Olympia und Homosexualität:Gegen die letzte Bastion

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Erstmals gibt es einen offiziellen Treffpunkt für Schwule und Lesben. Einen aktuellen männlichen Olympioniken, der sich zur Homosexualität bekennt, sucht man allerdings vergebens.

Ronny Blaschke

Brendan Burke hatte fest zugesagt, sein Besuch in Vancouver wäre ein Meilenstein für den olympischen Sport gewesen. Burke, ein begabter Eishockey-Torwart, aktiv für das Team der Universität Miami, bekannte sich im November 2009 zu seiner Homosexualität. Er ging in die Offensive, gab Interviews, er wollte die harte Oberfläche des Spitzensports einreißen. Sein Vater Brian Burke, Manager des amerikanischen Eishockey-Nationalteams, berüchtigt als kompromissloser Macho, stand bedingungslos hinter ihm. Brendan Burke löste eine Debatte aus, er wuchs über Nacht zu einem Vorbild, erhielt Briefe von Jugendlichen, die seinem Weg folgen wollten. Burke wollte nun auch in Vancouver, seinem Geburtsort, für Toleranz werben. Eine Chance erhielt er nicht. Vor zwei Wochen starb er bei einem Autounfall in Indiana. Er wurde 21 Jahre alt.

Eine der wenigen Sportlerinnen, die sich geoutet haben: Ireen Wüst. (Foto: Foto: AFP)

Die Stimme von Dean Nelson wird brüchig, als er auf diesen Unfall zu sprechen kommt. "Wir hätten viel von Brendan lernen können." Nelson ist ein umtriebiger Mann. Seine Idee als historisch zu bezeichnen wäre nicht übertrieben. Nelson leitet das Pride House, den ersten offiziellen Treffpunkt für homosexuelle Sportler und Fans in der Geschichte der Olympischen Spiele. Das Haus liegt in der Bute Street, im Westend-Viertel, zwanzig Gehminuten vom Olympischen Dorf entfernt, wo sich viele Lesben und Schwule niedergelassen haben. Gleich hinter der Eingangstür prangt ein Plakat, auf dem sich zwei Eishockeyspieler küssen, umrahmt von der Frage: "Wen soll das noch schockieren?"

Offensichtlich viele. Mit Ausnahme von Brendan Burke gibt es niemanden im rauen Eishockey, dem kanadischen Nationalsport, der sich als schwul offenbarte. Und das in einem liberalen Land, das die gleichgeschlechtliche Ehe früher als viele Nationen legalisierte. "Sport ist die letzte Bastion", sagt Dean Nelson, "wir wollen ein Tabu sichtbar machen. Wir wollen homosexuellen Athleten zeigen, dass sie nicht allein sind." Das Pride House organisiert während der Spiele Informationsabende, Konzerte oder Filmnächte. Auf dem Programm steht unter anderem die Dokumentation "Training Rules", darin entwirft eine amerikanische Basketballtrainerin drei Regeln für ihre Spielerinnen: kein Alkohol, keine Drogen, keine Lesben. Das Pride House bietet auch anonyme HIV-Tests an. In einer Ausstellung über homosexuelle Athleten wird zudem des britischen Eiskunstläufers John Curry, Olympiasieger von 1976, und seines slowakischen Kollegen Ondrej Nepela, Sieger 1972, gedacht. Beide starben an Aids.

Vier Frauen bekennen sich

Folgt man der Annahme, dass etwa zehn Prozent der Bevölkerung homosexuell sind, so müssten rund 250 Schwule und Lesben in den Olympischen Dörfern untergebracht sein. Zu ihrer Homosexualität bekannt haben sich vier: die niederländische Eisschnellläuferin Ireen Wüst, die norwegische Langläuferin Vibeke Skofterud, die schwedische Eishockey-Spielerin Erika Holst und ihre kanadische Kollegin Sarah Vaillancourt. Einen Mann sucht man vergebens. "Ich kann ihre Ängste nachvollziehen", sagt Dean Nelson, "sie wissen nicht, wie Kollegen, Zuschauer und Sponsoren reagieren." In 14 der 82 teilnehmenden Länder steht Homosexualität unter Strafe, in zweien droht die Hinrichtung.

Wenn Mark Tewksbury an diese Rückständigkeit denkt, fällt der hochgewachsene, durchtrainierte Mann in sich zusammen. "Ich habe mir auf jeder Wettkampfreise genau überlegt, was ich wem erzähle. Jede Leichtsinnigkeit hätte bestraft werden können", sagt er. Der ehemalige Schwimmer Tewksbury, 42, geboren in Calgary, ist ein kanadisches Idol. 1992 gewann er in Barcelona Gold über 100 Meter Rücken. Sechs Jahre später, nach dem Ende seiner Karriere, outete er sich. Tewksbury verlor einen sechsstellig dotierten Sponsorenvertrag, doch er engagierte sich fortan für die Rechte von Homosexuellen. Auch im Pride House in Vancouver. "Hätte es das zu meiner Zeit gegeben, ich hätte vermutlich draußen die Leute beobachtet, die hineingehen." Er erinnert an Sergei Nemstanov, einen schwulen Wasserspringer aus der Sowjetunion, der 1976 während der Sommerspiele in Montreal aus dem Olympischen Dorf flüchtete und um Asyl bat. Aus Angst vor Repressionen in der Heimat.

Mark Tewksbury gibt dem Kampf gegen Homophobie ein prominentes Gesicht. Er unterstützt die Cutting Edges, zu Deutsch die Schnittkanten, einen Eishockeyklub aus der schwulen Amateurliga. Viele Homosexuelle ziehen sich in solche Vereine zurück, weil sie sich dort sicherer fühlen. Schwul-lesbische Fanklubs, wie es sie in der Fußball-Bundesliga seit zehn Jahren gibt, sucht man im kanadischen Eishockey vergebens. "Die Gesellschaft bewegt sich langsam", sagt Dean Nelson, der Gründer des Pride House. Ständig kommen olympische Gäste mit fragenden Blicken die Treppe hinauf. "Wenn wir die Menschen zum Nachdenken und Reden animieren, ist das Erfolg genug."

Im Video: Maria Riesch will die Krone in der alpinen Königsdisziplin - der Abfahrt.

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© SZ vom 17.02.2010 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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