Olympiasiegerin Carina Vogt:"Ich hab' das noch gar nicht realisiert"

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Die 22-jährige Deutsche Carina Vogt schreibt Olympia-Geschichte: Sie hat noch nie einen Weltcup gewonnen, doch dann holt sie die erste Goldmedaille im Frauen-Skispringen. Und hat danach Mühe, die Bedeutung des Moments zu erfassen.

Von Michael Neudecker, Krasnaja Poljana

Ulrike Gräßler ist eine von denen, die für diesen Abend gekämpft haben, und deshalb, sagt sie, fühle sie sich jetzt "wahnsinnig leer". Es geht schon auf Mitternacht zu an der Skisprung-Schanze in Krasnaja Poljana, als Ulrike Gräßler über das sprechen soll, was gerade passiert ist, sie könnte stolz sein, glücklich sogar, aber Ulrike Gräßler ist am Ende Sportler, und Sportler wollen nicht nur in ideologischen Kämpfen gewinnen, sondern vor allem in sportlichen. Ulrike Gräßler hat nicht gewonnen an diesem Abend.

Die Skispringerinnen haben viel dafür getan, dass das Internationale Olympische Komitee ihren Sport aufgenommen hat, am späten Dienstagabend sind sie nun tatsächlich dort gesprungen, wo die olympischen Ringe auf Fahnen hängen. Ulrike Gräßler hat schon vorher gewusst, dass sie ausgerechnet jetzt nicht zeigen wird können, was sie kann, sie hat sich zu Beginn der Spiele eine Grippe zugezogen. "52 Wochen nix, und dann werd' ich hier krank", sagt Gräßler, "das ist so bitter."

Der Stolz komme vielleicht später noch, sagt Gräßler, bevor sie geht, das Springen ist da noch nicht zu Ende. Gräßler weiß noch nicht, dass Stolz und Freude vielleicht noch in dieser Nacht kommen werden.

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Ulrike Gräßler hat nicht gewonnen, aber Carina Vogt. Die deutschen Skispringerinnen sind um Mitternacht nicht nach Hause gegangen. Sie haben die erste Olympiasiegerin im Frauen-Skispringen gefeiert.

Carina Vogt ist 22, Ulrike Gräßler 26, die beiden kennen sich schon lange, im Weltcup sind sie Zimmerkolleginnen. Bei Olympia waren sie das zunächst auch, dann wurde Gräßler krank und musste ausziehen. Am Dienstagmorgen hatten die Trainer noch Angst, dass Vogt sich trotzdem angesteckt haben könnte, sie verspürte ein Kratzen im Hals. "Ich hab' mich nicht gut gefühlt", sagt Vogt, "und ich hab' den Kopf hängen lassen."

Ihr Kopf hängt immer noch, jetzt, eine Stunde nach dem Springen, es ist ja so: "Ich hab' das noch gar nicht realisiert." Niemand hat mit diesem Gold gerechnet, am wenigsten Carina Vogt.

Sie war acht Mal auf dem Podium in dieser Weltcupsaison, in der Gesamtwertung ist sie Zweite, aber von 13 Springen gewann ja die 17-jährige Japanerin Sara Takanashi zehn, Takanashi war der Gold-Favorit. Takanashi ist der Star der Frauen-Skisprung-Szene, die überschaubar klein ist.

Als die Springerinnen vor die Reporter treten, haben sie alle ihre Startnummern über ihre Winterjacken gezogen, damit man weiß, mit wem man spricht, alle, außer Sara Takanashi. In Japan ist Takanashi enorm populär, an der Schanze in Krasnaja Poljana ist ein riesiger Schwarm aus japanischen Fotografen und Reportern, sie bedrängen die zierliche junge Frau als es vorbei ist. Die Ordner müssen sie zurückdrängen. Takanashi ist Vierte geworden.

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Und dann ist da noch die 30-jährige Österreicherin Daniela Iraschko-Stolz, über die zum Beispiel in Amerika zuletzt mehr berichtet worden ist als für eine österreichische Frauen-Skispringerin üblich. Was an der politischen Gemengelage in Sotschi liegt und daran, dass Iraschko-Stolz mit einer Frau verheiratet ist. Dazu galt Iraschko-Stolz als Hauptkonkurrentin von Takanashi. Carina Vogt hatte ja bis Dienstag noch nie ein Springen gewonnen.

Iraschko-Stolz war Fünfte nach dem ersten Durchgang, Takanashi Dritte, Carina Vogt hatte den weitesten Sprung gezeigt, 103 Meter, sie lag in Führung. Im zweiten Durchgang landete Takanashi wieder zu früh, Iraschko-Stolz aber flog auf 104,5 Meter, sie lag vorne, vor der Französin Coline Mattel und eben Takanashi. Oben stand nur noch Carina Vogt, kurz danach landete Vogt bei 97,5 Metern, setzte sich in den Schnee, die Hände vorm Gesicht. Es war nicht klar, ob das genug war für Gold.

Dieser Moment, sagt Carina Vogt, "war schrecklich". Dann leuchtete das Ergebnis auf der Anzeigetafel auf: 247,4 Punkte, genau 1,2 Punkte mehr als Iraschko-Stolz. Carina Vogt brach in Tränen aus, sie weinte - wie man weint, wenn etwas passiert, das man nicht gleich verarbeiten kann.

"Wir haben ein wenig mit Bronze geliebäugelt", sagt Andreas Bauer, der Cheftrainer. Aber Gold? Andreas Bauer ist auch fassungslos, für ihn wiederholt sich die Geschichte gewissermaßen: 2006 in Turin ist er Sprungtrainer der Nordischen Kombinierer gewesen, als Georg Hettich Olympiasieger wurde; es war Hettichs erster Sieg überhaupt, wie jetzt bei Vogt. "Unendlich dankbar", sei er, sagt Andreas Bauer.

Er hat einen Zeitungsartikel dabei, er greift in seinen Rucksack, zeigt ihn vor, ein paar Stellen hat er markiert. Es ist ein Interview mit dem Skirennfahrer Felix Neureuther, an der markierten Stelle sagt Neureuther singgemäß, dass er erst älter werden musste, um zu erkennen, dass es nichts bringt, irgendwelchen Zielen hinterherzuhecheln, sondern dass man einfach tun muss, was man tun kann. Das hat er seinen Springerinnen vorgelesen, sagt Bauer, er ist ein bisschen stolz. Es hat funktioniert.

Das sie die Erste ist, die Olympia-Gold in ihrem Sport gewinnt, das, sagt Vogt, "ist mir gleichgültig". Sie will jetzt nicht politisch sein. Sie will nur eins: Kapieren, was passiert ist.

© SZ vom 12.02.2014 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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