schlange am Eingang. Es herrschte eine Stimmung, als sei in Paderborn eine Heilquelle entdeckt worden und wollten nun alle gleichzeitig einen Schluck daraus nehmen.

Doch in die allgemeine Euphorie hinein versetzten die Aalener den Paderbornern zunächst einen Stoß. Der Finne Joel Pohjanpalo brachte die Gäste in der 9. Minute mit 1:0 in Führung und weckte beim Tribünengast Mirko Slomka Gedanken, dass sich der Besuch in Paderborn vielleicht doch gelohnt haben könnte.

"Paderborn, erhebe dich und lauf!"

Doch der HSV-Trainer sah in den nachfolgenden zwölf Minuten auch Paderborns erfolgreiches Unterfangen, die Relegation gegen Hamburg unbedingt verhindern zu wollen. Der im defensiven Mittelfeld beheimatete Spielgestalter Mario Vrancic, früher bei Mainz 05, versetzte die noch leicht schockierten 15 000 Zuschauer in Verzückung, als er zunächst dem Rechtsaußen Marc Vucinovic den Ball zum 1:1-Ausgleich (14.) auflegte und sieben Minuten später selbst einnetzte. "Die Heide brennt", klang es aus den Lautsprechern.

"Paderborn, erhebe dich und lauf'!", lautete vor Beginn der zweiten Halbzeit dann der musikalische Imperativ, denn noch war dieser Bundesliga-Traum längst nicht real. Ungefähr, als Aalens Pohjanpalo in der 54. Minute beinahe den Ausgleich für die Gäste erzielt hätte, machte im Stadion die 1:0-Führung der Fürther gegen Sandhausen die Runde. Die Partie in Ostwestfalen war offen. Aalen wehrte sich

Erlösung um 17:19 Uhr

Es wurde düster über der Arena. Der Himmel ergraute bedrohlich, und den Paderbornern gingen die Offensivbemühungen verloren. Der Türke Süleyman Koc kam 20 Minuten vor Schluss für seinen Landsmann Saglik, Thomas Bertels für den wirkungslosen Kunstschützen Alban Meha, um die knappe Führung abzusichern. Das Publikum bangte atemlos. Der spät eingewechselte Kapitän Markus Krösche, der nach 13 Jahren seinen letzten Einsatz feierte, hätte kurz vor Spielschluss beinahe das 3:1 erzielt, doch das Bangen dauerte bis in die dritte Minute der Nachspielzeit. Um 17:19 Uhr wurde ganz Paderborn dann erlöst.

Erst vor einem Jahr war der Trainer Breitenreiter vom Viertligisten TSV Havelse nach Paderborn gekommen, um mit einem der kleinsten Etats der Liga (sechs Millionen Euro) den Klassenerhalt zu schaffen. "Jetzt aufgestiegen zu sein, ist unglaublich, eine Sensation", sagte Routinier Krösche (194 Zweitliga-Spiele) nach dem Abpfiff. Er werde einige Zeit brauchen, um das zu realisieren. Der Sonntag genügte dazu keineswegs. Nach dem Spiel fuhren die Spieler ins Zentrum, trugen sich ins Goldene Buch der Stadt Paderborn ein und wurden am späten Abend den Fans präsentiert, die sich zu Tausenden auf dem Rathausplatz versammelt hatten.

Torwart Lukas Kruse bemühte im Zentrum des Paderborner Erzbistums den Glauben, der das Team durch die Saison getragen habe - allerdings: "Der Glaube an uns selbst, denn ohne den schafft man so etwas nicht."

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