Zum Tod von Paco Gento:Der Sturmwind von Kantabrien

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Der Mann mit den mächtigen Oberschenkeln: Francisco Gento beglückte Real Madrid in den 1950ern und 1960ern. (Foto: Marca/Imago)

Spanien betrauert Real Madrids Legende Paco Gento - den einzigen Spieler der Geschichte, der sechs Mal den Landesmeisterpokal gewann und als bester Linksaußen seiner Generation galt.

Von Javier Cáceres, Berlin

Über Kantabrien fegt ein Wind, den sie L a Galerna nennen. Ein Wind mit überwältigenden Böen, die aus dem Nichts zu kommen scheinen. An der Küste Kantabriens wurde Francisco "Paco" Gento geboren, und die Alten berichten, dass Gento den Sturm trefflich imitierte, wenn er die Fußballschuhe für Real Madrid schnürte und in gegnerischen Abwehrreihen im Stile eines Orkans Verwüstungen anrichtete, von denen sich nur die wenigsten erholten. Deshalb tauften sie ihn eines Tages genau so: "La Galerna de Cantabria."

Es ist nur wenige Tage her, da machte Real Madrids brasilianischer Verteidiger Marcelo von sich reden, weil er in Saudi-Arabien den spanischen Supercup und somit seinen 23. Titel mit Spaniens Rekordmeister holte. Formal zog Marcelo da mit Gento gleich; ihn zu übertreffen, vermochte er nicht. Zu Gentos Zeiten hielt sich die Inflation der Wettbewerbe in Grenzen, durften beispielsweise nur die Landesmeister um die wichtigste Trophäe Europas kämpfen, die Copa de Europa. Gento gewann sie - als einziger Spieler der Geschichte - satte sechs Mal. Erstmals 1956, dann bis 1960 weitere vier Male in Serie (inklusive dem legendären 7:3 gegen Eintracht Frankfurt im Finale von Glasgow), und schließlich 1966, als Anführer einer ausschließlich aus Spaniern bestehenden Madrider Elf. Unter ihnen Amancio, ein Rechtsaußen, der am Dienstag berichtete, wie das war, als alle Großen - Puskas, Kopa und natürlich Di Stefano - den Klub verlassen hatten. "Paco blieb, um uns Neuankömmlinge zu lehren, was Real Madrid war."

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Er hatte die mächtigsten Oberschenkel des Klubs - bis Roberto Carlos kam

Gento war mit 19 Jahren zu Real Madrid gekommen, der Klub zahlte 1,5 Millionen Peseten an Racing Santander, für den er zehn Spiele gemacht hatte. Madrids Präsident Santiago Bernabéu wollte ihn bald zurückschicken, doch Alfredo Di Stefano, wie Gento im Jahr 1953 zu Real Madrid gestoßen, überredete den legendären Vorsitzenden, Gento zu behalten: "Er ist schnell und hat einen Bombenschuss. Den Rest bringen wir ihm schon bei", sagte Di Stefano. Gentos Beine waren in der Tat mächtiger, als seine Technik je wurde - er hatte die mächtigsten Oberschenkel des Klubs, bis der Brasilianer Roberto Carlos nach Madrid kam. Gento selbst erzählte einmal, dass er sie als Hirte des elterlichen Viehs gestählt hatte: Statt in die Schule zu gehen, sollte er die Kühe zusammenhalten, und so manches Mal trieb er sie zusammen, indem er bergauf Jagd auf sie machte und sie zurück ins Tal prügelte.

Er muss, so gehen die Erzählungen, ein unbedarfter junger Mann gewesen sein, als er aus der Provinz in die Hauptstadt eines bürgerkriegsgeschundenen, rückständigen Spanien kam. Die Hänseleien, die er durch die Kameraden erlitt, wurden weniger, je größer seine Beiträge zu den Siegen wurden, durch Vorlagen und eigene Tore: In mehr als 600 Spielen traf er 182 Mal, darunter im Landesmeisterfinale von 1957, in der Verlängerung zum 3:2. Manches Mal stauchte ihn Di Stefano zusammen, er solle auch mal bremsen: Die anderen kamen nicht rasch genug hinterher, um seine Flanken zu verwerten. Der Schriftsteller Javier Marías ("Mein Herz so weiß") erzählt, seine Vergötterung sei nicht nur so weit gegangen, dass er Gento auf dem Schulhof zu imitieren suchte. Er habe seinen pubertierenden Schulfreunden auch Fotos einer blendend aussehenden Tante angedreht, um im Tausch Sammelbilder von Gento zu bekommen.

Bis zuletzt sah man ihn mit seinem Hund ums Bernabéu-Stadion spazieren

Seine Karriere beendete Gento 1971, sieben Jahre nach dem EM-Sieg mit Spanien; er wurde mit drei Abschiedsspielen im Bernabéu geehrt. Er lebte bis zu seinem Tod nur wenige Meter vom Bernabéu-Stadion entfernt, und man sah ihn dort, wenn er mit dem Hund spazieren ging, immer ums Stadion herum. An die Stätte seiner Heldentaten kehrte er regelmäßig zurück, stets elegant im Anzug, das Knopfloch des Revers mit der edlen Vereinsnadel, die ihm Bernabéu verliehen hatte. Der heutige Vereinschef Florentino Pérez ernannte Gento 2015 zum Ehrenpräsidenten. Das war zu einer Zeit, da der Kreis derer, die behaupteten, Gento sei der beste Linksaußen seiner Zeit gewesen, kleiner geworden war: Der Argentinier Di Stefano, der Portugiese Eusébio, der Brasilianer Garrincha, der Ungar Puskas waren längst tot.

Aber ihr Chor war da schon wie der Wind, und er kehrte an diesem Dienstag zurück, als Gento im Alter von 88 Jahren in Madrid verstorben war. Denn da hörte man wieder die Erzählungen von jenem Wunderspieler, der nie eingefangen werden konnte, so wie der Wind, der ihm seinen Namen gab.

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