Hindernisläuferin Gesa Krause:"Da bin ich über mich hinausgewachsen"

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Gesa Felicitas Krause nach dem Rennen. (Foto: Michael Kappeler/dpa)

Gesa Krause läuft im 3000-Meter-Hindernisrennen einen furiosen Schlussspurt - verpasst mit Rang fünf allerdings die ersehnte Medaille. Danach erklärt sie, warum es darauf aber manchmal nicht ankommt.

Von Saskia Aleythe, Tokio

Mit dem Wassergraben erwachte in Gesa Felicitas Krause noch einmal das Leben. Es ist eine Spezialität der 29-Jährigen, auf der letzten Runde, 150 Meter vor dem Ziel etwas in sich zu entdecken, was sie eigentlich schon Meter um Meter aus dem Körper gelaufen hat. 30 Grad drückten um 20 Uhr am Abend immer noch auf das Olympiastadion in Tokio, die Führende lief schon fast ins Ziel, da schaltete Krause nochmal in den Angriffsmodus.

Um Platz fünf laufen wollte Krause eigentlich nicht in diesem 3000-Meter-Hindernisrennen, sie wollte eine Medaille. "Ich finde es gut, meine Ziele laut auszusprechen", sagte sie nach ihrem dritten olympischen Finale, "aber deswegen heißt es nicht, dass man sie auch erreicht." Und dann kommt es auch immer darauf an, wie man die Ereignisse selbst bewertet. Dieser letzte Sprung über den Wassergraben, ihr Schlussspurt an den Konkurrentinnen vorbei - "da bin ich über mich hinausgewachsen".

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Grenzen auszutesten ist etwas, das sie immer gereizt hat: Als Kind ist sie Rennen gelaufen und musste sich danach stets übergeben, der Schmerz hat sie erst nach dem Laufen überrollt. Drei Tage Pause von ihrem Sport hatte sie seit letztem Oktober, und das waren Reisetage zu Wettkämpfen. "Das ist ein Fulltime-Job, dafür braucht man innere Freude, einen inneren Drang, das zu wollen", sagte Krause. In den Rennen selber, aber auch im Alltag, der bei ihr auch bedeutet: mehrere Wochen im Jahr, gesammelt ein paar Monate, im Höhentrainingslager fernab der Heimat zu verbringen. 2020, als die Verschiebung der Olympischen Spiele feststand, hatte sie gerade so eine Etappe hinter sich. "Dann denkt man im ersten Moment, das war alles umsonst", sagte Krause, "aber das war es natürlich nicht."

Mit großen Schritten eilte sie nun in Tokio nach dem Wassergraben noch an zwei Konkurrentinnen vorbei, lief eine Lücke von 20 Metern zu, sie legte einen beachtlichen Schlussspurt hin und landete bei 9:14,00 Minuten. Vorne war Peruth Chemutai aus Uganda zum Olympiasieg gehetzt (9:01,45), die US-Amerikanerin Courtney Frerichs (9:04,79) gewann Silber vor Hyvin Kiyeng (9:05,39) aus Kenia. "Ich bin sehr glücklich über meine letzte Runde", sagte die Deutsche ein paar Minuten später, wieder bei Atem. Wehmut sei schon dabei, aber: "Heute habe ich Plätze gewonnen, aber eben nicht das Rennen. Mit so einem Finish bin ich definitiv zufrieden." Es ist die eigene Perspektive, die über empfundenes Glück und Unglück entscheidet.

Fünfte war Krause bei Olympia noch nie. Achte 2012 in London, Sechste 2016 in Rio, es war eine Steigerung. Aber natürlich, sie hat auch Beute bei Welt- und Europameisterschaften gemacht, die Hoffnungen entstehen ließen auf einen Medaillenrang. Zuletzt ihr WM-Bronze 2019 in Doha. Krause trägt selbst jede Menge Ehrgeiz in sich, aber sie weiß auch: Nur weil man vor zwei Jahren mal auf einem Podium stand, "ist es nicht so, dass man das wiederbekommt". Nicht automatisch.

Zwei Hindernisläuferinnen, die sich deutlich mehr erhofft hatten: Emma Coburn (links) stürzte, und Gesa Felicitas Krause war zu weit weg, um noch aufs Treppchen zu eilen. (Foto: Cameron Spencer/Getty)

Vom Start weg war es ein eher gemütliches Rennen, das sich in Tokio entwickelte. Krause wusste, dass "irgendwann ein Move" von einer anderen Läuferin kommen würde, und das war dann die Amerikanerin Frerichs, die nach der Hälfte des Rennens davon- und das Feld auseinander zog. "Wenn man mitgehen kann, dann tut man es auch", sagte Krause, sie konnte es nicht, "ich hatte einen Hänger". Ob sie schon früher selbst hätte angreifen müssen? "Andere Mädels sind vorher in die Offensive gegangen, und die habe ich später noch eingeholt." Sich die Kräfte einzuteilen, darum geht es dann eben auch.

Die Absage der Spiele im vergangenen Jahr hatte ihr zugesetzt. "Dass einem das Ziel genommen wurde, war deprimierend", sagte Krause nun in Tokio, "wir Sportler bewerten unser Leben und unseren Alltag oft nach dem Resultat beim Höhepunkt. Letztes Jahr war da keiner." Bei den deutschen Meisterschaften im August musste sie nach 2000 Metern erschöpft aufgeben, auch die Hitze hatte ihr zu schaffen gemacht. "Aber ich hatte kein schlechtes Jahr." Bald danach beendete sie die Saison, nahm sich eine Auszeit. Aber nicht, um zu sich selbst finden zu müssen, sondern um Kräfte zu sammeln für die Olympia-Saison.

Ihren Trainer Wolfgang Heinig kennt sie, seit sie 14 Jahre alt ist, auf sein Anraten wechselte sie an ein Sportinternat in Frankfurt. Und er gab ihr auch den Tipp, den Selbstwert eben nicht von Medaillen abhängig zu machen. "Er hat gesagt: Gesa, der Weg ist das Ziel. Und der Weg ist das, was einen glücklich machen muss." Sie freute sich, dass Heinig, 70 Jahre alt, mit in Tokio dabei sein konnte. Sie hätten schon Tränen der Enttäuschungen zusammen vergossen, aber eben auch welche der Freude. "Ich bin stolz auf mich und meinen Weg", sagte Krause. Und dann war diese verpasste Medaille auf einmal ziemlich egal.

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