Gold für Rodlerin Geisenberger:Noch dominanter als Felix Loch

Sotschi 2014 - Rodeln

Tatjana Hüfner (Silber, links) und Natalie Geisenberger (Gold, rechts) jubeln über ihren Doppelsieg

(Foto: dpa)

1,83 Meter groß, 78 Kilogramm schwer, ewig lange Arme: Aufgrund ihrer körperlichen Voraussetzungen galt Natalie Geisenberger jahrelang als großes Talent, nun gewinnt sie Olympia-Gold. Trotz Silber erhebt Teamkollegin Tatjana Hüfner nach dem Rennen Vorwürfe gegen den eigenen Verband - der habe Geisenberger "bevorzugt".

Von Volker Kreisl, Krasnaja Poljana

Diesmal war keine Unruhe zu sehen, keine übertriebene Fußbewegung, kein voreiliger Bremsreflex. Anders als vor vier Jahren bei den Spielen in Vancouver waren die vier Finalläufe der Miesbacher Rennrodlerin Natalie Geisenberger die reine Harmonie. Fahrlage, Kurvenrhythmus, innere Stimmung, alles im Gleichgewicht. Sie klappte vor dem vierten Lauf sorgfältig das Visier auf den Helm, fuhr los und wurde Olympiasiegerin.

Dann holte ihre Teamkollegin Tatjana Hüfner auch noch Silber, und der gesamte Trainerstab feierte seine erfolgreiche Arbeit, die nun auf einem soliden Fundament zu stehen schien. Ein weiterer deutscher Rodelabend schien es zu werden, ein Abend im Gleichgewicht, aber dann begann die Pressekonferenz, und die heile Welt des deutschen Rodelns brach entzwei. Die Zweitplatzierte, Tatjana Hüfner, nutzte den Augenblick und ließ ihrem Zorn freien Lauf.

Sie freue sich ganz besonders über diese Silbermedaille, denn "es war das Optimum, was möglich war". Gewiss, gesundheitliche Probleme hätten die Vorbereitung erschwert, aber auch "Probleme im Verband". Es habe viele Diskussionen gegeben, am Ende sei der Trainerstab verändert worden. Schließlich erhob Hüfner mit ruhiger überlegter Stimme einen deutlichen Vorwurf: "Man hat es mir persönlich schwer gemacht, man hat mir viele Steine in den Weg gelegt."

Konkret bedauerte Hüfner, dass sie ihren Trainer André Florschütz, mit dem sie sich schon drei Jahre lang vorbereitet hatte, verloren habe. Hüfner beklagte schließlich eine Ungleichbehandlung, sie deutete an, dass die Königsseer, für die nun ausschließlich der weltweit wohl beste Schlittenexperte Georg Hackl arbeitet, latent besser gestellt würden. Sie sagte: "Natalie Geisenberger ist deutlich bevorzugt worden."

Ob sie weitermache, weiß die Olympiasiegerin von 2010 noch nicht. Eigentlich war dies die Pressekonferenz nach der Olympiaentscheidung, und die Goldgewinnerin Natalie Geisenberger, die noch aufgehalten worden war, betrat nun ahnungslos das Podium, setzte sich neben Hüfner und wurde recht schnell mit deren Vorwurf konzentriert, den sie cool abwehrte: "Ich persönlich höre das zum ersten Mal." Das deutsche Siegerduo saß da, starrte aneinander vorbei mit eisiger Miene. Es war nicht der optimale Zeitpunkt, aber erstmals trat ein Streit zutage, der offenbar schon länger im erfolgreichsten deutschen Wintersportverband schwelt.

Ein Streit um die Besetzung der wichtigsten Stützpunkte Königssee und Oberhof, um die gerechte Versorgung der Rodler mit Material und Trainer-Knowhow. "Ich habe hier einen optimalen dritten Lauf gefahren", sagte Hüfner, "und trotzdem noch mal drei Zehntel verloren. Da habe ich mir Gedanken gemacht, was das ist." Sie habe diese Offenbarung so nicht geplant, gab sie zu, "aber ich habe in der letzten Zeit einfach zu viel geschluckt". Hüfner und Geisenberger sind schon lange keine Freundinnen mehr, sie reden nur das Allernötigste miteinander. Das war auch in den Momenten zu spüren, als die Welt des Bob- und Schlittenverbandes Deutschland (BSD) noch in Ordnung zu sein schien.

Streit nur halbwegs versteckt

Beide Rodlerinnen hatten sich bis dahin einen nur halbwegs versteckten Streit um den Platz der Nummer eins in der Welt geliefert, es ging um kleine Sticheleien oder auch nur um den Vorwurf angeblicher kleiner Sticheleien. Es war ein klassischer Prinzessinnenkonflikt zweier Sportlerinnen mit ausgeprägtem Siegeswillen . Im Ziel hatte die 30-jährige Hüfner ihrer 26-jährigen Rivalin noch pflichtgemäß, aber fahrig gratuliert, es schien noch so, als würde sie deren Entwicklung zur Weltbesten widerwillig anerkennen.

Geisenberger gilt schon lange als das größte Talent im deutschen Frauenrodeln und als die Nummer eins, was die körperlichen Voraussetzungen betrifft. Sie ist 1,83 Meter groß, 78 Kilogramm schwer und hat lange Arme. Der erste große Sieg wollte ihr aber erst vor einem Jahr gelingen, in Whistler wurde sie Weltmeisterin, nun folgte endlich der Olympiasieg. Wie sehnlich sie diese Goldmedaille erwartet hatte, war dann unten zu hören und zu sehen, als sie aus der Rinne wieder auftauchte und das Visier wieder hochklappte und heftig jubelte. Vor Aufregung hatte sie schlecht geschlafen, "ich bin um vier aufgewacht", sagte sie.

Der Titel hat ja gerade in ihrem Sport, dessen Vermarktungsmöglichkeiten begrenzt sind, großen Wert. Andere Siege sind vergänglich, "Olympiasieger", sagte Geisenberger im Ziel, "bleibt man immer". Früh schon hatte sie sich auf diesen ersten Platz gesetzt wie in die Sitzschale eines Schlittens - und ihn nicht wieder freigegeben. Wie zuvor Olympiasieger Felix Loch, der zu Hause auch in ihrer Trainingsgruppe ist, hatte sie die ersten Finalläufe beherrscht. Sie unterbot die Bestzeit auf dieser Bahn, aufgestellt von ihr selbst im Jahr 2013.

Zur Halbzeit lag sie fast acht Zehntel vorne, am Ende war es mehr als eine Sekunde. Dritte wurde die Amerikanerin Erin Hamlin. Hüfner, die nach einem Rückenleiden einen Großteil der Saisonvorbereitung verpasste, hatte in keinem Lauf eine Chance gegen Geisenberger. Hamlin saß später auch auf dem Podium, es ist unwahrscheinlich, dass sie von dem Zerwürfnis im alles beherrschenden deutschen Team etwas mitbekam.

Sie wird kaum etwas gewusst haben vom Streit der beiden weltbesten Rodlerinnen, vom Frust, der offenbar bei Hüfner und vielleicht dem gesamten Stützpunkt Oberhof immer größer wurde, je mehr der Stützpunkt Königssee glänzte. Das Unternehmen Olympia 2014 ist erst zur Hälfte vorbei, Doppelsitzer- und Teamwettbewerb folgen noch. Bislang haben die Verantwortlichen alles unter einem großen Deckel halten können, aber nach den Vorwürfen am Abend von Natalie Geisenbergers Olympiasieg wird das nicht mehr gehen.

Sotschi 2014
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